Hoffnung - Die Stille Kraft
Wenn nichts mehr geht, dann bleibt die Hoffnung. Sie stirbt bekanntlich zuletzt. Hoffnung gibt Kraft und hält am Leben. Doch die Hoffnung hat auch eine Kehrseite: dann nämlich, wenn sie träge und faul macht. Autorin: Karin Lamsfuß (BR 2020)
VON: Karin Lamsfuß
Ausstrahlung am 14.2.2024
SHOWNOTES
Credits
Autorin dieser Folge: Karin Lamsfuß
Regie: Christiane Klenz
Es sprachen: Xenia Tiling und Stefan Merki
Technik: Susanne Harasim
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
Prof. Giovanni Maio, Medizinethiker Uni Freiburg;
Dr. Claus Eurich, Philosoph und emeritierter Ethik-Professor;
Wolfgang Jacobs, Theologe und Krankenhausseelsorger
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
MUSIK 1 (Z8000712 117 Carrie Newcomer: A Whole Lot Of Hope 0’40)
O-Ton 1 Maio:
Der hoffende Mensch ist derjenige, der weiß, dass die Zukunft offen ist.
O-Ton 2 Jacobs:
Hoffnung ist etwas, was die Leute brauchen, um sich am Leben zu halten.
O-Ton 3 Maio:
Der hoffende Mensch ist zugleich auch der, der im Hoffen immer zugleich auch bangt.
O-Ton 4 Eurich:
Hoffnung ist die Erwartung auf eine Zukunft, die möglicherweise besser ist als die Gegenwart und als die Vergangenheit.
O-Ton 5 Jacobs:
Die Erwartung, dass etwas Wünschenswertes eintritt, ohne die Gewissheit zu haben, dass es eintreten wird.
Sprecherin:
Die Hoffnung ist ein seltsames Ding: Kaum ein Tag vergeht, oft kaum eine Stunde, ohne dass Menschen nicht irgendetwas Zukünftiges erhoffen: Banales wie etwa, dass sie den Zug noch erwischen, die Kinder gute Noten bekommen, sich Oma über den Kuchen freut, die Aktienkurse steigen. Und Bedeutsames wie etwa, dass sie ihren Job behalten, die Ehe lange hält oder ein geliebter Mensch wieder gesund wird.
Der Mensch schreibt ständig Geschichten mit offenem Ausgang weiter – natürlich in der Hoffnung, dass diese glücken bzw. gelingen. Doch, das wird der Hoffnung im Kern nicht gerecht. Und so spielt das Leben auch nicht.
MUSIK 2 (Z8028426 102 Tindersticks: The Amputees 0’27)
Sprecherin:
Er war ein Sonnyboy. Kitesurfer. Sonnengebleichte, blonde Haare, braun gebrannt. Verena verliebte sich sofort in ihn. Nach dem Studium heirateten beide. Und hofften auf ein tolles, aktives, gemeinsames Leben.
O-Ton 7 Verena:
Und dann irgendwann dieser Dienstag-Abend war, wo wir zu dritt bei dem Arzt saßen, also mein Mann, sein Vater und ich, und der Arzt dann sagte: „Ich muss Ihnen die Mitteilung machen: Ja, Sie haben Multiple Sklerose“!
Und dann steht man da auf einmal und denkt: Das Leben ist jetzt erst mal zu Ende. Ich war 33 und er war 29.
MUSIK 3 (Z8028007 110 Max Richter: Hope strings eternal 0’27)
Sprecherin:
Es gab keine Hoffnung auf Heilung, maximal darauf, dass die Krankheit einen milden Verlauf nehmen würde. Zwei Jahre lang sah es so aus, als würde sich diese Hoffnung erfüllen. Kaum Symptome. Beide lernten mit der Krankheit zu leben.
