BR Fernsehen - EUROBLICK


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Dänemark Die Überfluss-Gesellschaft

Wenn sie in den Supermarkt kommt, geht es nicht ums Einkaufen. Selina Juul ist das Gesicht der dänischen Kampagne gegen Lebensmittelvergeudung.

Von: Axel Rowohlt

Stand: 28.05.2017 | Archiv

Selina Juul mit abgelaufenen Waren | Bild: BR

"Nach dem Verfallsdatum darf man frische Sachen nicht mehr essen. Es gibt aber auch das Haltbarkeitsdatum: Das bedeutet nicht, dass die Waren nach diesem Datum giftig sind."

Selina Juul, Initiative gegen Lebensmittelverschwendung / Stop Food Waste Initiative

Selina Juul stammt aus Russland. Als sie nach Dänemark gekommen sei, habe ihr diese Überflussgesellschaft hier die Augen geöffnet, sagt sie:

"Ich war entsetzt! Vor acht Jahren habe ich eine Facebookgruppe gegründet: ‚Stop wasting food‘. Zwei Wochen später waren wir damit im dänischen Fernsehen. Heute sind wir die größte Organisation gegen Foodwaste, mit 63.000 Leuten nur auf Facebook – es ist riesig!"

Selina Juul, Initiative Stop Food Waste

Ditte Poulsen

Juul ist nicht die einzige, die Sturm läuft gegen Verschwendung und Überfluss. Aber weggeworfen werden im Supermarkt immer noch eine Menge Lebensmittel, die nicht mehr taufrisch sind. Im besten Fall werden sie weiterverwertet.

"Das ist unser Bio-Container. Hier kommen die Lebensmittel rein, die wir leider nicht verkaufen konnten. Daraus wird Bio-Gas, also Naturwärme für Wohnungen."

Ditte Poulsen, Projektleiterin Supermarktkette Irma

Jens Möller

Dieser Laden ist einer ganz nach Selina Juuls Geschmack: Ein Supermarkt voller abgelaufener Waren: natürlich kein Frischfisch und Fleisch, viele Konserven, aber auch Gemüse. Die Kunden freuen sich über günstige Preise – schon hat die zweite Filiale eröffnet. Allerdings: Manches wird auch extra für diesen Laden produziert. Ein Ökobäcker in der Nachbarschaft etwa backt viel mehr, als er jemals verkaufen könnte.

"Er macht das ganz bewusst. Wir hier von We food sind so was wie ein Sicherheitsnetz für den Bäcker. Wir zahlen ihm soviel, dass er seine Kosten decken kann. So kann er systematisch mehr produzieren, als er braucht und sein Laden ist nie ausverkauft. Und was er nicht loswird, das holen wir bei ihm kostenlos ab."

Jens Möller, Teamleiter Supermarkt WeFood

"Aber ohne We food würde er vielleicht weniger produzieren."

Reporter

"Ja. Vielleicht schon."

Jens Möller

Dabei ist die Produktion von Lebensmitteln besonders belastend für die Umwelt, setzt enorm viel CO2 frei. Eine echte Umkehr wäre es, die Lebensmittelmenge zu reduzieren, nicht bloß umzuverteilen. Das muss auch Selina Juul eingestehen:

"Die We-food-Läden sind eine wunderbare Sache, aber sie packen das Übel nicht bei der Wurzel. Es wird immer noch zu viel produziert. Wenn wir unser Ziel erreichen, dann muss es keine We-food-Läden mehr geben."

Selina Juul, Initiative gegen Lebensmittelverschwendung

Dennoch ist in Dänemark eine Wende geschafft. Der Verschwendungswahnsinn wurde deutlich gebremst, um 25 Prozent; für Selina Juul auch ein persönlicher Erfolg. Ihr Motiv, sich zu engagieren, führt sie auf ihre Jugend in der untergegangenen Sowjetunion zurück:

"Der Kommunismus war zusammengebrochen, die Lebensmittel wurden rationiert, die Läden waren leer. Wir hatten gar kein Essen, das wir wegwerfen konnten. Wir hatten großen Respekt vor unseren Lebensmitteln. Als ich dann vor 25 Jahren nach Dänemark kam, war ich schockiert, als ich die riesige Menge an Lebensmitteln sah!"

Selina Juul

Juul will Discounter von ihrer Idee überzeugen, in Zukunft weniger Mengenrabatte anzubieten, sondern Rabatt auf Einzelprodukte zu geben. Vor allem die Kunden müssten im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung aber mitmachen.

"Es ist gut, etwas dagegen zu machen, um nachhaltig leben zu können und die Umwelt zu schonen."

Eine Kundin

"Die Läden sollten besser abschätzen, was die Kunden brauchen und es verkaufen, bevor die Sachen schlecht werden."

Ein Kunde

Ob mehr oder weniger Lebensmittelverschwendung, auch in Dänemark müssten wohl die Kunden ihren Kaufrausch bremsen. Aktivistinnen wie Selina Juul sind es, die sie in den Supermärkten versuchen zu bekehren.


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