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Hitlers "Mein Kampf" "Man kann das Buch nicht mehr verbieten"

Nächstes Jahr wird "Mein Kampf" auch in Deutschland legal zu kaufen sein. Christian Hartmann vom Institut für Zeitgeschichte arbeitet mit an einer kommentierten Neuausgabe. Uns erzählt er, warum ein Verbot nicht länger Sinn macht.

Von: Sebastian Meinberg

Stand: 16.07.2015 | Archiv

Grafik: Adolf Hitlers "Mein Kampf" soll 2016 als kommentierte Neuausgabe auf den deutschen Markt kommen. | Bild: BR

70 Jahre nach Hitlers Tod laufen am 31. Dezember 2015 die Urheberrechte von "Mein Kampf" aus. Die liegen derzeit noch beim Bayerischen Staatsministerium für Finanzen, die es 1948 als Nachlassverwalter Hitlers zugesprochen bekamen und bis heute eine Veröffentlichung in Deutschland verhindert haben.

Seit 2009 arbeitet das in München ansässige Institut für Zeitgeschichte (IfZ) an einer kommentierten Neuausgabe des Buchs - erst ohne den Segen der bayerischen Regierung, 2012 dann mit deren Unterstützung, 2013 dann wieder gegen deren erklärten Willen. Horst Seehofer erklärte, dass man künftigen Veröffentlichungen sogar mit einer Strafanzeige begegnen werde. Das IfZ arbeitete trotzdem weiter. Dr. Christian Hartmann ist Teil des Teams, dass die kommentierte Ausgabe erarbeitet. Wir haben ihn gefragt, warum das Buch veröffentlicht werden sollte.

PULS: Warum ist es denn aus Ihrer Sicht wichtig, dass es eine kommentierte Version von "Mein Kampf" gibt?

Dr. Christian Hartmann vom Institut für Zeitgeschichte

Dr. Christian Hartmann: "Mein Kampf" ist eine Propagandaschrift, wie es selten eine gab. Das Buch ist voll mit Lügen, Unterstellungen und Halbwahrheiten. Dass man dazu Stellung nimmt, ist nicht nur aus Sicht des Historikers wichtig, das ist auch politisch unabdingbar.

Es gab ja viele Diskussionen um die Veröffentlichung des Buchs, auch als kommentierte Ausgabe. Zuerst gab es Unterstütztung aus der Politik, dann hieß es, die kommentierte Ausgabe sollte doch nicht erscheinen...

Das Schlimme ist ja eigentlich, dass "Mein Kampf" schon auf dem Markt ist: Es ist jederzeit im Internet abrufbar, es gibt viele, viele Raubdrucke. Und das Buch wird gehandelt wie ein Klassiker, mit Hakenkreuz und allem... Das sind natürlich ganz unkritische Verbreitungen - wie das Buch derzeit durch die Welt geistert, ist hochgefährlich.

Jetzt kann es passieren, dass nächstes Jahr "Mein Kampf" auch in Deutschland unkommentiert herauskommt - zumindest urheberrechtlich würde das gehen. Fänden Sie das auch in Ordnung?

Ich finde natürlich eine kommentierte Ausgabe viel besser - allein schon, weil man viele Dinge erst durch die Kommentierung versteht. Aber noch wichtiger ist, dass man auch eine Vorstellung davon bekommt, was eigentlich aus Hitlers Thesen geworden ist. Weswegen wir auch in die Zukunft kommentieren und zum Beispiel aufzeigen, was nach Hitlers Regierungsantritt aus den Forderungen zur Euthanasie wird, was aus den antisemitischen Forderungen wird und was aus den Forderungen zur Diktatur. Ich denke, man kann "Mein Kampf" nur in diesem Kontext lesen.

Das heißt, unkommentiert würde man nicht merken, was wahr ist und was eine Lüge?

Ja, vieles versteht man unkommentiert gar nicht. Es birgt eine gewisse Gefahr, auch wenn die Themen sehr altmodisch sind. Aber wie schon gesagt, das Buch ist in der Welt und es gibt Interessenten. Und die sollten mitgeliefert bekommen, was die Historiker zu dem Thema erarbeitet haben.

Irgendwann hat die bayerische Staatsregierung Abstand genommen vom Projekt der kommentierten Fassung. Haben Sie da gedacht: "Jetzt hör ich auf"...?