O-Ton 8 Verena:
Und dann kam wirklich der totale Hammerschub, weil es ihn dann nicht nur am linken Bein getroffen hatte, sondern an der ganzen rechten Körperhälfte, die war dann quasi wie gelähmt. - So! Und das war wirklich der Punkt, wo unser Leben auf den Nullpunkt gesetzt worden ist. Es ist die Frage: wird er sich überhaupt irgendwie rühren können? Oder ist er jetzt irgendwie so’ n Schwerstpflegefall?
Sprecherin:
Alle Hoffnung war zerstört. Und nun?
MUSIK 4 (C1637800 101 Martin Tingvall: Hope 0’42)
Sprecherin:
Die Philosophie gibt hier nur wenige Antworten. Nur ganz wenige philosophische Werke - wie etwa „das Prinzip Hoffnung“ des deutschen Philosophen Ernst Bloch - beschäftigen sich mit der Hoffnung.
Dabei geht es bei diesem Thema eigentlich um eine ganz grundlegende philosophische Frage: Wie kann Leben gelingen – mit all seinen Wünschen und Sehnsüchten auf der einen Seite und der Möglichkeit des Scheiterns dieser Wünsche auf der anderen Seite?
O-Ton 9 Eurich:
Da schwingt dann natürlich auch immer Hoffnung mit. Und da handelt es sich dann aber um eine andere Dimension von Leben und Lebensorientierung, die nicht nur mit Haus und Partnerschaft und so was zu tun hat. Sondern da betreten wir wirklich den tiefen Boden des Seins.
Sprecherin:
Dr. Claus Eurich, Philosoph und emeritierter Professor für Ethik.
Zitator:
Hoffnung ist der Regenbogen über dem herabstürzenden Bach des Lebens. …
Sprecherin:
Meinte Friedrich Nietzsche.
Hoffnung ist vor allem dort wichtig, wo der Mensch nicht mehr handeln kann. Weil es nicht in seiner Macht liegt. Oder weil alles getan ist. Dann hilft nur noch die Hoffnung. Oder das Gebet. Hoffnung im tieferen Sinne ist also keine Gier nach kurzfristiger Wunscherfüllung, sondern eine Grundhaltung zum Leben mit all seinen Widrigkeiten und Unwägbarkeiten.
O-Ton 10 Maio:
Wenn man sich fixiert auf eine ganz bestimmte Form der Zukunft, dann hoffe ich nicht. Dann erwarte ich etwas. Wenn diese Erwartung nicht eintritt, dann verzweifle ich.
Sprecherin:
Giovanni Maio, (sprich: Ma-jo) Professor für Medizinethik an der Uni Freiburg. Er hat ein Buch geschrieben über die „Kunst des Hoffens“ bei schwerer Krankheit.
Er sagt: Wirkliche Hoffnung entspringt einer Haltung jenseits von vordergründigem Optimismus, von „alles wird gut“. Sie ist eher verortet im den inneren Sphären der Zuversicht, des Vertrauens:
O-Ton 11 Maio:
Am Anfang hofft man auf etwas ganz Bestimmtes. Und das ist ganz natürlich, dass man hofft, dass man nicht krank ist. Und hofft, dass es heilbar sein wird. Das ist ganz normal und nachvollziehbar. Aber wir haben zwei verschiedene Formen von Hoffnung: die eine Hoffnung, die sagt „Ich hoffe, dass …“ und die andere Hoffnung, die da sagt: „Ich bleibe dennoch hoffend“.
Zitator:
Trotzdem! Dennoch! Jetzt erst recht!
Sprecherin:
Das ist die wahre Sprache der Hoffnung. Diese Hoffnung ist nicht auf ein bestimmtes Ziel fixiert. Sie geht tiefer.
Zitator:
Die Hoffnung hilft uns leben …
Sprecherin:
Sagte schon Johann Wolfgang von Goethe
MUSIK 5 (C1594660 107 Hadar Noiberg: Hope 0’25)
Sprecherin:
Verena und ihr Mann wussten: Der letzte Krankheitsschub hatte alles verändert. Seine Beine funktionierten nicht mehr. Also musste eine barrierefreie Wohnung her. Denn Treppensteigen war unmöglich geworden. Autofahren auch. Wie ihr Alltag künftig aussehen könnte, das wussten beide nicht.
