Foto vom weltweit größten Lithumbecken. Es befindet sich in der Atacama-Wüste
Bildrechte: Edward Burtynsky, courtesy Nicholas Metivier Gallery, Toronto

Fotografie von Edward Burtynsky, Lithium Mines #1, Salt Flats, Atacama Desert, Chile, 2017

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"The World in My Hand": Das Smartphone in der Kunst

Uhrzeit, E-Mails, Bankgeschäfte, Wetterbericht, Navi, Fotoapparat: Das Smartphone hat unseren Alltag entscheidend verändert. Die Ausstellung "The World in My Hand" zeigt nun, wie Künstlerinnen und Künstler das kleine Gerät sehen.

Über dieses Thema berichtet: Die Welt am Morgen am .

Gleich das erste Kunstwerk zeigt – nein, kein Smartphone, sondern das Foto einer Hand. Wir blicken auf einen leeren, locker geöffneten Handteller und die Sache ist klar: Hier fehlt ein Handy. Theoretisch könnte die Hand auch einen Faustkeil halten, auch so ein Titan unter den Game-Changern menschlicher Werkzeuge, aber man denkt bei dieser Allerwelts-Handhaltung nun mal an ein Smartphone – und das sagt viel.

"Homo digitalis" mit abgeknicktem Nacken

Als Nächstes fällt der Blick auf eine Glasarbeit von Julian Opie: ein lebensgroßes Emaillebild eines jungen Mannes, der hier als klassischer Vertreter des "Homo digitalis" gezeigt wird, jene Kreatur, die sich vom aufrechten Gang langsam wieder abwärts entwickelt: der Nacken ist abgeknickt und schaut nach unten aufs Handy.

"The World in My Hand" ist keinesfalls eine Anti-Handy-Ausstellung, im Gegenteil. Die Künstlerinnen und Künstler beziehen keine Stellung, sie zeigen einfach, was ist. So wie Edward Burtynsky. Seine Luftaufnahme der größten Lithium-Mine der Welt in der Atacama-Wüste in Chile zeigt die Lithiumbecken, wie sie sind: sehr giftig und sehr schön. "In Verdunstungsbecken wird die Salzsole der Sonne ausgesetzt", erklärt Jörg Garbrecht, Direktor der Alexander-Tutsek-Stiftung München, "und es verdunstet das Wasser und das Lithium bleibt zurück und das schillert von einem frischen Becken in Hellgrün in verschiedenen Schattierungen hin zu einem türkisen, da ist die Konzentration am höchsten."

Das Smartphone als Fluch und Segen

Mehr als 50 Arbeiten rund ums Smartphone haben die Kuratoren Jörg Garbrecht und Katharina Wenkler zusammengetragen, gemäß den Sammlungsschwerpunkten der Tutsek-Stiftung alle aus den Bereichen Glas und Fotografie. Die Themenvielfalt ist enorm: Von der verkürzten Emoji-Kommunikation über neue Formen der Partnersuche und Pornografie, bis hin zu Falschinformationen, Informationsüberfluss, Einsamkeit und Verbundenheit über Kontinente hinweg ist alles dabei. Einige Künstlerinnen nutzen das Smartphone auch zur Herstellung ihrer Kunst. Von David Horvitz stammen zum Beispiel zwei Handy-Videos: Beide zeigen die Sonne im gleichen Moment, aber an unterschiedlichen Orten: einmal als Sonnenauf-, einmal als Sonnenuntergang.

Bildrechte: VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: NOSHE
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Blick in die Ausstellung "The World in My Hand", Alexander Tutsek-Stiftung, mit Arbeiten u.a. von Julian Opie, Edward Burtynsky, Aram Bartholl

Eine Art Archiv der Wüstenlandschaften dieser Erde ist die Arbeit "Mirage" von Katie Paterson. Für den Apple-Park in Cupertino hat sie einen Zaun aus verschiedenfarbigen Glasstelen gestaltet. Jede der 70 Stelen ist aus Glas aus einem anderen Wüstensand gefertigt, denn Glas enthält Sand und jeder Sand ergibt eine andere Glasfarbe. In der Münchner Ausstellung liegt nun eine Stange, die die verschiedenen Glassorten als Scheiben aneinanderreiht: von Eisblau bis Olivgrün.

Mit Ai Weiweis berühmtem Fahrstuhl-Foto ist auch ein wahrlich existentieller Handy-Moment zu sehen, sagt Kuratorin Katharina Wenkler: "Man sieht Ai Weiwei, wie er ein Foto schießt, im Fahrstuhl, im Hintergrund die Polizei, der Hintergrund ist, dass er sich in einem Hotel befand in China, weil er in einem Prozess gegen die Regierung und er wurde abgeholt von der Polizei und konnte nicht aussagen und als Absicherung hat er dieses Foto geschossen."

Die ganze Welt in unserer Hand

Das Handy als "die Welt in meiner Hand" heißt eben auch, dass man sich selbst in diese Welt hineinbeamen kann. Das funktioniert schon bei den Kleinsten: Ein vielleicht zweijähriger Junge starrt auf ein Handy, um ihn herum herrscht Dunkelheit, nur sein Gesicht wird nur vom Display erleuchtet. Es ist ein Foto aus dem Ukraine-Krieg, aber es weist weit darüber hinaus: Man kann Kinder mithilfe des Smartphones von schrecklichen Dingen ablenken. Sie können diesen schrecklichen Dingen durch das Smartphone aber auch überhaupt erst im Netz begegnen.

Eine der poetischsten Arbeiten der absolut sehenswerten Ausstellung stammt von Jeff Zimmer. 1995 ist sein Lebensgefährte an Aids verstorben. Zimmer hat nun Fotos des Geliebten auf displaygroße Glasscheiben geätzt und sie an Fäden vor eine weiße Wand gehängt. Als scherenschnittartiger Schatten bewegt sich der verstorbene Freund durch den Raum. "Er hat gesagt, da er ja gelebt hat, als es noch kein Smartphone gab, wir aber heute etwas, das nicht auf dem Smartphone ist oder keine digitale Spur hat, eigentlich als nichtexistent erachten, hat er seinem John eine digitale Präsenz verschafft."

Es ist eine Arbeit gegen das Vergessen, in der die Fragilität von Erinnerung, aber auch von Materie spürbar wird. So wichtig das Smartphone für unseren Alltag auch geworden sein mag, eine virtuell flackernde Kerze, wie sie manch Trauerwebseiten anbieten, kommt an die Poesie solch einer analogen Arbeit aus Glas, Licht und Bewegung im Luftstrom niemals heran. Und das heißt auch: Zu dieser Ausstellung muss man hingehen, physisch und in echt. Den Weg dorthin zeigt Ihnen Ihr Smartphone sicher gern.

Die Ausstellung "The World in My Hand" ist bis 31. Oktober in der BlackBox der Alexander-Tutsek-Stiftung in der Georg-Muche-Straße 4 in München zu sehen.

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