Ein Hinweis für das Deutschlandticket steht am Frankfurter Hauptbahnhof auf einem Fahrkartenautomat.
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Symbolbild: Deutschlandticket

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Ein halbes Jahr Deutschlandticket - Was hat es gebracht?

Das Deutschlandticket wird sechs Monate alt. Es hat den Öffentlichen Nahverkehr revolutioniert. Aber nicht alle sind zufrieden. München und Nürnberg beklagen hohe Einbußen bei den Einnahmen und auch die weitere Finanzierung ist unklar.

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Ob Tarifzonen, Tarifwaben oder Tarifbereiche - die unübersichtliche Struktur im öffentlichen Personennahverkehr kann Millionen Fahrgästen seit einem halben Jahr egal sein. Mit dem Deutschlandticket haben sie seit Anfang Mai die Möglichkeit, für einen Pauschalpreis in den Bus oder Regionalzug zu steigen und so weit zu fahren, wie sie wollen. Ganz ohne Sorge, ob ihre Fahrkarte die richtige ist. 49 Euro kostet das Abo im Monat - noch.

Obwohl sich alle freuen, dass das Ticket den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) stark vereinfacht hat, ist seine Zukunft ungewiss. Zentral bleibt die Finanzierung, denn das Ticket sorgt für weniger Einnahmen. In Bayern fällt die Bilanz gemischt aus: Eine Abschaffung halten wichtige Akteure aber nicht für eine gute Idee, wie Anfragen der Deutschen Presse-Agentur ergaben.

Hohe Einnahmen-Ausfälle in München und Nürnberg

Im Münchner Verkehrsverbund fehlen durch das Ticket nach eigenen Angaben Einnahmen "im mittleren dreistelligen Millionenbereich", denen Mehreinnahmen durch zusätzliche Verkäufe "im unteren einstelligen Millionenbereich" gegenüberstehen - unter dem Strich also wohl mehrere Hundert Millionen Euro weniger. Der Verkehrsverbund Großraum Nürnberg spricht von Mindereinnahmen von gut 18 Millionen Euro zwischen Mai und August.

Bernreiter: Bund soll sich an Mehrkosten beteiligen

Die Kosten spielen auch für Verkehrsminister Christian Bernreiter eine zentrale Rolle. Der CSU-Politiker kritisiert schon länger, dass der Bund sich ab dem kommenden Jahr nicht an Mehrkosten beteiligen will. "Es wäre ein Schildbürgerstreich, wenn das Ticket nun nach nur acht Monaten der fehlenden Mitfinanzierungsbereitschaft des Bundes zum Opfer fallen würde", sagt er. Dabei macht Bernreiter keinen Hehl daraus, dass er das Geld lieber in die Infrastruktur und ein verlässliches Angebot auf der Schiene investiert hätte. Das Ticket sei eine Idee des Bundes gewesen.

In Nürnberg betont man, dass es kein Zurück geben dürfe. Dies würde als "Preishammer" wahrgenommen und wäre "ein enormer Imageschaden für den ganzen ÖPNV, aber auch ein erheblicher Vertrauensverlust für die Politik", heißt es von dort. Auch in München will man die Fortführung - allerdings mit dem Zusatz, dass die Finanzierung durch Bund und Länder geklärt sein müsse.

Die Nürnberger sind es am Ende auch, die die positivste Bilanz ziehen. Während sie in München "grundsätzlich positiv" ist, fällt sie in der Frankenmetropole "sehr positiv" aus. Was die beiden Verkehrsverbünde am Deutschlandticket loben, ist allerdings gleich: Es sei günstig und einfach.

Verband Deutscher Verkehrsunternehmen lobt Flatrate

"Das Deutschlandticket ist ein Erfolg", betont Alexander Möller, ÖPNV-Geschäftsführer beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). "Die Kunden bekommen eine ÖPNV-Flatrate so günstig wie noch nie. Wir haben Kundenzahlen wie vor Corona, binden Kunden wie nie." Rund zehn Millionen 49-Euro-Abos gibt es dem Verband zufolge bundesweit inzwischen. "Die Zahl ist recht stabil, auch wenn auf niedrigem Niveau weitere hinzukommen."

In Nürnberg lag im September die Zahl demnach bei 194.000. Beim Münchner Verkehrsverbund (MVV) spricht man von einer deutlichen Zunahme in der Freizeit - vor allem am Wochenende. Auch in Nürnberg nennt man das Wochenende, aber auch den morgendlichen Berufsverkehr. Im Vergleich zum 9-Euro-Ticket des vergangenen Jahres spielten die Wege zur Arbeit beim Deutschlandticket eine wesentlich größere Rolle, heißt es dort.

Viele Deutschlandticket-Inhaber kommen aus bestehenden Abos

Bundesweit kommt rund die Hälfte der Inhaberinnen und Inhaber aus bestehenden Abos, sind also keine neuen ÖPNV-Dauerkunden. Die andere Hälfte war bislang mit Einzelfahrscheinen oder Zeitkarten unterwegs. Der Verband wertet das als Erfolg. "Wir binden Kunden stärker an den ÖPNV durch diese Flatrate", betont Möller.

Eigentlich bräuchte es aus Sicht des VDV eine Debatte darüber, wie das Ticket weiterentwickelt werden soll. Noch immer fehle etwa eine Regelung für Universitäten und Studenten. Der Verband fordert zudem, dass auch die Mitnahme von Familienmitgliedern, Freunden oder Haustieren ermöglicht wird.