O-Ton 12 Verena:
Als er im Krankenhaus war und es wirklich gerade so schlimm war, dann saß er da im Rollstuhl und sagte: „Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr“. Und wir beide dann geheult haben wie die Schlosshunde und nicht mehr weiterwussten, und alles war schwarz.
MUSIK 6 (C1594660 107 Hadar Noiberg: Hope 0’22)
Sprecherin:
In Grenzsituationen wie einer schweren Erkrankung zeigt sich der Charakter der stärkenden Seite der Hoffnung besonders. Weil es hier um das kostbarste Gut geht: um die Unversehrtheit des Körpers. Um das Leben. Natürlich hofft jeder zunächst auf Heilung. Doch was ist, wenn das nicht klappt? Bleibt die Heilung aus, ist alles hoffnungslos.
O-Ton 13 Maio:
Wenn man am Anfang die Hoffnung reduziert auf ‚Ich will unbedingt Heilung, wenn nicht, dann ist alles sinnlos‘. Das ist Ausdruck nicht nur von Hoffnungslosigkeit, sondern es ist Ausdruck von Ungeduld, es ist auch Ausdruck von fehlender Klarsichtigkeit. Der Hoffende sieht ganz klar. Und er glaubt daran, dass er innere Ressourcen hat, um auch das Vergebliche so anzugehen, dass keine Sinnlosigkeit eintritt.
Sprecherin:
Die Hoffnung hat unzählige Gesichter. Mal ist sie zaghaft, mal ist sie stark. Sie keimt auf, sie wird wieder zerstört. Sie verändert sich stetig. Immer aber ist sie im Fluss.
O-Ton 14 Maio
Hoffnung hat drei Elemente: Sie ist einerseits Erkenntnis: zu erkennen, wie bedrohlich die Zukunft ist; zugleich ist sie aber auch ein Gestimmtsein, im Sinne des Offenbleibens bezogen auf die Zukunft. Und sie ist drittens Phantasie. Die Bereitschaft, die Zukunft wirklich als offen anzuerkennen und daran zu glauben, dass sich Dinge ereignen, die einem doch Kraft geben können.
MUSIK 7 (MR036260 104 Edmar Castaneda & Gregoire Maret: Hope 0’41)
Sprecherin:
Hoffen ist also: wissen, dass nichts sicher ist. Und trotzdem vertrauen, dass genügend Ressourcen da sind, um Herausforderungen zu meistern.
So bewegt sich die konkrete Hoffnung weg von der Fixierung auf ein bestimmtes Ziel hin zu einem grundsätzlichen Vertrauen. Also nicht:
Zitator:
Alles wird gut!
Sprecherin:
Sondern:
Zitator:
Auch wenn es nicht gut wird, wird es einen Weg geben, damit umzugehen.
O-Ton 15 Verena:
Also ich habe gemerkt: Natürlich kommen dann manchmal so Ängste hoch: Ach, wenn’s doch so bleibt, was machen wir denn dann? Und dann habe ich gedacht: Damit setzt du dich auseinander, wenn’s so ist, und in dem Moment, wo noch die Hoffnung besteht, dass es wieder besser wird, hältst du dran fest.
Zitator:
Die Hoffnung mag eintreffen oder nicht, so hat sie doch das Gute, dass sie die Furcht verdrängt.
Sprecherin:
Meinte der deutsche Schriftsteller Jean Paul im 18. Jahrhundert.
MUSIK 8 (Z8028982 103 Ed Hogston: Memories 0’30)
Sprecherin:
Wolfgang Jacobs ist Theologe, ehemaliger Pfarrer und hat lange als Krankenhausseelsorger gearbeitet. 14 Jahre lang hat er täglich Gespräche geführt mit Menschen, die hofften und die bangten. Aber niemand, so erinnert er sich, hatte die naive Hoffnung, dass alles wieder gut werden möge.
