Blechschild mit der Aufschrift "Vollzeit" und einem Pfeil nach links sowie ein gelbes Schild mit der Aufschrift "Teilzeit".
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Bei Menschen mit geringem Einkommen können bei steigendem Verdienst Zuschüsse wie Wohngeld oder Kindergeldzuschlag wegfallen.

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Arbeit in Vollzeit oder Teilzeit: Was lohnt sich mehr?

In Deutschland wollen immer weniger Menschen Vollzeit arbeiten. Denn mehr Stunden bedeuten mehr Steuern und weniger Zuschläge. Viele verharren in Teilzeit oder Minijobs – doch oft geht es nicht nur ums Geld. Eine Analyse.

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Ekaterina Maskaev ist Erzieherin in München. Sie hat zwei Kinder, einen Mann. Vor kurzem hat sie ihre Teilzeitstelle aufgestockt: "Das Leben wird immer teurer und wir reden hier nicht von Putzfrau bezahlen oder so einem Luxus, sondern Strom, Wasser, ganz normale gängige Rechnungen, die bezahlt werden müssen, oder Urlaub einmal im Jahr." Dafür geht sie arbeiten, fast Vollzeit, 37 Stunden.

Doch immer wieder stellt sie sich die Frage, ob sich das finanziell lohnt. Denn durch die Gehaltserhöhung um über fünf Prozent ist auch ihr Steuersatz gestiegen. Unterm Strich bleiben ihr netto 30 Euro weniger als zuvor.

Mehr Arbeitnehmer, aber immer weniger in Vollzeit

Während Maskaev zur Arbeit eilt, bringt ihr Mann Wladimir die Kinder in Schule und Kita, später arbeitet er als Vertriebler von zu Hause aus. Ein Alltag wie in vielen Familien in Deutschland – wobei jedoch immer weniger Menschen Vollzeit arbeiten. Wissenschaftler Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg sagte im Interview mit dem BR: "Wir haben die höchste Teilzeitquote, die wir jemals gemessen haben." Das liege auch daran, dass sich über die Jahrzehnte immer mehr Frauen am Arbeitsmarkt beteiligt haben – häufig aber mit niedrigen Arbeitsstunden. Das senke pro Kopf die Arbeitszeit.

Auch deshalb kommt Deutschland im OECD-Vergleich auf die wenigsten Arbeitsstunden pro Jahr. Die Folge: Mitarbeiter sind händeringend gesucht. Auch in der Bayerischen Blumen Zentrale in Parsdorf. Bewerbungen bekommt Chefin Sonja Ziegltrum selten auf den Tisch. Und wenn, dann meist mit dem Wunsch nach einer Teilzeitstelle. Auch, weil sie sich für viele Mitarbeiter besser rechne. Einer ihrer Angestellten habe etwa seine Stunden reduziert, weil er sich mit einem geringen Gehalt auf eine Sozialwohnung in München bewerben wollte. Das sei traurig, sagt sie.

Warum kann sich für manche Teilzeit lohnen?

Tatsächlich gibt es in Deutschland eine Bevölkerungsschicht, für die sich Mehrarbeit schlicht nicht lohnt. Bei Menschen mit kleineren und mittleren Einkommen würden bei steigendem Verdienst nämlich Zuschüsse wie Wohngeld oder Kindergeldzuschlag wegfallen.

Das Institut für Wirtschaftsforschung hat das Beispiel eines Paars errechnet, das in München lebt, zwei Kinder hat und ein gemeinsames Bruttoeinkommen von 3.000 Euro. Mit Zuschlägen kommt es netto auf 4.227 Euro. Steigert es das Bruttoeinkommen um 2.000 auf 5.000 Euro, bleiben netto nur 76 Euro mehr übrig – weil die Transferleistungen schrumpfen.

Steuern: Minijobs rechnen sich manchmal mehr

Chefin Sonja Ziegltrum von der Bayerischen Blumen Zentrale sieht noch ein weiteres Problem bei der Suche nach Arbeitskräften: Das Ehegattensplitting, bei dem Frauen steuerlich meist viel Geld abgezogen bekommen. Viele Frauen würden nach der Schwangerschaft zurückkommen und nur noch einen Minijob annehmen, wo keine Steuern und Sozialabgaben anfallen. Würden sie mehr arbeiten, wäre der Nettolohn kaum höher.

Arbeitsmarkt-Experte Enzo Weber sieht in den Minijobs einen Fehlanreiz: "Arbeite möglichst wenig, dann bist du steuerfrei. Das ist wirklich aus der Zeit gefallen." Das müsse anders geregelt werden.

Vereinbarkeit von Beruf und Familie entscheidend

49 Kinder kommen jeden Tag in die offene Kindergartengruppe von Erzieherin Ekaterina Maskaev. Insgesamt arbeiten im Haus 16 pädagogische Fachkräfte – mehr als die Hälfte von ihnen in Teilzeit. Ein komplexer Dienstplan macht das möglich. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sei besonders im sozialen Bereich herausfordernd, auch weil Homeoffice nicht möglich ist, sagt die Leiterin.

Eine Branche ist dafür bekannt, dass sie Mitarbeitern viel Einsatz abverlangt: die der Berater. Daniel Smentek arbeitet für Accenture, eines der größten Beratungsunternehmen in Deutschland. Er ist Vater von zwei kleinen Kindern. Für sie hat er zuletzt Teilzeit gearbeitet. Auch zuvor hat er seine Arbeit bereits reduziert – für eine Weiterbildung als systemischer Coach. Sein Wunsch, weniger zu arbeiten, hatte anfangs aber einen anderen Grund. Nach den ersten zwei Jahren Beratung sei er wie viele Kolleginnen und Kollegen "ins Hamsterrad" geraten. Er stand kurz vor dem Burnout und hat sich damals entschieden, einen Tag weniger zu arbeiten.

Kann man jederzeit zwischen Teilzeit und Vollzeit wechseln?

Das Beratungsunternehmen Accenture ermöglicht den Mitarbeitern, flexibel zwischen Teil- und Vollzeit zu wechseln. Daniel Smentek hat das in den vergangenen knapp 18 Jahren häufig in Anspruch genommen. Als er die Möglichkeit von Teilzeit gebraucht hat, konnte er sie sich nehmen: Jetzt arbeitet er wieder auf Vollzeit. Die Karriereleiter ist er gerade wegen dieser Flexibilität hochgeklettert, davon ist er überzeugt. Ihn motiviert auch, dass er jederzeit zurück in Teilzeit wechseln kann, wenn er es braucht. Anders ist das in vielen anderen Unternehmen – reduzieren geht, aber einen Rechtsanspruch, in Vollzeit zurückzukehren, gibt es meist nicht.

Was müsste sich ändern?

Maskaev hat erst vor sechs Monaten auf 37 Stunden aufgestockt. Doch für sie ist der tägliche Spagat zwischen fast Vollzeit arbeiten und Familie auf Dauer zu aufreibend: Sie will um zwei Stunden reduzieren – auch wenn sie ihren Beruf liebt. Vollzeit zu arbeiten ist für sie eine Kraftanstrengung, die sich finanziell rentieren muss. Und: Eltern brauchen die Gewissheit, dass ihre Kinder während der Arbeit optimal versorgt sind. Auch Arbeitsmarkt-Experte Enzo Weber vom IAB sieht die Lösung in guter Kinderbetreuung und flexiblen Arbeitszeitmodellen.

Dieser Artikel ist erstmals am 21. April 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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