Zu sehen sind die Rohre des Kraftwerks.
Bildrechte: BR/Lui Knoll

Seit 100 Jahren produziert das Walchenseekraftwerk Strom.

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Walchenseekraftwerk: Grüner Strom seit 100 Jahren

Das Walchenseekraftwerk am Kochelsee liefert grünen Strom für umgerechnet 100.000 Haushalte – genauso wie bei seinem Start vor genau 100 Jahren. Die Idee war visionär, der Bau katastrophal gefährlich, der Erfolg groß. Doch es gibt auch Kritik.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Oberbayern am .

Als Oskar von Miller nach dem Ersten Weltkrieg die Idee hat, ein Wasserkraftwerk zwischen Kochel- und Walchensee zu bauen, erntet er Skepsis: ein Wasserkraftwerk? Niemand braucht doch so viel Strom! Denn die Zeiten waren damals noch andere: "Als dieses Kraftwerk hier gebaut wurde, waren noch nicht alle Straßenlaternen in München elektrisch", erzählt Theodoros Reumschüssel, Sprecher des Walchenseekraftwerks, "und ein paar Jahre davor wurde die Straßenbahn noch von Pferden gezogen."

"Die Umstände beim Bau waren schlimm"

Doch von Miller, Technikpionier und Visionär, schaffte es, die bayerische Regierung von seiner Idee zu überzeugen und baute zwischen 1918 und 1924 das Walchensee-Wasserkraftwerk. Wichtiges Bauteil ist der 1,2 Kilometer lange Stollen zwischen dem Walchensee und dem weithin sichtbaren Wasserschloss oberhalb des Kraftwerks. Dazu die über 400 Meter langen Fallrohre und das Maschinenhaus auf Höhe des Kochelsees. "Der Bau war in der Tat nicht ungefährlich", sagt Sprecher Reumschüssel. 17 Todesfälle habe es damals gegeben – auch weil die Standards bei der Arbeitssicherheit damals noch nicht so hoch gewesen seien wie heute.

Ähnlich beschreibt Helmut Renner die Arbeitsbedingungen beim Bau des damaligen Mammutprojekts. Renner ist Ortschronist von Kochel und zeichnet in zwei jetzt erschienen Büchern die Entstehung des Walchenseekraftwerks nach: "Die Umstände beim Bau waren so schlimm, dass die Arbeiter immer bewusstlos wurden", erzählt er, unter anderem durch die Abgase bei den Sprengungen. Wurde ein Arbeiter bewusstlos, hätten ihn die Kameraden nach draußen getragen und ihn dort ruhen lassen, bis der Mann wieder aufwachte. "Aber das Entscheidende war, dass er keinen Stundenlohn mehr bekommen hat, weil er ja bewusstlos war", erklärt Renner.

Damals technische Revolution, heute Industriedenkmal

Nach sechs Jahren und der harten Arbeit von rund 2.000 Arbeitern ist es am 26. Januar 1924 dann endlich so weit: Die erste Drehstromturbine namens "Dora 2" speist Strom ins Netz. "Es war eine technische Revolution, die damals zwischen Walchen- und Kochelsee gebaut wurde", sagt der Direktor der Wasserkraftsparte von Uniper, Klaus Engels.

"Dora 2" und sieben andere Turbinen sind bis heute in Betrieb. Das gesamte Ensemble steht seit 1983 auf der Liste bayerischer Industriedenkmäler. Es liefert rund 300 Millionen Kilowattstunden Strom im Jahr – in etwa der Verbrauch von 100.000 Haushalten. Rund ein Drittel der Energie wird der Deutschen Bahn zur Verfügung gestellt, zwei Drittel fließen in die Orte der näheren und weiteren Region.

Lieferant für sauberen Strom – oder Belastung für die Umwelt?

Der Betreiber des Walchenseekraftwerks Uniper – der nach Schwierigkeiten im Zuge des Ukraine-Kriegs zu 99 Prozent in der Hand des Bundes ist – rechnet vor, dass das Kraftwerk seit der Zeit seines Bestehens bisher mindestens 30 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt hat. Damit habe es die Umwelt um etwa 24 Millionen Tonnen Kohlendioxid entlastet.

Doch das Wasserkraftwerk hat auch eine Kehrseite: So habe die obere Isar durch das Wasserkraftwerk Schaden genommen, sagen Naturschützer. Für die bis zu 84 Kubikmeter Wasser, die bei Volllast pro Sekunde mit 200 km/h über mächtige Rohre Richtung Kochelsee zu Tal stürzen, musste nämlich die Isar umgeleitet werden. Baumeister Oskar von Miller hatte dazu einen zehn Kilometer langen Kanal von der Isar zum Walchensee bauen lassen. Weil die obere Isar damit zu wenig Wasser führt, bleibe Kies dauerhaft liegen, das Ufer verbusche, kritisieren Naturschützer. Damit fehle der wichtige Lebensraum sich ständig wandelnder Kiesbänke für bedrohte Arten.

Neue Konzession wird 2030 vergeben

Betreiber Uniper und Naturschützer blicken nun auf das Jahr 2030: Dann muss die Konzession für den Betrieb des Kraftwerks neu vergeben werden. Die Naturschützer haben sich dafür ausgesprochen, dass dieses künftig vom Freistaat betrieben werden soll. Der aktuelle Hausherr will die Turbinen hingegen weiterhin selbst in der Hand haben, erklärt Klaus Engels von Uniper. Man habe das Kraftwerk über ein Jahrhundert verantwortungsvoll und in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit dem Freistaat betrieben, heißt es vom Konzern. Wie die bayerische Regierung ab 2030 entscheidet, ist offen.

Im Video: Walchenseekraftwerk - Grüner Strom seit 100 Jahren

Heute vor 100 Jahren hat das Walchenseekraftwerk zum ersten Mal elektrischen Strom geliefert - damals eine Sensation.
Bildrechte: BR
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Heute vor 100 Jahren hat das Walchenseekraftwerk zum ersten Mal elektrischen Strom geliefert - damals eine Sensation.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!