O-Ton 16 Jacobs:
Bei Menschen, die einen Bezug zur Religion oder Spiritualität haben, war das die Hoffnung darauf, dass eine Gottheit oder eine Macht oder eine Kraft ihnen so etwas gibt wie die Zuversicht, dass das, was ihnen da widerfährt, sowohl ne Form von Sinn hat, als auch etwas ist, das nicht ganz aussichtslos ist.
Zitator:
Durch ein unerklärliches Phänomen haben viele Leute Hoffnungen, ohne Glauben zu besitzen.
Sprecherin:
… sagte der französische Philosoph Honoré de Balzac. Und weiter heißt es in dem Zitat:
Zitator:
Die Hoffnung stellt die Blüte des Wunsches dar, der Glaube ist die Frucht der Gewissheit.
Sprecherin:
Gläubige Menschen tun sich manchmal leichter mit der Hoffnung. Sie legen ihr Leben in Gottes Hand und fühlen sich auch in schwierigen Lebenslagen beschützt und getragen. Als würde eine höhere Macht gut für sie sorgen – so beschreiben viele ihr Gefühl. Die Hoffnung trägt und stärkt also.
Aber ihre Kraft wird auch manchmal missbraucht. Etwa, um aussichtslose Therapien durchzusetzen. Oder um die eigene Hilflosigkeit nicht zugeben zu müssen, so Medizinethiker Giovanni Maio:
O-Ton 17 Maio:
Wenn die Medizin glaubt, sie kann nur dann Hoffnung vermitteln, wenn sie Heilung verspricht, dann ist sie oft sehr vollmundig. Und dann macht sie oft auch Therapien, die im Grunde nicht immer sinnvoll sind. Weil sie meint, nur so Hoffnung vermitteln zu können, stattdessen müsste man sich wirklich intensiv mit dem Patienten beschäftigen und über sein Bangen reden und auf diese Weise tiefer zu denken und zu erkennen, woran einem wirklich liegt. Und inwiefern man das, woran einem liegt, immer noch verwirklichen kann. Auch im Zustand der Unheilbarkeit.
Zitator:
Die Hoffnung stirbt zuletzt!
Sprecherin:
Lautet eins der vielleicht meistzitierten deutschen Sprichwörter …
MUSIK 9 (Z8025975 102 Christopher Dierks: Hope 1’00)
Sprecherin:
Der Mensch braucht Hoffnung zum Leben. Zum Überleben. Gerade in schwierigsten Zeiten. Die Frage ist jedoch: Worauf genau bezieht sich die Hoffnung?
O-Ton 18 Jacobs:
Ich glaube, Hoffnung braucht als Basis das Gefühl von Geborgenheit. Gut im Leben zu sein sozusagen. Sich aufgehoben fühlen. Worin auch immer. Das kann religiös, das kann spirituell sein, das kann auch Philosophisches sein. Aber eine Basis zu haben, worin ich mich aufgehoben und geborgen fühle. Das ist, glaube ich, das Zentrale für Hoffnung.
Sprecherin:
Hoffnung kann aber auch zur Zumutung werden. Nämlich dann, wenn sie zur Verpflichtung wird. Wenn Angst, Verzweiflung und Mutlosigkeit keinen Platz finden und stattdessen immer nur Hoffnung verbreitet werden soll.
O-Ton 19 Verena:
Das Allerschlimmste war, alleine auf weiter Flur die Optimismus-Frau zu spielen. Das heißt, diese Zuversicht auszustrahlen: für mich, für ihn und dann auch noch für seine ganze Familie. Ich sag mal so: Es war ein bisschen so, als wenn ich alleine wie Jeanne d’Arc vor so nem Heer von Leuten stehe, die mich alle attackieren mit diesen Ängsten – es gab gar keine Alternative, außer: Ich muss jetzt diese Zuversicht ausstrahlen – auch für mich selber.
