Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer im Mai 2024 bei der Münchner Tafel an der Großmarkthalle (Symbolbild)
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Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer im Mai 2024 bei der Münchner Tafel an der Großmarkthalle (Symbolbild)

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Zu Beginn des Ruhestands: Soziales Pflichtjahr für Baby-Boomer?

Ein "Dienst an der Gesellschaft" für alle, die in nächster Zeit in Rente gehen – mit dieser Forderung will Ex-Bundesfamilienministerin Schröder eine Debatte über Generationengerechtigkeit anstoßen. Worum es geht und wie realistisch das ist.

Über dieses Thema berichtet: Tagesgespräch am .

Ein Jahr für die Gesellschaft arbeiten müssen: Diese Forderung gibt es in Deutschland seit vielen Jahren – in der Regel bezieht sie sich auf junge Menschen nach der Schulzeit, von denen ein Teil früher Wehr- oder Zivildienst machen musste. Die frühere Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) hat jetzt einen anderen Ansatz vorgeschlagen: "Wie wäre es, Ältere zum Beginn ihres Ruhestands zu einem Dienst an der Gesellschaft zu verpflichten?", fragt Schröder in einem Gastbeitrag für die "Welt" [externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt].

Schröder: Ältere kippen den Jüngeren Probleme vor die Füße

Infrastruktur und Rente, Energiepolitik und Migration – überall würden die älteren Generationen seit mindestens 20 Jahren Probleme auftürmen und sie den Jüngeren "vor die Füße" kippen. Dazu kommen laut Schröder viele Einschränkungen für junge Menschen während der Corona-Pandemie: "Wir haben ihnen für über zwei Jahre fast alles genommen, was unbeschwerte und prägende Jugend ausmacht, das meiste davon unwiederbringlich."

Einen ungerechten Umgang mit den Jüngeren sieht Schröder besonders beim Thema Rente. Schon deren Einführung ab 63 Jahren durch die Große Koalition sei fatal gewesen, schreibt sie. "Aber mit der Festschreibung des Mindestrentenniveaus für die nächsten 15 Jahre, wie es die Ampel derzeit plant, bei gleichzeitigem Ausschluss von Rentenkürzungen und einer Erhöhung des Renteneintrittsalters, versucht die Regierung nicht mal mehr so zu tun, als habe sie die Interessen Jüngerer auch nur irgendwie im Blick."

Kontroverse Debatte im "Tagesgespräch" bei Bayern 2

Im "Tagesgespräch" bei Bayern 2 wurde Schröders Vorschlag Anfang der Woche kontrovers diskutiert. Nicht nur im sozialen Bereich würden Arbeitskräfte fehlen, sagte ein Zuhörer. Generell sei eine gute Bezahlung wichtiger als mit älteren Menschen Lücken zu stopfen. Der Jugendforscher Simon Schnetzer betonte dagegen mit Blick auf die Älteren: "Zu sagen: 'Wir haben viel weniger junge Menschen, wollen aber trotzdem weiter früh in Ruhestand und das Rentenniveau halten' – das wird schwierig."

Ein Zuhörer gab zu bedenken: "Wenn man 40, 45 Jahre gearbeitet hat, hat man nicht nochmal Lust, ein Jahr soziale Tätigkeit zu machen." Mehrmals kam der Hinweis, dass viele ältere Menschen schon jetzt ehrenamtlich engagiert seien. Eine Zuhörerin warnte vor einem "Aufwiegeln der Generationen gegeneinander". Sie fragte: Warum kann man Menschen, die länger als gesetzlich vorgesehen arbeiten wollen, das nicht viel einfacher und mit weniger Bürokratie ermöglichen?

Freiwilliger sozialer Dienst schon jetzt für alle möglich

Der frühere Bundesbeauftragte für den Zivildienst, Jens Kreuter, kritisierte im "Tagesgespräch" den Vorschlag von Schröder für einen verpflichtenden "Dienst an der Gesellschaft". Schon jetzt sei ein Jahr freiwilliger sozialer Dienst für alle Altersgruppen möglich. Seniorinnen und Senioren ab 65 machen das laut Kreuter bisher allerdings relativ selten, "weil das für ganz viele nicht in diese Lebensphase passt, zum Beispiel weil man sich regelmäßig ums eigene Enkelkind kümmert".

Schröders Idee hält Kreuter für unglücklich. Ihm liege sehr im Magen, dass der Vorschlag ein Gefälle habe, weil er als eine Art Strafe für ältere Generationen gesehen werde. "Das ist ein falscher Ansatz", sagte er. Derzeit gehe es beim sozialen Freiwilligendienst darum, etwas zu lernen fürs Leben – und möglicherweise den passenden Job für sich zu entdecken. "Bei älteren Menschen würde es ja nicht mehr darum gehen, einen neuen Beruf zu finden", betonte Kreuter.

Schröder: "20 Stunden pro Woche, mehr würde ich nicht verlangen"

CDU-Politikerin Schröder dürfte mit ihrem Vorschlag in erster Linie eine Debatte anstoßen wollen. Wie genau ein soziales Pflichtjahr für Ältere ausgestaltet sein soll, erläutert sie nur teilweise. "20 Stunden pro Woche, mehr würde ich nicht verlangen. Vielleicht auch mit der Möglichkeit, diese Stunden in den Jahren zuvor kumulativ durch ehrenamtliches Engagement abzuleisten", schreibt Schröder. "In Schulen und Kindergärten, in der Flüchtlingshilfe, als Coach für Jüngere."

Viele Fragen bleiben damit offen: Was wäre mit den vielen Männern, die bei der Bundeswehr waren oder Zivildienst gemacht haben? Was wäre mit jenen, die sich als Großeltern schon jetzt viel um die Enkel kümmern? Was wäre mit Menschen, die partout nicht wollen? Was wäre mit Beamtinnen und Beamten? Was wäre mit Menschen, die nach einem langen Berufsleben körperlich nicht mehr können?

Klar ist: Dass Ältere zum Ruhestand-Beginn demnächst in Deutschland wirklich ein soziales Pflichtjahr absolvieren müssen, ist unwahrscheinlich. In der Politik wird eine solche Idee bisher kaum diskutiert, eine Mehrheit dafür im Bundestag ist aktuell illusorisch. Im Übrigen auch, weil alle Parteien sich eine solche Forderung sehr gut überlegen dürften – mit Blick auf die bei Wahlen extrem wichtige Bevölkerungsgruppe ab 65 Jahren.

Viele Babyboomer gehen bald in den Ruhestand

Die Babyboomer – das sind Menschen aus den geburtenstarken Jahrgängen in den 50er- und vor allem 60er-Jahren. Viele von ihnen gehen in nächster Zeit in Rente, was den Mangel an Arbeitskräften in fast allen Bereichen weiter verschärfen wird. Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft fordert daher grundsätzlich einen "Mentalitätswandel zur Arbeit im Alter". Die Beschäftigung Älterer müsse zu beiderseitigem Vorteil vereinfacht werden: "Dazu gehört die Möglichkeit einer befristen Beschäftigung von Menschen im Ruhestand sowie das Streichen einiger hemmender Sozialabgaben."

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