Ein ukrainischer Soldat kommt an der Regensburger Uniklinik an
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Ein ukrainischer Soldat kommt an der Regensburger Uniklinik an

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Inzwischen Alltag: Verwundete Ukrainer in bayerischen Kliniken

Die Zahl der ukrainischen Kriegsopfer, die in Deutschland behandelt werden, bleibt hoch. Ebenso wie die Hilfsbereitschaft: Ärzte und andere Helfer sind schon routiniert im Umgang mit den Kriegsverletzungen. Doch diese erfordern einen hohen Aufwand.

Über dieses Thema berichtet: Die BR24 Reportage am .

Vor der Notaufnahme der Uniklinik Regensburg ist ein Rettungswagen vorgefahren. Als sich die Hecktüren öffnen, sitzt auf einer Liege ein etwa 50-jähriger Mann mit graumeliertem Bart, in seiner Hand eine olivgrüne Tasche, auf die eine blau-gelbe Flagge genäht ist.

Es ist ein verwundeter Soldat aus der Ukraine. Sein Bein ist bandagiert. Als ihn die Rettungssanitäter auf das Bett im Behandlungszimmer umlagern wollen, schreit der Mann vor Schmerzen auf. "Wir werden ihm jetzt erstmal ein Schmerzmittel geben", sagt Oberarzt Borys Frankewycz. Die Wunde ist frisch. Erst im Februar wurde der ukrainische Soldat durch eine russische Drohne verwundet.

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Schmerzmittel spielen bei der Behandlung eine wichtige Rolle

Rund 1.030 ukrainische Verwundete in Deutschland versorgt

Der ukrainische Soldat ist einer von inzwischen rund 1.030 Patienten aus der Ukraine, die über den Europäischen Katastrophenschutzmechanismus (UCPM) auf deutsche Krankenhäuser verteilt wurden. Darunter mehr als 700 mit "militärischem Status", so das Bundesgesundheitsministerium auf BR-Nachfrage. Innerhalb Deutschlands werden sie im Rahmen des Kleeblattverfahrens verteilt, das sich während der Corona-Pandemie bewährt hat. Über das Kleeblatt Süd wurden bisher auch 160 ukrainische Verwundete an bayerische Kliniken vermittelt.

"In Relation zu den vielen Verletzten, die es dort tagtäglich zu beklagen gibt, und Tote natürlich, ist das nur die Spitze des Eisbergs", sagt Volker Alt, Klinikdirektor Unfallchirurgie an der Uniklinik Regensburg. Alt ist verantwortlich für die Verletzten aus dem Kriegsgebiet und für deren Verteilung auf die Krankenhäuser in der Region. Er steht in regelmäßigem Kontakt mit Ärzten aus der Ukraine, darunter auch Kollegen, die in den Feldlazaretten arbeiten.

Kriegsverletzungen werden Alltag für deutsche Chirurgen

Meist wurden die verwundeten Soldaten in der Ukraine bereits behandelt. Und das sehr gut, stellen die deutschen Ärzte fest. Obwohl die ukrainischen Ärzte alle medizinischen Maßnahmen genauestens dokumentieren, muss sich der deutsche Oberarzt Frankewycz aber ein eigenes Bild von der Verwundung des Soldaten machen. Auf den schwarz-blauen Röntgenbildern zeichnen sich die Schrapnelle weiß ab.

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Volker Alt und Borys Frankewycz diskutieren eine Röntgenaufnahme

"Er hat eigentlich ein komplett zerstörtes Kniegelenk. Das wird man nicht retten können", stellt Klinikdirektor Alt fest. Dem ukrainischen Verwundeten stehen zahlreiche Operationen und viele Tage im Krankenhaus bevor. Das wissen die beiden Ärzte aus Erfahrung. Alle vier bis sechs Wochen kommt ein neuer ukrainischer Patient. Der Krieg gehört inzwischen auch an der Uniklinik Regensburg zum Alltag.

Routinierte Abläufe durch Kleeblattverfahren

Die Abläufe sind routiniert. Ein Großteil der Verwundeten werden mit Flugzeugen aus der Ukraine ausgeflogen und im Rahmen des Kleeblattverfahrens auf die Krankenhäuser verteilt. Die Kriegsverletzten, die in bayerischen Krankenhäusern versorgt werden, kommen an den Flughäfen in Nürnberg oder Memmingen an – in speziellen Maschinen aus Norwegen.

Der skandinavische Staat übernimmt auch ein Viertel der Transportkosten. Der Großteil wird durch die EU refinanziert. Der Bund zahlt lediglich die Fahrt der Rettungswagen in die jeweiligen Krankenhäuser. 2023 waren das rund 800.000 Euro. Die Behandlungskosten übernehmen in der Regel die gesetzlichen Krankenkassen, bei denen die Ukrainer versichert sind.