Sprecherin:
Der Theologe und Krankenhausseelsorger hält diesen „Zwang zur Hoffnung“ für fatal:
O-Ton 20 Jacobs:
Weil die Angehörigen dann meinen: indem sie so was wie Zuversicht und Hoffnung verbreiten, „du schaffst das schon“, würde dem Patienten auch noch mal geholfen. Das Fatale ist: Ich habe dann häufig erlebt, dass Patienten, wenn ich mit ihnen gesprochen habe – ohne die Angehörigen – gesagt haben: „Ja, die meinen immer noch, es würde gehen. Aber ich weiß ja, dass es nicht mehr geht. Aber ich will denen auch nicht die Hoffnung nehmen. Also es ist etwas, wo ganz paradoxe Geschichten ablaufen.
Sprecherin:
„Ein Spiel mit der Hoffnung“ nennt Wolfgang Jacobs das. Ein Spiel, indem sich alle Beteiligten etwas vormachen. Ein Spiel, das das vielleicht Wichtigste in dem Augenblick verhindert: nämlich sich mit dem auseinanderzusetzen, was ist.
MUSIK 10 (Z8026958 125 Glimmer of hope c 0’55)
Sprecherin:
Tiefe Hoffnung wirkt kraftspendend und falsche Hoffnung zerstörerisch. Der Nährboden wahrer Hoffnung ist Geborgenheit oder spirituelle Verortung – ganz gleich, wie sie aussieht.
Hoffnung kann aber auch fadenscheiniges Mittel zum Zweck sein: Um eine Fassade aufrecht zu halten. Oder um sich selbst zu beruhigen. Oder vor der Realität zu fliehen.
Zitator:
Wer sich von der Hoffnung nährt, ist stets in der Schwebe und lebt nicht.
Sprecherin:
Das meinte schon vor fast 500 Jahren der niederländische Theologe und Humanist Erasmus von Rotterdam. Friedrich Nietzsche formuliert es noch zugespitzter:
Zitator:
Sie ist in Wahrheit das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert.
Sprecherin:
Hoffnung, die quält, Hoffnung, die wirkliches Leben verhindert: Diese Hoffnung kann wie ein Kleber sein. Ein Kleber, der Menschen an etwas festhalten lässt, das ihnen nicht guttut: Sie hoffen:
Zitator:
… dass der schreckliche Nachbar endlich freundlich wird …
Sprecherin:
… dass der Verflossene endlich zurückkehrt …
Zitator:
… dass der selbstherrliche Chef endlich mal ein Lob ausspricht …
Sprecherin:
Falsche Hoffnungen: Diese Hoffnungen sind toxisch. Sie halten gefangen in einer Phantasie, die wahrscheinlich niemals Wirklichkeit wird.
Zitator:
Nichts ist leichter als Selbstbetrug. Denn was ein Mensch wahrhaben möchte, hält er auch für wahr.
Sprecherin:
Fand der griechische Redner Demosthenes schon 300 Jahre vor Christus.
Hoffnung als Illusion. Als Flucht vor der Realität. Und als willkommene Ausrede, die Hände in den Schoß zu legen.
Hoffnung wird in dem Moment missbraucht, wenn sie an die Stelle der Handlung tritt. Und unbedingt notwendige Schritte verhindert.
MUSIK 11 (Z8028982 105 Ed Hogston: Wandering 0’40 / im Hintergrund gleichzeitig MUSIK 12 Z9507313 208 Plan B: Hope in hell 0‘25)
Sprecherin:
Spätsommer 2019: 11.000 internationale Wissenschaftler erklären den „Klima-Notfall“. Und warnen:
Zitator:
Sollten die Menschen ihr Verhalten nicht radikal ändern, wird unermessliches Leid auf sie zukommen!
Sprecherin:
Am gleichen Tag verkündet der Tagesschau-Sprecher:
Zitator:
Die Deutschen sind nach einer aktuellen großen Studie, dem „Glücksatlas“ zufrieden wie noch nie.
