Alle 50 Bauplätze im Neubaugebiet in Höchstädt werden mit sogenannter "Kalter Nahwärme" versorgt.
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Alle 50 Bauplätze im Neubaugebiet in Höchstädt werden mit sogenannter "Kalter Nahwärme" versorgt.

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Verzicht auf Gas und Öl: Heizen mit "Kalter Nahwärme"

Die Preise für Öl und Gas sind hoch. Das Heizen mit erneuerbaren Energien wird deshalb attraktiver. In Höchstädt wird ein Neubaugebiet jetzt zentral mit sogenannter "Kalter Nahwärme" versorgt. Die Technik könnte Vorbild für viele Gemeinden sein.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau - Der Süden am .

Das Neubaugebiet "Unterfeld" im schwäbischen Höchstädt a.d. Donau sieht aus wie viele andere Neubaugebiete. Der Unterschied: Mittendrin steht ein zentrales Versorgungsgebäude, in etwa so groß wie eine Garage. Darin steckt das Herzstück der "Kalten Nahwärme". Die Häuser auf den 50 Bauplätzen werden, vereinfacht gesagt, mit der Wärmeenergie des Grundwassers geheizt.

Ein nur zehn Grad warmer Kreislauf reicht zum Heizen

Das Grundwasser hat fast überall in Bayern konstant eine Temperatur von acht bis zehn Grad. Mit einem Wärmetauscher werden diese zehn Grad auf einen Kreislauf von Wasserleitungen in dem Viertel übertragen. Jedes Haus ist daran angeschlossen.

Im Heizungsraum der Häuser steht dann jeweils eine Wärmepumpe. Die ist elektrisch betrieben und entzieht dem zehn Grad warmen Kreislauf Wärmeenergie. Damit wird geheizt und Warmwasser bereitgestellt. Danach ist das Wasser nur noch fünf Grad warm beziehungsweise kalt. Dem Wasser wurde also Wärmeenergie entzogen, die jetzt in der Heizung steckt.

Auf Öl und Gas kann verzichtet werden

So eine Wärmepumpe ist schon im Heizungsraum bei Familie Schaaf in Betrieb. Von "Kalter Nahwärme" hatte er bisher noch nichts gehört, sagt Johann Schaaf, "aber als wir dann nach der Bewerbung für den Bauplatz erfahren haben, was kalte Nahwärme ist, hat uns das noch mehr motiviert, unbedingt hier ein Grundstück zu bekommen und hier zu bauen!"

Auch mit Blick auf die Umwelt: "Gerade in der heutigen Zeit sind wir schon froh, dass wir jetzt unabhängig sind von Öl und Gas und eine grüne Energiequelle nutzen", sagt Schaaf. Bei der kalten Nahwärme kommen 80 Prozent der Energie fürs Heizen quasi gratis aus dem Grundwasser, die übrigen 20 Prozent macht der Strom für die Wärmepumpe aus.

  • Zum Artikel "Was bei Wärmepumpen zu beachten ist – die wichtigsten Antworten"

Die zentrale Infrastruktur spart Kosten

Langfristig ist das Heizen mit kalter Nahwärme nicht nur klimafreundlich, sondern auch günstig – vor allem bei den extrem hohen Gaspreisen aktuell. In der Anschaffung müssen die Häuslebauer in Höchstädt mit 10.000 bis 15.000 Euro vor allem für die Wärmepumpe im eigenen Haus rechnen.

Der Vorteil: Nicht jeder muss sich dann noch einen Grundwasserbrunnen in den eigenen Garten bauen. Die Technik gibt es ja zentral für das ganze Neubaugebiet. Das ist effizient und spart Kosten. Die Lechwerke haben das Netz gebaut und beheben auch Störungen. Für diese Infrastruktur zahlt jeder rund 150 Euro im Jahr. Pro Kubikmeter Wasser aus dem Kreislauf, der durch die Wärmepumpe geht, werden 24 Cent fällig.

Photovoltaik auf dem Dach senkt die Stromkosten

Entscheidend bei den Kosten für die kalte Nahwärme ist aber der Strom. Die Wärmepumpe braucht im Schnitt 3.000 Kilowattstunden pro Jahr – gerechnet auf eine vierköpfige Familie. Wer sich eine Photovoltaik-Anlage aufs Dach baut, produziert den Strom dafür selbst.

Das ist deutlich günstiger, als den Strom über das öffentliche Netz zu beziehen. Bei Ein- und Zweifamilienhäusern ist in der Regel genug Platz auf den Dächern für Photovoltaik. Für den Klimaschutz ist das die beste Lösung.

Leitungen im Boden brauchen keine Isolierung

Die Grundstückspreise in dem Höchstädter Neubaugebiet liegen bei rund 190 Euro pro Quadratmeter und sind damit nicht teurer als bei vergleichbaren Flächen in der Region. Bei der Erschließung musste zwar der Wasserkreislauf verlegt werden, dafür konnte man sich aber das Erdgasnetz sparen.

