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Kritik von Migrationsexperten Regierungsbeschlüsse bringen nichts bis wenig

Auf Abschreckung und Abschottung setze die Regierung. Ein Vorwurf, den zumindest viele in der Union gar nicht bestreiten würden, denn ihnen geht es durchaus auch darum, Deutschland für Flüchtlinge weniger attraktiv zu machen. Der Rat für Migration sagt aber auch: Viele der Maßnahmen, die die Regierung beschlossen hat, nützen überhaupt nichts.

Von: Daniel Pokraka

Stand: 29.09.2015 | Archiv

In einer ehemaligen Turnhalle auf dem Gelände der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Regensburg (Bayern) sind Flüchtlinge untergebracht. Mit Metallschränken, Vorhängen und dünnen Spanplatten wurden Räume für mehr "Privatsphäre" geschaffen | Bild: dpa-Bildfunk

"Die Beschlüsse werden weder zu einer Beschleunigung der Verfahren führen noch werden sie den Abschreckungseffekt, den der Innenminister damit erzielen möchte, erreichen."

Werner Schiffauer, Kulturwissenschaftler Uni Frankfurt/Oder

Beispiel 1: Erstaufnahme-Einrichtungen

Die Regierung will, dass Flüchtlinge dort nicht mehr nur drei, sondern bis zu sechs Monate bleiben dürfen. Vizekanzler Gabriel begründet das so: "Dass wir die Menschen nach Möglichkeit in den Erstaufnahme-Einrichtungen halten, bis die Entscheidung über ihren Asylantrag gefallen ist und dann erst diejenigen, die Asyl bekommen oder geduldet werden auf die Kommunen verteilen und die anderen aus der Erstaufnahme bitten, unser Land wieder zu verlassen."

Das Problem dabei: Erstaufnahme-Einrichtungen platzen schon jetzt aus allen Nähten. Schlägereien sind an der Tagesordnung. Wegen kultureller Konflikte – aber auch weil dort hunderte Menschen quasi eingesperrt sind und sich zum Essen oder zum Gang auf die Toilette in Warteschlangen stellen müssen. Probleme, die nicht kleiner werden, wenn die Menschen dort länger bleiben müssen.

"Die längere Verweildauer in Erstaufnahmeeinrichtungen beschleunigt das Verfahren um keine einzige Minuten. Die Geschwindigkeit des Verfahrens ist schließlich unabhängig vom Wohnort der Antragssteller."

Hannes Schammann, Migrationsforscher Uni Hildesheim

Beispiel 2: Sichere Herkunftsstaaten

Innenminister de Maizière sagte kürzlich, "wir wollen, dass alle Staaten des westlichen Balkan, als das bezeichnet werden, was sie wirklich sind: sichere Herkunftsstaaten." Dies beschleunige die Asylverfahren und halte die Menschen in diesen Staaten davon ab, überhaupt erst nach Deutschland zu kommen. Nicht unbedingt, meint Migrationsforscher Schammann.

"Wir wissen, dass die Benennung von sicheren Herkunftsstaaten das Asylverfahren kaum verkürzt. Auch Flüchtlinge aus diesen Ländern müssen im Einzelfall angehört und geprüft werden. Die Maßnahme ist also eher symbolisch und bewirkt praktisch wenig."

Hannes Schammann, Migrationsforscher Uni Hildesheim

Beispiel 3: Sachleitungsprinzip

Hierauf besteht vor allem die Union. Möglichst wenig Bargeld für Asylbewerber – stattdessen: Sachleistungen, also zum Beispiel Lebensmittelgutscheine. Das Argument: Das sogenannte Taschengeld ermutige Menschen dazu, nach Deutschland zu kommen – auch solche, die keinen Asylgrund haben. Die Migrationsforscher bezweifeln das. Und halten das Sachleistungs-Prinzip für bürokratisch.

"Vor wenigen Monaten erst wurden die Sachleistungen ganz bewusst abgeschafft, weil sie unpraktisch, weil sie zu teuer waren. Jetzt führt man sie wieder ein."

Hannes Schammann, Migrationsforscher Uni Hildesheim

Auch die Politik weiß: Das Sachleistungsprinzip ist eher ein Symbol, um dem skeptischen Teil der Bevölkerung zu zeigen, dass Asylsuchende nur das Nötigste bekommen. Und so wird das Paket, das Experten teilweise Bauchschmerzen bereitet, bald in Kraft treten.

Reaktion auf Flüchtlingsandrang: Beschlüsse des Bundeskabinetts

Der Bund gibt den Ländern dieses Jahr eine zusätzliche Milliarde, um den Flüchtlingsandrang zu bewältigen. Für das nächste Jahr ist eine Pauschale von 670 Euro pro Flüchtling und Monat vorgesehen – das ergibt weitere Milliarden. Gezahlt wird die Pauschale im Zeitraum von der Registrierung bis zum Abschluss des Asyl-Verfahrens. Außerdem gibt es in den nächsten Jahren jeweils 500 Millionen Euro mehr für den Bau von Wohnungen.

Auf den Weg gebracht wurden auch die Verschärfungen im Asylrecht: Asylbewerber sollen länger als bisher erlaubt in Erstaufnahme-Einrichtungen bleiben können – damit eine mögliche Abschiebung nicht verzögert wird. In den Erstaufnahme-Einrichtungen soll es wieder mehr Sachleistungen und weniger Bargeld geben – das hat die Union durchgesetzt, um Deutschland für Asylsuchende weniger attraktiv zu machen. Außerdem sollen drei weitere Balkan-Staaten zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden – damit Asylsuchende von dort, die kaum eine Bleibe-Perspektive haben, schneller abgelehnt werden können. In Kraft treten soll all das möglichst schon am 1. November.


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