Sprecherin:
Wie geht das zusammen? Die Menschheit fährt - lapidar ausgedrückt - ihren Planeten gerade vor die Wand - und die Deutschen sind glücklich und zuversichtlich wie noch nie? Hat ihnen die vermeintliche Hoffnung, dass doch noch alles gut werden möge, vielleicht einen bösen Streich gespielt?
Der Philosoph Claus Eurich nennt dies in Anlehnung an den Theologen Karl Barth:
Zitator:
Billige Hoffnung
O-Ton 21 Eurich:
Billige Hoffnung, das wäre die, die nicht wirklich in die Analyse von Situationen hineingeht. Die auch nicht in das Nachspüren in sich selbst reingeht, also die Selbstreflektion in der Tiefe wirklich fehlt. Und die dann in so Sprüchen mündet wie „Es wird schon alles gut werden“. Und: „Die Dinge werden sich schon fügen“. Das ist eine Hoffnung, wo man auch sagen könnte: Die gründet auch schlicht in fehlender Erkenntnis! Oder in fehlender Information.
Sprecherin:
Billige Hoffnung beschwichtigt kurzfristig. Und sie lähmt langfristig. Sie verhindert, die wirklich wichtigen Schritte zu tun.
Zitator:
Hoffnung statt Handeln.
Sprecherin:
Die billige Hoffnung ist die destruktive Seite der Hoffnung. Die dunkle Schwester der …
Zitator:
Tätigen Hoffnung
Sprecherin:
Tätige Hoffnung schaut hin, analysiert klar und handelt.
O-Ton 22 Maio:
Deswegen ist der hoffende Mensch immer ein Mensch, der sich engagiert für seine Zukunft. Der hoffende Mensch ist eben nicht der Fatalist, der dann schicksalsergeben die Zukunft einfach abwartet, sondern es ist derjenige, der an die Zukunft glaubt und deswegen sie gestalten möchte!
Sprecherin:
Sagt Medizinethiker Giovanni Maio.
Billige Hoffnung ist fatal, und tätige Hoffnung dringend nötig. Wahrscheinlich war es in der Menschheitsgeschichte noch nie nötiger, dringender und wichtiger, als in der tätigen Hoffnung zu leben, findet Claus Eurich:
O-Ton 23 Eurich:
Tätige Hoffnung hat auch keine Gewissheit, dass sich etwas so ereignen wird, wie wir es brauchen oder wir es ersehnen, aber sie spürt, dass sie einen Beitrag leisten muss. Das heißt, das ist dann ein partnerschaftliches Verhältnis, in dem wir selber eine tragende Rolle haben.
Und in einem partnerschaftlichen Verhältnis gibt es nie nur das Nehmen. Da gibt es immer auch die Notwendigkeit des Gebens.
Zitator:
Es ist besser ein einziges kleines Licht anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen.
Sprecherin:
Dieses Zitat ist mehr als 2.000 Jahre alt und stammt von Konfuzius.
Tätige Hoffnung als Aufwachen aus der Lethargie, der Saturiertheit, der Selbstbezogenheit.
O-Ton 24 Eurich:
Es geht hier um die Menschheit, und es geht hier um die Schöpfung. Wir haben diese Erde erhalten, auf der wir uns entwickeln konnten, entwickeln durften, haben sie halt gnadenlos ausgebeutet, getreten, misshandelt und sind jetzt kurz davor, selber im Staub zu liegen. Wenn wir überhaupt noch eine Möglichkeit haben wollen, eine Chance haben wollen, dann stehen wir jetzt in einer Bringschuld. Dann sind wir jetzt einfach dran zu geben, zurückzugeben.
MUSIK 13 (Z8028982 104 Ed Hogston: Free forever 0’53)
Sprecherin:
Menschen gehen wieder auf die Straße, vor allem junge Menschen. Schüler protestieren Seite an Seite mit Eltern, Großeltern und Wissenschaftlern.
