Eine Boeing 787 der Airline Latam
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Boeing: Pilotensitz könnte Sinkflug verursacht haben

Es klingt wie im Science-Fiction-Film: Eine falsche Position des Pilotensitzes hat möglicherweise dafür gesorgt, dass ein Flugzeug abgesackt ist. Bei dem Vorfall wurden 50 Passagiere verletzt. Es stellt sich die Frage: Was ist da los bei Boeing?

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Herausgerissene Fenster, abfallende Räder, notdürftig gerettete Schließmechanismen - und diese Woche sogar herumgewirbelte Fluggäste. Vom US-amerikanischen Flugzeugbauer Boeing kommen in den vergangenen Monaten immer wieder Horrormeldungen. Bei der Untersuchung des plötzlichen Sinkflugs eines Boeing Dreamliners gerät nun einem Bericht zufolge der Pilotensitz ins Visier der Ermittler.

Pilot saß möglicherweise zu weit vorne im Sitz

"Eine Bewegung des Sitzes hat die Neigung des Flugzeugs nach unten verursacht", berichtete das Fachmagazin "Air Current" unter Berufung auf einen ranghohen Sicherheitsbeamten der Fluggesellschaft. Man gehe derzeit davon aus, dass die Sitzbewegung durch den Piloten verursacht und nicht beabsichtigt gewesen sei. Allerdings werde auch noch immer die Möglichkeit eines elektrischen Kurzschlusses geprüft, hieß es laut der Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf einen zweiten Insider.

Der Airbus-Rivale werde die Betreiber der 787 über den Vorfall informieren, hieß es in dem Bericht. Dies könne darauf hindeuten, dass es sich um ein flottenweites Problem handele. Boeing lehnte eine Stellungnahme zu dem Bericht auf Anfrage der Nachrichtenagentur Reuters ab.

Bei alldem stellt sich die Frage: Wie gut funktionieren eigentlich die Qualitätskontrollen bei dem US-amerikanischen Flugzeugbauer?

Ex-Manager: "Beeilt euch, werdet fertig, bringt Flugzeuge raus"

Zwar hat die amerikanische Luftfahrt-Aufsichtsbehörde FAA inzwischen Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, das Problem scheint nach Expertenbeobachtungen aber bei der Montage und in der Unternehmenskultur zu liegen. Letzteres legt jedenfalls der tragische Fall eines jüngst verstorbenen Piloten nahe.

John Barnett war 62 Jahre alt und ehemaliger Boeing-Manager. Er hatte seinen alten Arbeitgeber immer wieder öffentlich kritisiert – wegen Sicherheitsmängeln. Bereits 2019 gab er dem Sender NBC ein Interview, in dem er berichtete, er habe von Tag eins an nur auf den Zeitplan achten müssen: "Beeilt euch, werdet fertig, bringt Flugzeuge raus", nur das sei wichtig gewesen. Zeit, sich um andere Probleme zu kümmern, hätten die Mitarbeitenden nicht gehabt, so der Mann, der 30 Jahre lang für Boeing gearbeitet hat und später als Whistleblower galt.

Ein Drittel der Sicherheitschecks negativ

Die Zahlen sehen jedenfalls nicht gut aus: Boeings Bestseller "737 Max" fällt bei einem Drittel der Sicherheitstests durch, die die FAA mittlerweile durchgeführt hat. Probleme könnten auch bei den Zulieferern liegen. Laut Medienberichten mussten Techniker des Zulieferers für die Rumpfteile jüngst Flugzeugtüren mit einer Hotelschlüsselkarte kontrollieren. Die "New York Times" schrieb unter Berufung auf eine interne Präsentation: Von 89 Überprüfungen einzelner Prozesse habe Boeing 56 bestanden. Insgesamt seien 97 Verstöße festgestellt worden. Wie schwerwiegend die Probleme waren, blieb dabei unklar.

Auch zu dem Vorfall im Januar rund um eine herausgefallene Flugzeugtür gibt es neue Informationen: Die Sicherheitsvideos, die beim Montieren des Flugzeugs im September gemacht wurden, seien überschrieben worden, so die Vorsitzende der US-Verkehrssicherheitsbehörde NTSB. Deshalb ist nicht mehr nachzuvollziehen, wie die Montage abgelaufen ist und ob es tatsächlich Bolzen waren, die gefehlt haben. Inzwischen hat das Justizministerium Ermittlungen aufgenommen.

Die Vorfälle könnten für Boeing mittelfristig existenzbedrohend werden. Denn eigentlich wollte der Airbus-Rivale sich geschäftlich von der Corona-Krise und zwei Abstürzen der 737 MAX in den Jahren 2018 und 2019 herausarbeiten. Damals sind zahlreiche Menschen gestorben.

Produktion eingeschränkt - Lufthansa kauft trotzdem weiter

Aber die aktuellen Verkaufszahlen sind nicht erfreulich für den großen Airbus-Rivalen: Boeing hat im Februar während der Untersuchung seiner Produktionslinien deutlich weniger Flugzeuge der 737-Max-Familie ausgeliefert. An die Airline-Kunden gingen 17 Maschinen. Im Januar hatte Boeing noch 25 Max-Flugzeuge ausgeliefert und im November und Dezember jeweils mehr als 40. Ohnehin hat die Luftverkehrs-Aufsichtsbehörde die Produktionskapazitäten für Boeing eingeschränkt: Boeing darf pro Monat nur noch bis zu 38 Max-Maschinen produzieren.

Für Deutschlands größtes Flugunternehmen Lufthansa stellen die Boeing-Probleme ein gewisses Risiko dar. Zwar stammen die Lufthansa-Flugzeuge in der Regel aus den Werkshallen von Airbus. Deren Wartung übernimmt zwar die Lufthansa selbst, aber es müssen immer wieder auch neue Maschinen bestellt werden. Und da hat Lufthansa erst im Dezember 40 Maschinen vom Typ 737 MAX fest bestellt – dem Typus Mittelstreckenflugzeug, der immer wieder in die Schlagzeilen gerät.

PR-Berater: "Übertriebene Kostensenkung" hat es bei Airbus nicht gegeben

Vom europäischen Konkurrenten Airbus sind solche Probleme derzeit nicht bekannt. Der Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt hat auch eine Vermutung, woran das liegt. Großbongardt ist Gründer der Werbeagentur "Expairtise", die sich auf Kommunikation im Luftverkehr spezialisiert hat und sagt, der große Unterschied liege in der Fehlerkultur und im Sicherheitsbewusstsein. Boeing habe eine "übertriebene Kostensenkung zugunsten von Unternehmensgewinnen" vorgenommen. Dieses Problem habe Airbus nicht.

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