Die Behandlung ist zeit- und kostenintensiv

Durch die Tür des Behandlungszimmers, in der gerade der Soldat aus der Ukraine behandelt wird, blickt Ihor Zubritzkyi. Fast jedes Mal, wenn ein neuer Soldat an der Uniklinik Regensburg ankommt, steht der 40-Jährige vor der Notaufnahme. Auch er ist ukrainischer Soldat, auch er wurde verwundet, auch er war wegen einer Schussverletzung am Bein bei Volker Alt und Borys Frankewycz in Behandlung - für Wochen.

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Ihor Zubritzkyi steht verwundeten Kameraden bei

Denn durch die Granatsplitter- und Schussverletzungen dringen Bakterien in die Wunde ein und lösen oft eine Wundinfektion aus. Wird diese nicht rechtzeitig, ausreichend und mit den richtigen Antibiotika behandelt, bilden sich multiresistente Keime. Die Folge: Die Wunden heilen nicht, die Behandlung dauert und ist zeit- und kostenintensiv.

Fallpauschalen decken nicht alle Unkosten

Die Hilfsbereitschaft der deutschen Krankenhäuser sei nach wie vor groß, schreibt das Bundesgesundheitsministerium auf BR-Nachfrage. Darauf verweist auch Klinikdirektor Alt. Aber er bemerkt auch, dass die Krankenhäuser zurückhaltender werden, wenn es um die Aufnahme ukrainischer Verwundeter geht. Die Behandlungen seien eben aufwendig.

Die Krankenkassen, bei denen die meisten Ukrainer versichert werden, können nicht alle Kosten übernehmen, weil die Fallpauschalen nicht auf die Behandlung von Kriegsverletzungen ausgelegt seien, so Alt: "Teilweise drohen pro Patient dann mehrere 10.000 Euro als 'Verlust' für das Krankenhaus."

Die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie fordert daher, dass die Kosten voll refinanziert werden sollen. Und: Es brauche ein Konzept, bei dem die medizinische Behandlung nicht an der Tür des Krankenhauses endet. Vielerorts ist der Verbleib und die Nachversorgung nach der Zeit in der Klinik nicht geregelt.

Ein schwieriges Leben abseits des Krieges

Auch Yurij Sukhotins Armprothese ist keine Selbstverständlichkeit. Dem Soldaten wurde bei seinem Einsatz in Luhansk durch eine Granate der linke Arm weggerissen. Kurz nach Kriegsbeginn wurde er nach Deutschland verlegt – als einer der ersten Verwundeten. Seither lebt er mit seiner Familie in Deutschland, hat eine Arbeit gefunden und Deutsch gelernt.

Ohne die Hilfe der Ärzte und der ehrenamtlichen Helfer von der Regensburger Organisation "Space-Eye" wäre das nicht möglich gewesen. "Sie helfen mir bei der Integration, bei Problemen mit Dokumenten oder Behörden, ganz allgemein bei der Behandlung meiner Verletzung. Ich bin absolut dankbar und froh, dass es diese Hilfe gibt", sagt er. Wie rund 100 Ukrainer, die Space-Eye bei ihrem Weg zurück ins Leben unterstützt, sobald diese das Krankenhaus verlassen haben.

Hoffnung auf weitere Hilfe

Yurij Sukhotin ist inzwischen selbst ein wichtiger Ansprechpartner für die verwundeten Soldaten geworden. Doch er hofft er, dass die Unterstützung durch Deutschland auf hohem Niveau bleibt – sei es bei der medizinischen Versorgung oder durch Waffenlieferungen an die Front.

"Die Hilfe ist wichtig. Dieser Krieg ist kein kurzer Krieg. Er ist sicher nicht in diesem Jahr beendet. Garantiert nicht", meint Sukhotin. Er sitzt oft mit seinen Kameraden zusammen - gerade dann, wenn die ukrainischen Verwundeten an die Front zurückkehren sollen. Darunter auch Männer, die wie er einen Arm verloren haben, aber trotz Prothesen ihren Beitrag leisten wollen.

Verwundete Soldaten in Deutschland: Kein Ende in Sicht

Ein Ende ist nicht in Sicht. An der Uniklinik Regensburg rechnet das Team um Klinikdirektor Alt in diesem Jahr noch mit sechs bis acht weiteren ukrainischen Verwundeten. Fast 50 Soldaten haben sie schon behandelt. Darunter Ihor Zubritzkyi und der Kriegsverletzte, der gerade angekommen ist.

Die beiden Kameraden unterhalten sich: Ihor Zubritzkyi berichtet über die Behandlung in der Uniklinik, der Kamerad über die Lage an der Front: "Die Lage ist schlecht. Wir haben nichts zu kämpfen. Keine Manpower, keine Rotation. Ohne die Hilfe des Westens wäre der Krieg schon längst vorbei."

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