Die bayerische Renke liebt kaltes Wasser. Sie leidet deshalb stark darunter, dass die bayerischen Seen zunehmend wärmer werden. Schon vor vielen Tagen hat zum Beispiel der Simssee die 20-Grad-Marke überschritten. Damit wird es ungemütlich für die Fischart.
Das bekommt Thomas Sandbichler Tag für Tag zu spüren. Er ist Fischer am Simssee, seit über 40 Jahren. Früher war die Renke sein Brotfisch. Bis zu 100 Stück gingen dem Fischer ins Netz. Heute fängt er an vielen Tagen keine einzige Renke.
Der Renke geht der Sauerstoff aus
Eigentlich könnten Renken einfach in tiefere Schichten abtauchen, dort ist der See kalt genug. Doch in der Tiefe gibt es zu wenig Sauerstoff für die Fische. Ein Dilemma, weiß Sandbichler: "Entweder sie bleibt unten, und dann verreckt sie, oder sie geht weiter herauf, und dann ist es ihr zu warm. Dann hat sie nur noch die Mittelschicht - und da muss sie sich aufhalten". Da aber würden die Renken "herumstehen", nichts fressen und warten, bis bessere Zeiten kommen, sagt Sandbichler.
Schichtungen werden stabiler
Bessere Zeiten prognostizieren Wissenschaftlerinnen und Forscher derzeit nicht. Im Gegenteil: Durch die höhere Wassertemperatur werden die Schichtungen im See immer stabiler. Dies hat zur Folge, dass sich Seen schlechter durchmischen. Dadurch gelangen immer weniger Sauerstoff in die Tiefe und immer weniger Nährstoffe in die oberen Schichten.
Herwig Stibor ist Professor für aquatische Ökologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und untersucht seit Jahren die Auswirkungen der Klimaerwärmung auf das Ökosystem See. Er sieht ein Problem für sensible Arten wie die Renken: "Die Renke braucht viel Sauerstoff. Und wenn dann auch ihr Laich am Boden zu wenig Sauerstoff bekommt, wird auch die Fortpflanzung der Renke negativ beeinträchtigt."
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Geht dem Renken-Nachwuchs der Sauerstoff aus?
Renken laichen im Winter im freien Wasser. Ihre befruchteten Eier fallen auf den Grund des Sees. Doch im Simssee gibt es erst ab etwa vier Metern über dem Boden Sauerstoff. Dies ist nicht allein eine Folge der Klimaerwärmung. Schon lange hat der See auch mit zu hohen Nährstoffeinträgen und Schmutz zu kämpfen - durch die Landwirtschaft, durch Reifenabrieb, durch Gully-Entwässerungen. Der See ist aus dem Gleichgewicht geraten.
Doch nicht nur der Simssee verändert sich.
Quallen-Jagd im Happinger Ausee
Ein paar Kilometer entfernt vom Simssee liegt der Happinger Ausee. Dort untersuchen Studentinnen und Studenten der LMU, welche Auswirkungen die Erderwärmung auf Seen hat. Mit Taucherbrille und Flossen sind sie auf der Jagd nach Quallen.
Die Süßwasserqualle, nach der die Studenten im See suchen, stammt eigentlich aus China. Vermutlich wurde sie mit Wasserpflanzen eingeschleppt. Zum ersten Mal ist sie in Bayern vor etwa 100 Jahren im Botanischen Garten in München gesichtet worden. Ihre Polypen haften auf Steinen, Muscheln oder auch Pflanzen im Wasser. Wenn die Temperaturen steigen, schnüren die Polypen Quallen ab. Das passiert meist im Hochsommer, wenn das Gewässer über eine längere Zeit warm ist.
Quallen als Gewinner des Klimawandels
Die Qualle braucht warmes Wasser und profitiert vom Klimawandel. Waren Süßwasserquallen früher nur sehr vereinzelt zu finden, vermehren sie sich nun in fast allen bayerischen Seen explosionsartig. Für Menschen sind die Quallen völlig harmlos, nicht jedoch für das Ökosystem See.
Herwig Stibor ist Experte für diese invasiven Exoten: "Alles, was die Qualle frisst, steht dem Fisch nicht mehr zur Verfügung. Mit der Qualle kann er wenig anfangen, sie ist kein gutes Nahrungsmittel."
Mehr Algen durch Quallen
Die Süßwasserqualle hat keinen natürlichen Feind in den bayerischen Seen und kann sich im warmen Wasser ungehindert ausbreiten. Für heimische Fischarten stellt das ein zusätzliches Problem dar, andere Arten profitieren davon, weiß der Professor für Limnologie: "Es können durch Quallen mehr Algen in den Seen entstehen, weil die Qualle das Zooplankton, also Kleinkrebse und Wasserflöhe frisst. Diese Kleinlebewesen würden eigentlich die Algen fressen. Dadurch, dass die Qualle viele dieser Wasserflöhe und Kleinkrebse frisst, werden mehr Algen entstehen."
Algen schaden der Fischerei
Auch Simsseefischer Sandbichler hat immer mehr mit Algen zu kämpfen. Vor allem die Burgunderblutalge macht ihm das Leben schwer. Diese Blaualgenart verunreinigt seine Netze. Das Gift der Alge ist für Mensch und Tier gefährlich. "Wenn die Seen wärmer werden, werden sich Lebensgemeinschaften der Seen weiterhin verändern", sagt Stibor. "Das wird dazu führen, dass wir die Seen nicht mehr so nutzen können, wie wir es bisher gewohnt sind. Wenn es immer mehr Blaualgen in den Seen gibt, wird es häufiger Badeverbote geben." Aber auch ein typischer Bewohner der bayerischen Voralpenseen, die empfindliche Renke, könnte verschwinden.
Seen verändern sich
Für Sandbichler ist dies an diesem Tag schon bittere Realität. Vier Netze hatte er ausgelegt, aber keine einzige Renke hat sich darin verfangen. Auch die Fischer am Chiemsee, Bodensee, Ammersee, Starnberger See melden einen drastischen Rückgang der Renken-Bestände. Die Gründe sind vielfältig. Doch verschwindet eine Art wie die Renke oder kommt eine neue Art hinzu wie die Qualle - hat dies Auswirkungen auf alle Lebewesen im Ökosystem See.
- Zum Artikel: Hitze und Dünger: Im Simssee wachsen die Algen
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