Jemand bezahlt mit einer Bezahlkarte (Symbolbild)
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Bezahlkarte statt Bargeld für Asylbewerber: Was Bayern plant

Bund und Länder haben sich darauf geeinigt, Asylleistungen künftig mit Bezahlkarten abzuwickeln. Bayern will Vorreiter sein und arbeitet bereits an der Umsetzung. Wie sinnvoll ist so eine Geldkarte überhaupt?

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Sachleistungen und Bezahlkarten statt Bargeld sollen Asylbewerber in Deutschland künftig bekommen. Darauf haben sich Bund und Länder schon bei einem Treffen am 13. Oktober geeinigt. Beim Migrationsgipfel Anfang November haben sie den Plan konkretisiert.

Laut Beschlusspapier streben die Länderchefs die "Einführung von bundeseinheitlichen Mindeststandards für die Bezahlkarte" an. Eine Arbeitsgruppe soll bis Ende Januar 2024 ein Geldkarten-Modell erarbeiten. So lange will Bayern aber nicht warten. Im Freistaat arbeitet das Innenministerium bereits an der Umsetzung. Ein Überblick über die wichtigsten Fragen.

Was hat Bayern vor?

Bayern will, dass Asylleistungen konsequent auf Sachleistungen und Bezahlkarten umgestellt werden. Statt mit Bargeld sollen Geflüchtete, die im Asylantragsverfahren sind oder einen Duldungsstatus haben, ihre Einkäufe über eine Karte abwickeln.

Zwar könnten Asylbewerber laut Innenminister Joachim Herrmann (CSU) auch weiterhin "einen kleinen Anteil Bargeld" erhalten. Der Großteil der Leistungen soll aber über Geldkarten ausgezahlt werden. Mit der Bezahlkarte "kann jeder nach Belieben einkaufen – im Rahmen des zur Verfügung stehenden Geldbetrages", erklärt Herrmann. CSU und Freie Wähler haben die Umstellung auf ein Bezahlkartensystem auch in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten.

Ab wann soll es Bezahlkarten für Asylbewerber geben?

Bald soll nach Angaben des bayerischen Innenministeriums die Ausschreibung für ein Bezahlsystem starten. Das Kabinett befasst sich voraussichtlich schon am kommenden Dienstag mit der Thematik. Der Freistaat plant die konkrete Umsetzung zum Frühjahr 2024.

Offen ist noch, ob die Pläne des Bundes mit denen des Freistaats zusammenpassen. Innenminister Herrmann befürchtet, dass eine bundesweite Umsetzung deutlich länger dauert als ein bayerischer Alleingang. Schließlich werden auf Bundesebene jetzt erst einmal die Rahmenbedingungen für eine Bezahlkarte erörtert. Das Problem also: Wenn Bayern vorprescht und ein eigenes System erarbeitet, muss das womöglich in ein bundesweit einheitliches System integriert werden, das aber erst später feststehen wird. Das birgt die Gefahr, dass Bayern sein Bezahlkartensystem umarbeiten müsste. "Das muss man sorgfältig abwägen: Können wir in Bayern ein Stück weit vorangehen?", sagt Herrmann auf Nachfrage von BR24.

Was sollen Bezahlkarten bringen?

In der politischen Debatte werden Bargeldzahlungen als Anreiz dafür gesehen, dass Asylbewerber nach Deutschland kommen. Geflüchtete könnten die staatlichen Hilfen in ihre Heimatländer überweisen, so die Auffassung mancher Politiker – zum Beispiel aus der Union und der FDP.

Laut Bayerns Innenminister Herrmann soll die Umstellung auf Sachleistungen und Bezahlkarten auch verhindern, dass die Asylbewerber "Drogen kaufen oder Geld an Schlepperbanden in Afrika" schicken. Ob die Karte somit nur für bestimmte Läden oder Produkte gelten soll (zum Beispiel nicht für Alkohol), wird derzeit noch geprüft. Der Freistaat plant aber, Überweisungen ins Ausland zu sperren und prüft, auch Bargeldabhebungen auszuschließen.

Würden weniger Menschen kommen?

Migrationsforscher bezweifeln, dass die Umstellung auf Sachleistungen dazu führen wird, dass weniger Menschen nach Deutschland kommen. Es werde viel mit ökonomischen Faktoren argumentiert, sagt Oliviero Angeli, wissenschaftlicher Koordinator des Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM) an der Technischen Universität Dresden. "Aber die Gründe zu flüchten sind sehr viel vielfältiger."

Eine große Rolle spiele beispielsweise die Perspektive in einem Land. "Deutschland hat in vielen arabischen Ländern das Ansehen eines wirtschaftlich starken Landes. Die Menschen verbinden damit die Möglichkeit zu arbeiten und kommen mit dieser Hoffnung. Außerdem gibt es in Deutschland bereits eine Community von geflüchteten Menschen, die bei der Ankunft helfen."

Welche Leistungen bekommen Geflüchtete aktuell?

Für Asylbewerber, geduldete und ausreisepflichtige Personen gilt das Asylbewerberleistungsgesetz. Darin ist geregelt, wer welche Leistungen erhält. Die orientieren sich in der Höhe an den anderen Sozialleistungen und sind abhängig von verschiedenen Bedarfsstufen. Alleinstehende erhalten zum Beispiel einen monatlichen Satz von 410 Euro, Erwachsene in einer stationären Einrichtung 328 Euro. Leben Menschen länger als 18 Monate in Deutschland, erhalten sie höhere Sätze, sogenannte Analogleistungen zum Sozialgesetzbuch. Bei Alleinstehenden sind das 502 Euro im Monat.