Deutschlandticket vor dem Aus? Der Streit übers Geld

Die Politik streitet unterdessen übers Geld. Der Konflikt ist festgefahren. Im Kern geht es um die Frage, wer mögliche Mehrkosten des Deutschlandtickets trägt. Für 2023 ist geregelt, dass Bund und Länder Mehrkosten zur Hälfte teilen - von 2024 an ist das offen. Die Länder wollen, dass sich der Bund auch in Zukunft zur Hälfte an ihnen beteiligt.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat das abgelehnt. Er hatte zuletzt im Bundestag deutlich gemacht, dass es vorerst keine genauen Berechnungen der Mehrkosten gebe. Der VDV wiederum geht davon aus, dass die Verluste für die Branche in diesem Jahr wegen des Ticketstarts erst im Mai bei 2,3 Milliarden Euro liegen und für das ganze Jahr 2024 bei 4,1 Milliarden Euro. Bei insgesamt sechs Milliarden Euro öffentlichen Zuschüssen für 2023 und 2024 ergebe sich demnach unter dem Strich eine Finanzierungslücke von 400 Millionen Euro.

Scholz trifft die Ministerpräsidenten

Eine Lösung wird nun bei Beratungen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit den Regierungschefs der Länder am 6. November angestrebt. Wie diese aussehen kann, ist unklar. Bund und Länder könnten ein Bekenntnis abgeben, das Deutschlandticket nicht an der Frage von Mehrkosten scheitern zu lassen. Möglich wäre eine Erhöhung des Preises auf monatlich 59 Euro - das aber wäre eine unpopuläre Entscheidung. Ein Aus des Deutschlandtickets gilt als unwahrscheinlich. Zu groß wäre der Imageschaden für Bund und Länder.

Was das Ticket gebracht hat

"Wenn wir jetzt jedes Jahr neu über den Fortbestand sprechen, weil zwischen Bund und Ländern über die Co-Finanzierung gestritten wird, schrecken wir Kunden ab", betont VDV-Geschäftsführer Möller. Dabei war eines der erklärten Ziele der Bundesregierung, mit dem günstigen ÖPNV-Ticket möglichst viele Menschen vom Regional- und Nahverkehr zu überzeugen. Ihr Auto sollten sie dabei seltener oder gar nicht mehr nutzen.

Unterschiedliche Auffassungen gibt es darüber, ob das geklappt hat. Eine der wenigen mit Zahlen gestützten Aussagen dazu kommt erneut vom VDV. "Acht bis zehn Prozent der D-Ticket-Nutzerinnen und -Nutzer sind echte ÖPNV-Einsteiger, sind also vorher zum Beispiel Auto gefahren", ermittelte der Verband in Umfragen. "Schon heute wären fünf Prozent aller Fahrten mit dem Deutschlandticket sonst mit dem Auto unternommen worden."

Aus Umweltsicht ein Misserfolg?

Aus Sicht des Verkehrsforschers Christian Böttger von der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft ist das Ticket aus Umweltsicht trotzdem ein Misserfolg. "Das Ministerium hat an unterschiedlichen Stellen das D-Ticket mit Emissionssenkungen von drei bis vier Millionen Tonnen angekündigt", sagt er. Gehe man davon aus, dass 80 Prozent aller Fahrten im öffentlichen Verkehr mit dem Deutschlandticket erfolgten, komme man hingegen auf 0,4 Millionen Tonnen Einsparung.

Auch eine Einrichtung der Technischen Universität München hatte auf Basis von Handydaten und Befragungen im ersten Monat nach der Einführung nur einen geringen Verlagerungseffekt von der Straße auf die Schiene festgestellt.

Der Berliner Forscher Böttger hält das Ticket generell für unvernünftig. "Es gibt keinen Grund, die Mittelschicht im Speckgürtel zu subventionieren. Man verliert Steuerungsmöglichkeiten. Die Einnahmeaufteilung wird komplizierter." Die Vereinfachung beim Ticketkauf in unterschiedlichen Städten sei gut, lasse sich aber auch über andere Wege weiterführen.

Der Preis ist nicht alles

Immer wieder betonen Fachleute, dass der Preis nicht die einzige Stellschraube sein kann, um die Menschen vom Umstieg auf den ÖPNV zu überzeugen. Es braucht vor allem mehr und eine bessere Infrastruktur, um die steigende Nachfrage überhaupt bedienen zu können. Wer im Sommer das Deutschlandticket für Fahrten in Urlaubsregionen nutzte, steckte oft in überfüllten Zügen - oder konnte die Fahrt nicht antreten, weil fürs Fahrrad kein Platz mehr war. Aus Sicht des Interessenverbands Allianz pro Schiene braucht es insbesondere auf dem Land ein größeres ÖPNV-Angebot, damit das Ticket dort überhaupt genutzt werden kann.

Doch die Branche ist sich einig, dass es mit dem Angebot weitergehen muss. "Wir bleiben dabei: Das Deutschlandticket ist eine Revolution für den Nahverkehr", teilte Allianz-pro-Schiene-Geschäftsführer Dirk Flege seinerzeit mit. Ob es weitergeht, hängt nun vor allem davon ab, ob Bund und Länder zu einer Einigung kommen.

Mit Informationen von dpa

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