Claus Eurich befürchtet: Ohne radikale Umkehr wird es nicht gelingen.
O-Ton 26 Eurich:
Umkehr bedeutet, unseren Bezug zum Leben auf vollkommen neue Füße zu stellen. Und uns neu in der Lebenseinheit zu erkennen, zu sehen, und uns entsprechend zu verhalten. Nach meiner Auffassung ist dies nicht nur eine Aufgabe, sondern es wäre ein evolutionärer Schritt. Der mit dem gegenwärtigen Bewusstsein und dem gegenwärtigen Ich-Bezug auf allen Ebenen – vom Egozentrismus bis zum Anthropozentrismus – in keiner Weise angegangen werden kann.
Sprecherin:
Gier, Machtstreben, Lethargie – all das steht dem radikalen Wandel im Weg. Ein wenig Kosmetik hier, ein kleines Schräubchen dort, an dem gedreht wird. Vielleicht heißt Hoffnung in Anbetracht dieses übermächtigen Gegenwindes auch Hoffnung auf ein Wunder?
O-Ton 27 Eurich:
Und damit ist auch klar, dass wir ohne ein Entgegenkommen dessen, was wir das ‚Schicksal‘ nennen, wohl keine wirkliche Zukunft haben. Ein älterer priesterlicher Freund, den ich mal besucht habe - wir saßen abends zusammen, und er konnte immer ganz genau spüren, wo ich mental bin. Und dann merkte er mir auch ein bisschen die Niedergeschlagenheit an. Und er sagte: „Claus, ich glaube, du glaubst gar nicht mehr an Wunder! Wunder sind nämlich sicher“. Und dann kam noch der Satz hinterher: „Wunder aber wollen angestoßen werden!“
Sprecherin:
Immer wieder gab es Kippeffekte in der Menschheitsgeschichte. Wo einzelne Menschen etwas angestoßen haben, das zu einem ganzen Systemwechsel führte. Es lohnt sich also immer zu hoffen. Tätig zu hoffen.
MUSIK 14 (Z8028007 110 Max Richter: Hope strings eternal 0’30)
Sprecherin:
Verena und ihr MS-kranker Mann haben den Umzug in eine neue, barrierefreie Wohnung nun hinter sich. Er ist noch immer sehr eingeschränkt, geht am Rollator oder fährt im Rollstuhl. Die Hoffnung auf Heilung haben beide aufgegeben. Die Krankheit wird unaufhaltsam voranschreiten:
O-Ton 29 Verena
Aufgeben gilt nicht! Das ist wahrscheinlich tatsächlich das Erfolgsgeheimnis unserer Beziehung. Dass wir beide uns nicht unterkriegen lassen und beide festhalten an diesem „Es wird irgendwie weitergehen, wir schaffen das zusammen!“
MUSIK 15 (Z8000712 117 Carrie Newcomer: A Whole Lot Of Hope 0’40)
Sprecherin:
Hoffnung in der Hoffnungslosigkeit. Beides kann gleichzeitig nebeneinander existieren. Das kleine helle Fünkchen im großen dunklen Meer.
Das hat auch Krankenhausseelsorger Wolfgang Jacobs ganz oft erlebt. Es erfordert aber: nicht an falschen Hoffnungen und Pseudo-Optimismus festzuhalten, sondern sich dem Unausweichlichen zu stellen.
O-Ton 30 Jacobs:
Das ist Wahrhaftigkeit. Und ich glaube, dass in dieser Wahrhaftigkeit auch ne Menge Kraft steckt.
O-Ton 31 Eurich:
Ich glaube, das ist der Punkt, um den es geht: Tue, was du kannst - und nicht nur aus einer geistigen Überzeugung, sondern aus einer Herzensenergie heraus! Und dann auch einfach hoffend im Leben stehen, dass uns etwas entgegenkommt, mit dem wir im Moment noch nicht rechnen und das wir auch noch nicht sehen können. Was immer das sei!