Der Chip und ich Meine erste Woche als Cyborg
Unser Kollege Christian Alt ist der erste Cyborg der PULS-Redaktion. Seit einer Woche hat er einen NFC-Chip in der Hand. In seinem Tagebuch erzählt er uns, wie sein neues Leben als Cyborg so ist.
"Hier."
"Ja."
"Überhaupt nicht."
"Noch nicht so viel."
Das sind seit einer Woche meine Standardantworten, wenn Leute zum ersten Mal hören, dass ich jetzt ein Cyborg bin. Frage Nummer eins ist immer: "Zeig mal das Implantat!", worauf sofort die Frage "Darf ich mal anfassen?" kommt. Es ist zwar ein bisschen traurig, aber: Ich wurde schon lange nicht mehr so oft angefasst wie in der letzten Woche. Wenn die Leute dann vorsichtig mein Implantat zwischen Daumen und Zeigefinger antatschen, ist die Reaktion immer dieselbe: "Ieeeh! Hat das nicht wehgetan?". Nö, hat es nicht. Da war Impfen schlimmer.
Ich stelle mir vor, dass sich so auch frischgebackene Mütter fühlen müssen, die ein dutzend Mal pro Tag sagen müssen, wie lange sie in den Wehen lagen und wie schwer und groß das Kind ist. Statt "3,2 kg und 49,1 cm" sage ich aber "134k kHz und 868 Bytes", so viel Speicherplatz schlummert jetzt unter meiner Haut.
Nach all dem Vorgeplänkel kommt aber die Masterfrage: "Was kann man denn jetzt mit dem Ding machen?" Antwort: "Noch nicht so viel." Leider.
Denn zumindest auf dem Papier bietet der Chip zahllose Möglichkeiten. Es ist ein NFC-Chip, also die Technik, die heute auch in vielen Schließsystemen, Bezahlstationen und vor allem Handys verbaut ist. Idealerweise sähe mein Leben als Cyborg also so aus: Ich gehe morgens aus dem Haus, bezahle die Brötchen beim Bäcker mit meiner Hand, löse mit der Hand ein Busticket, fahre zur Arbeit, wo ich mit einem Jedi-Move die Tür öffne. Ach ja, und unterwegs entsperre ich mit dem Chip mein Handy und gebe dem so nett schauenden Mädchen im Bus meine Nummer. Die natürlich auch auf meinem Chip gespeichert ist.
Aber so ist es nicht.
Bisher kann mein Chip nur eine Sache: anderen Leute meine Telefonnummer geben. Und das auch nur, wenn der oder die andere ein Android-Handy hat. iPhone-Nutzer wie ich sind mal wieder außen vor, denn Apple hat die NFC-Technik auf seinen Geräten verschlüsselt. Scheiße.
Vor ein paar Tagen wollte ich jemandem mit dem Chip meine Nummer geben. Ich stehe vor ihm, nehme ihm sein Handy aus der Hand und halte es an den Chip. Aber: Das Ding will nicht reagieren. Ich rubbel mit seinem Smartphone an meiner Hand, um den richtigen Winkel zu treffen. Denn: Bei jedem Smartphone sitzt der NFC-Empfänger woanders. "Moment, Moment. Ich hab da so einen Chip! Gleich hab ich's!", sage ich, während ich sein Smartphone an meiner Hand reibe.
"Ja, gleich kommt’s. Einen Moment noch."
Er starrt mich an.
"Gleich. Gleeeeich!". Das Smartphone vibriert kurz. Auf dem Display steht mein Name.
"So", sage ich und seufze. "Da hast du meine Kontaktdaten. Melde dich doch mal."
Mit Fingerspitzen nimmt er sein Handy entgegen, schaut mich irritiert an und geht. Seine Nummer habe ich nicht bekommen.
Aber die Probleme mit dem Chip haben eigentlich schon auf der Cyborg-Messe angefangen, wo mir das Ding eingesetzt wurde. Auf der Messe hat die Firma Digiwell ausgestellt, die nicht nur NFC-Chips vertreibt, sondern auch die Technik drumherum. Nach dem Implantieren streune ich am Stand von Digiwell vorbei. Auf dem Tisch liegen elektronische Türschlösser und anderer Cyborg-Schnickschnack herum. Ich frage, welche Sachen ich denn jetzt mit meinem Chip tun könnte.
Die Antwort: "Also bei uns nichts."
"Wie jetzt?"
"Ja, der Chip wurde dir nicht von unserem Piercer eingesetzt, oder?"
"Nein", sage ich und zeige auf Jowan Österlund, meinen schwedischen Piercer, "der hat mit der den eingesetzt."
"Tja, der Chip, den du in der Hand hast, ist ein bisschen anders als der von uns. Deswegen können wir den nicht unterstützen. Um ehrlich zu sein: Dein Chip ist eine Kopie von unserem."
"Und jetzt? Was mach ich denn jetzt?"
"Das musst du deinen Piercer fragen. Ich hab keine Ahnung, was du da jetzt in der Hand hast.“
Betamax versus VHS, HD-DVD versus Bluray und jetzt NFC-Chip Nummer 1 gegen Nummer 2. Ich frage bei Jowan nach. Er meint, ich solle mir keine Gedanken machen, die Chips wären untereinander voll kompatibel. Ich bin trotzdem vorsichtig und investiere kein Geld in ein neues Türschloss. Das Geld sollen lieber andere in die Hand nehmen. Der Bayerische Rundfunk zum Beispiel.
Endgegner Hausverwaltung
Ein paar Tage nach meiner zweiten Geburt als Cyborg melde ich mich bei der Hausverwaltung des Bayerischen Rundfunks. Hier wohnt der Endgegner. Ich will mit meiner Hand ins Gebäude. Und vor allem: in der Kantine zahlen.
Der Chef der Hausverwaltung ist leider nicht da, dafür seine Sekretärin.
"Wos homm Sie?"
"Einen Chip in der Hand."
"Einen was?"
"Einen NFC-Chip. Das ist die gleiche Technologie wie in meiner BR-Karte. Ich will mit meiner Hand die Tür aufmachen."
"Is des a Joke jetzt? Von welcher Redaktion sann Sie?"
Ich stehe kurz davor, dass mir eine Sicherung rausfliegt.
"PULS! Und nein, das ist kein Joke!"
Hier komme ich nicht weiter. Am nächsten Tag stehe ich wieder vor der Tür. Eine neue Kollegin sitzt im Vorraum der Hausverwaltung. Die nimmt mich ernst und findet meinen Chip total spannend. Nach den vier obligatorischen Fragen (siehe oben), sagt sie, sie leite mein Anliegen selbstverständlich gerne weiter.
Ein paar Stunden später die Antwort: Meine Hand zu programmieren ist prinzipiell möglich, aber dazu muss der Verwaltungsrat Stellung nehmen. Das bedeutet für mich: Anträge schreiben und beim Verwaltungsrat vorstellig werden. Ich werde mich davon aber nicht unterkriegen lassen. Ich schreibe gerne dutzende Anträge, gehe zu Verwaltungsräten und Gremien und mache so lange weiter, bis ich endlich meinen Kaffee mit meiner Hand zahlen kann.