Die Frage ist aber auch, wie diese Leistungen vergeben werden, ob etwa als Barzahlung, Gutschein oder Sachleistung. In einer Erstaufnahmeeinrichtung erhalten die Menschen hauptsächlich Sachleistungen, also etwa Kleidung oder Kantinenessen. Außerhalb der Erstaufnahmeeinrichtungen erhalten sie vorrangig Geldleistungen. Der sogenannte "notwendige Bedarf", wie Kleidung und Essen, darf aber in bestimmten Fällen auch durch Sachleistungen gedeckt werden. Der Betrag für den "notwendigen persönlichen Bedarf", etwa Fahrkarten oder Telefonleistungen, ist auszuzahlen.

Welche praktischen Einwände gibt es?

Der Deutsche Städtetag befürchtet einen erhöhten Verwaltungs- und Bürokratieaufwand durch die Einführung von Bezahlkarten. Und das in einer Zeit, in der sich Landkreise und Kommunen ohnehin an der Belastungsgrenze sehen. Aus Sicht des Deutschen Städte- und Gemeindebundes ist es daher wichtig, dass es eine möglichst bundeseinheitliche Lösung gibt. "Wir brauchen keinen weiteren Flickenteppich unterschiedlicher Lösungen", so Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg. Eine Bezahlkarte müsse wie eine Giro- oder Debitkarte funktionieren und "universell in Geschäften des täglichen Bedarfs" und etwa auch im öffentlichen Nahverkehr einsetzbar sein.

Der Deggendorfer Landrat Bernd Sibler (CSU) hingegen lobt die geplante Umwandlung von Bargeldleistungen in direkte und indirekte Leistungen – insbesondere die Bezahlkarte. Das sei zwar zunächst mit Aufwand verbunden, gleichzeitig aber auch ein wichtiges Signal nach außen und innen. Ähnlich sieht es Innenminister Herrmann. Er geht davon aus, dass sich der Verwaltungsaufwand reduziert, wenn die Karte erst einmal eingeführt ist.

Ist eine Bezahlkarte verfassungsgemäß?

An sich spricht im geltenden Recht nichts gegen das Sachleistungsprinzip. Es kommt auf die konkrete Ausgestaltung an. Der Politikwissenschaftler Oliviero Angeli von der TU Dresden verweist darauf, viele der aktuellen politischen Forderungen seien noch "vage und recht undifferenziert": "Die neuen Vorschläge unterliegen dann auch der gerichtlichen Prüfung." Hinweise darauf, wie diese Prüfung ausfallen könnte, liefert ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2012. Darin ging es zwar nicht direkt um die Art der Leistung, sondern um deren Höhe. In dem Urteil heißt es: "Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren." Heißt: Die Leistungen dürfen nicht gekürzt werden, um damit Menschen abzuschrecken.

Das könne man auf die Forderung nach einer Umstellung auf Sachleistungen oder Bezahlkarten übertragen, sagt Frederik von Harbou, Professor für Rechtswissenschaften an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena und Experte für Migrationsrecht. Konkret bedeutet das: Das Recht auf eine menschenwürdige Existenzsicherung muss auch gegeben sein, wenn Asylbewerber mit Sachleistungen oder Bezahlkarten versorgt werden. Doch kann man noch von "menschenwürdiger Existenzsicherung" sprechen, wenn die Asylbewerber gar keinen Geldbetrag mehr zur freien Verfügung hätten? Und was wäre, wenn bestimmte Artikel, wie Zigaretten oder Alkohol, für Asylbewerber beim Einkauf gesperrt würden?

Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gibt es dazu noch nicht. Wie es urteilen würde, ist Spekulation, sagt der Jurist von Harbou. Er selbst sieht aber durchaus rechtliche Grenzen, zum Beispiel, wenn die Asylbewerber über einen längeren Zeitraum gar kein Geld mehr zur freien Verfügung haben.

Ziehen Menschen dorthin, wo die Sozialleistungen höher sind?

Das hat eine Studie untersucht, die Anfang dieses Jahres im "American Journal of Political Science" erschienen ist und in der Schweiz durchgeführt wurde. Wissenschaftler sind darin der Frage nachgegangen, ob Menschen häufiger umziehen, um höhere Sozialleistungen zu erhalten. In der Schweiz sind die Leistungen je nach Kanton unterschiedlich. Einen Zusammenhang konnten die Wissenschaftler allerdings nicht beobachten. Viel wichtiger war für die Migranten der Studie zufolge, wie viele Menschen aus der eigenen Community bereits an einem Ort lebten.

Anders sieht das hingegen in einer Studie der Princeton University aus dem Jahr 2019 aus, die Migrationsbewegungen nach Dänemark untersucht hat. Dort wurden 2002 die Sozialleistungen gesenkt, 2012 angehoben und 2015 erneut gesenkt. Der Studie zufolge hat sich das auch im Zuzug widergespiegelt.

An der Studie gibt es allerdings auch viel Kritik: Denn sie lässt außen vor, dass Dänemark zugleich weitere Asylgesetze verschärft hat. Der Familiennachzug wurde etwa deutlich erschwert, den Menschen wurden damals an der Grenze ihre Wertsachen abgenommen, und es gab eine Regel, der zufolge in einem Stadtviertel nur maximal 30 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner von außerhalb der EU stammen durften.

Migrationsforscher Angeli sagt: Die Studie sei zu "monokausal". Und: Es müsse grundsätzlich unterschieden werden zwischen Faktoren, die Menschen zur Flucht veranlassen, und Faktoren, die die Verteilung beeinflussen. "Dass Menschen für Sozialleistungen ihr Land verlassen, ist unplausibel, aber schärfere Asylgesetze können einen Einfluss auf die Verteilung haben." Die Sozialleistungen spielten dabei aber nur eine marginale Rolle.

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