"Der große Vorteil ist, dass ich hier keine Wärmeverluste habe", sagt Ulrich Haselbeck von den Lechwerken. Weil mit nur einer Temperatur von zehn Grad gearbeitet wird, bräuchten die Leitungen im Boden keinerlei Isolierungen – im Vergleich zu Wärmenetzen mit hohen Temperaturen, bei denen auf dem Weg zu den Abnehmern immer auch Energie verloren geht.

Wärmepumpen, die Grundwasser nutzen, sind besonders effizient

"Ich schätze das Potenzial für die kalte Nahwärme gerade in Zeiten der Energiewende als groß ein. Wir müssen ökologischer, effizienter und wirtschaftlicher arbeiten. Diese Anforderungen können solche Anlagen erfüllen", sagt Haselbeck.

Beim Energie- und Umweltzentrum Allgäu heißt es, Wärmepumpen seien das dominierende Heizsystem der Zukunft. Im Vergleich seien Luft-Wärmepumpen, die ebenfalls oft bei Neubauten zum Einsatz kommen, bei weitem nicht so effizient wie die Wärmepumpen, die das Grundwasser nutzen, sagt Martin Sambale vom Energie- und Umweltzentrum Allgäu.

Großes Potenzial in Abwärme von Industrie und Unternehmen

Noch energiesparender wird die kalte Nahwärme, wenn man sie kombiniert. Karl Martin Heißler forscht an der TU München zu Niedrigtemperaturnetzen. Der Wissenschaftler sieht großes Potenzial in der Abwärme von Industrieanlagen oder Serverräumen von Unternehmen. Sie könnten an den Kreislauf, über den die Häuser bei der kalten Nahwärme miteinander verbunden sind, angeschlossen werden – und so ihre überschüssige Wärme einfach abgeben.

Von zehn Grad erhöht sich die Temperatur in dem Kreislauf auf 15 oder 20 Grad. Dadurch sparen die Wärmepumpen Strom beim Heizen der Häuser. "Wenn man bedenkt, dass ja oft sogar Energie verbraucht wird, um Serverräume zu kühlen, ergibt sich eine Win-win-Situation", sagt Heißler.

Kalte Nahwärme im Bestand nur schwer umsetzbar

Kalte Nahwärme ist vor allem eine Heiztechnik für Neubaugebiete. Im Bestand müsste zum Beispiel erst die Straße aufgerissen und die Wasserleitungen für den Kreislauf verlegt werden. Außerdem arbeiten die Heizungen in den Häusern mit Temperaturen um 30 Grad. Damit lassen sich vor allem Flächenheizungen wie Fußbodenheizungen betreiben. Für klassische Heizkörper in Bestandsbauten reicht diese Temperatur oft nicht aus, um die Räume warm zu bekommen.

Denkmalgeschützte Häuser in Wärmenetz einbinden

Die Lösung für den Bestand könne aber trotzdem in Wärmenetzen liegen, ähnlich zu dem im Höchstädter Neubaugebiet. Das sagt Bernd Felgentreff. Er ist technischer Berater für Systemtechnik in Leipzig und Mitglied im Bundesverband Wärmepumpe (BWP). Zum Beispiel profitierten denkmalgeschützte Gebäude, in denen keine Fußbodenheizung eingebaut werden könne, von Wärmenetzen. Die müssten dann aber wärmer als die zehn Grad in Höchstädt sein.

Ähnlich wie Karl Martin Heißler von der TU München sieht auch Felgentreff in der Abwärme von Industrie und Unternehmen ein großes Potenzial. Photovoltaikanlagen müssten nicht auf das Dach des Baudenkmals, sondern könnten zum Beispiel am Dorfrand auf die Scheune und von dort die alten Gebäude mitversorgen.

Positives Fazit in Höchstädt

Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine ist man in Höchstädt froh, auf die kalte Nahwärme im Neubaugebiet gesetzt zu haben: "Ich glaube, es hat uns schneller eingeholt, als wir dachten. Und darum war es schon richtig, hier mal anders zu denken und über solche alternativen Energien nachzudenken", sagt der zweite Bürgermeister Stephan Karg (CSU). Man sei frühzeitig in die Offensive gegangen und habe die Interessenten für die Bauplätze über die kalte Nahwärme informiert.

Die Rückmeldungen seien positiv gewesen, die Bauplatz-Bewerber seien offen für die neue Technik gewesen. Sollte es wieder ein Neubaugebiet in Höchstädt geben, werde man auf jeden Fall wieder über die kalte Nahwärme sprechen.

  • Zum Artikel "Teure Heizungsmodernisierungen – Energieexperte rät zum Abwarten"

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