Die Hauptdarsteller ganz in rosa im Auto
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Ganz ohne Sex: Erfolgsfilm "Barbie"

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Hollywood dreht weniger Sex-Szenen: "Gewisse Panik in der Luft"

In Hollywood-Filmen gibt es deutlich weniger erotische Inhalte als früher, so die Statistik eines britischen Branchen-Experten. Er nennt sieben Gründe dafür, die allerdings nicht von allen Beobachtern geteilt werden. Die "Sex-Panik" ist umstritten.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Er nennt sich auf seiner Website Filmstatistiker und gilt als anerkannter Experte für Zahlen aus der Filmbranche: Stephen Follows ist ein viel gefragter Gesprächspartner und Berater. Jetzt hat er im Auftrag des britischen Wirtschaftsblatts Economist die 250 erfolgreichsten Filme, die seit dem Jahr 2000 auf den Markt kamen, auf sexuelle Inhalte ausgewertet. [externer Link]

Das Ergebnis: Es gibt aktuell vierzig Prozent weniger Sex-Szenen als vor zwanzig Jahren, nicht aber weniger Darstellungen von Gewalt und Drogenmissbrauch. Dabei ist die Statistik keineswegs "Ansichtssache", wie Follows betont. So seien die Sex-Szenen nicht etwa "entschärft" worden, sondern würden ganz gestrichen: "Kurz gesagt, es gibt mehr Filme, die blitzsauber sind." Das gelte für Action-Filme ebenso wie für Thriller.

Hollywood will Kontroversen vermeiden

Einen "eindeutigen" Grund dafür gebe es nicht, so der Experte, der seine "Vermutungen" jedoch in sieben Punkten zusammenfasst. Das jüngere Publikum, auch als Generation Z bekannt, habe "möglicherweise weniger Interesse an expliziten Darstellungen von Sexualität". Der Kulturkampf um soziale Werte habe die Filmproduzenten eventuell "sensibler" gemacht.

Sie wollten Kontroversen aus dem Weg gehen. Große und teure Hollywood-Produktionen würden überdies international vermarktet und müssten daher mit unterschiedlichen kulturellen Normen harmonieren: "Explizite Sex-Szenen können zu einer strengeren Altersfreigabe oder Zensur führen und somit die potentielle Reichweite eines Films verringern."

Durch die Streaming-Dienste würden "Nischen-Filme" überdies maßgeschneidert angeboten: "Angesichts der Allgegenwärtigkeit von Internetpornografie stehen dem Publikum, das explizite sexuelle Inhalte sucht, online zahlreiche Optionen zur Verfügung.

Das hat möglicherweise dazu geführt, dass das Mainstream-Kino diese Nische nicht mehr füllen muss, so dass sich Filme auf andere Elemente des Geschichtenerzählens konzentrieren können, ohne Sexszenen einbauen zu müssen, um Zuschauer anzulocken."

Sexulalität soll "authentischer und respektvoller" dargestellt werden

Follows nennt auch die Intimacy Coordinators, also Berater für Sex-Szenen am Drehort, die Belästigungen und unangemessenes Verhalten unterbinden sollen. Ihre Arbeit könne von Sex-Szenen "abschrecken". Speziell in Filmen für ein vorzugsweise männliches Publikum, also im Action-Bereich, werde versucht, Sexualität "authentischer und respektvoller" darzustellen.

Bei seiner Analyse schloss Follows nach eigenen Worten Filme aus, die dezidiert sexuelle Gewalt zu ihrem Hauptthema machen. Ihm ging es demnach in seiner Statistik um Sexualität als "erregendes" Element innerhalb romantischer oder abenteuerlicher Geschichten.

In einer früheren Untersuchung hatte Follows seine Arbeitsthese belegt, wonach der Erotik-Thriller (also Filme wie Basic Instinct, Fatal Attraction, Blue Velvet) in der Branche stark rückläufig ist. Demnach wurden die meisten Erfolgsfilme dieses Genres in den 1990er Jahren gedreht, seitdem seien solche Filme deutlich weniger gefragt.

"Lang lebe die Sex-Szene"

Dem widersprechen allerdings Schlagzeilen, wonach gerade das vergangene Jahr ein "gutes, wenn auch nicht immer ein erfolgreiches" für "Sex auf der Leinwand" gewesen sei. Als Beispiele wurden das Liebesdrama "Mai Dezember", die feministische, "sex-hungrige" Frankenstein-Version Poor Things, die erotische Studenten-Farce Saltburn und das fantastische Melodram All wir Fremden genannt.

Womöglich lag eine Kritiker-Runde des Magazins New Yorker richtig, die im Februar 2022 unter der Überschrift diskutierte [externer Link]: "Die Sex-Szene ist tot. Lang lebe die Sex-Szene".

Anlass war damals eine Äußerung des holländischen Regisseurs Paul Verhoeven (85, Basic Instinct), der einen "allgemeinen Wandel zum Puritanismus" festgestellt haben wollte und von Kollegen wie John Cameron Mitchell unterstützt wurde: "Es liegt eine gewisse Sex-Panik in der Luft."

Der offen schwule Mitchell (61) hatte die Branche 2006 mit seinem Film Shortbus irritiert, in dem es um das Liebesleben von jungen New Yorkern ging und Hardcore-Sexszenen nicht ausgespart wurden.

"Nicht so viel Platz für archetypische Formen"

Kritikerin Naomi Fry sagte in der Aussprache über diese umstrittenen Bestandsaufnahmen: "Ja, es scheint, als gäbe es im Moment nicht so viel Platz für Männlichkeit und Weiblichkeit in diesen archetypischen Formen, die wir früher hatten, als Robert Redford eine Million Dollar für eine Nacht mit Demi Moore bezahlen konnte." Gemeint war der Film Ein unmoralisches Angebot von 1993.

Kritiker Vinson Cunningham bestätigte in der Runde ein Argument, das jetzt auch in Stephen Follows' Analyse genannt wurde: "Ich denke, Pornos spielen hier eine große Rolle. Früher, als es noch keinen weitverbreiteten Zugang zu Pornos gab, drehten sich ganze Filme nur darum: 'Ich möchte, dass du den Rest des Tages aufgewühlt bist, weil dieser Film so verdammt heiß ist.' Ich denke, dass die Verbreitung von Pornos uns dazu zwingt, beim Sex im Kino einfallsreicher zu sein, als wir es vielleicht sein wollen."

Gen Z: Weniger Sex – aber moderner

Ob vielen Angehörigen der Generation Z (Geburtsjahrgänge 1997 bis 2012), derzeit die wohl wichtigste Zielgruppe für das Hollywood-Kino, Sex wirklich peinlich ist, wie eine Umfrage im Auftrag von Netflix 2023 ermittelt haben will, das sei dahin gestellt.

Es gibt zum Umgang Jugendlicher mit Sexualität zahlreiche, teils widersprüchliche Untersuchungen, in denen wahlweise behauptet wird, die Gen Z habe generell "weniger Sex", allerdings einen "modernen" Zugang zu dem Thema.

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