Naja gut, dass wir das Projekt einstellen, war eigentlich nie in der Diskussion bei uns. Es gibt schließlich immer noch die Wissenschaftsfreiheit. Was ich etwas seltsam fand, war, dass die Nachricht für uns sehr unvorbereitet kam. Ich war damals gerade auf dem Weg nach Israel. Und wenn man das zwei Tage vorher erfährt, hat das in Israel für viele Fragen gesorgt. Es gibt viele Historiker in Israel, die unser Projekt für sehr sinnvoll halten.

Die Justizminister der Länder wollen mit Strafanzeigen weiterhin verhindern, dass unkommentierte Veröffentlichungen auf den deutschen Markt kommen. Ist das eine gute Idee?

Das Buch ist in der Welt und durch das Internet kann man das auch nicht mehr kontrollieren. Das konnte man noch vor 20, 30 Jahren und das hat der Freistaat Bayern ja auch sehr intensiv gemacht. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das auch durchaus sinnvoll, weil wir damals in Deutschland eine ganz andere Mentalität hatten. Inzwischen sind die Dinge aber viel weiter weg gerückt. Und gerade, weil man es nicht mehr kontrollieren kann, ist es wichtig, dass es eine kommentierte Ausgabe gibt.

Das Buch ist ein riesiger Wälzer und Sie haben jede Menge Fußnoten dazugefügt und unheimlich viele Quellen aufgeführt. Was motiviert Sie, da dranzubleiben?

Die Hauptmotivation ist immer wieder die Frage: Wie war's eigentlich wirklich? Das und die kritische Auseinandersetzung treibt einen an. Wenn ich das Buch ganz klassisch editieren müsste, also zum Beispiel nur Textvarianten vergleichen müsste, das wäre ganz schrecklich. Aber die kritische Auseinandersetzung mit dem "heiligen Gral" des Nazismus, das ist spannend und das ist eine Motivation, die die vergangenen drei Jahre nie abgerissen ist.

Gab's trotzdem Momente, wo Sie gesagt haben, jetzt habe ich keine Lust mehr?

Es war natürlich auch eine sehr anstrengende Knochenarbeit - wir haben über 3.700 Anmerkungen geschrieben... Ich hatte vor kurzem so eine Erste-Hilfe-Übung, bei der man durch dunkle Gänge zu den Opfern kriechen musste und dann war man wieder am Licht - so ähnlich habe ich mich in dieser Edition auch gefühlt. Das ist eine sehr, sehr anstrengende Arbeit, man muss da wirklich ganz tief einsteigen und sich natürlich auch permanent mit ganz viel Dreck und Lügen auseinandersetzen. Aber dass das jetzt abgeschlossen ist und dass wir jetzt eine Gegendarstellung zu dem ganzen Irrsinn geschrieben haben, das ist eigentlich ein sehr, sehr gutes Gefühl.

Sie sprechen den Dreck an, der im Buch steht - wie ging es Ihnen damit, sich jeden Tag durch Texte quälen zu müssen, in denen es um die Vernichtung von Juden geht und um andere menschenverachtende Dinge?

Man stellt schon fest, dass einen das nicht los lässt. Aber ich bin ja auch Historiker geworden, weil ich das machen will - also auch eine aufklärende Arbeit leisten. Es ist immer wieder eine Genugtuung, wenn man es schafft, Hitler zu widerlegen.

Gab's dann irgendwann auch mal einen Moment des Triumphs, wo Sie gesagt haben, ja, dafür hat es sich gelohnt?

Ja, diese Momente des Triumphs gab's sogar sehr oft. Im Grunde war das bei jeder Behauptung so, die man in dem Buch findet. Wir haben uns immer sofort gefragt: Okay, was ist unsere Strategie, wie können wir ihn aufs Kreuz legen? Das ist wie eine Schachaufgabe und dann muss man sehr, sehr viel Wissen und Quellen ausfindig machen. Zum Teil haben wir auch Belege gefunden, mit denen wir beweisen können, dass Hitler privat ganz anders gesprochen hat, und andere wieder, wo wir aufzeigen können, es waren reine Erfindungen. Wenn man das dann alles so Stück für Stück niederschreiben kann, ist das eine große Befriedigung.

Sie haben Hitler also gut 3.000 mal aufs Kreuz gelegt?

Kann man so sagen.

Kann ich mir vorstellen, dass das ein gutes Gefühl ist...

Es ist ja so - und das ist auch das Erschreckende - dass es das Buch schon vor 1933 zu kaufen gab und man sehr genau nachlesen konnte, was Hitler geplant hatte. Und wir wissen um die Folgen. Das Buch hat auch heute noch eine gewisse Wirkung, eine gewisse Magie, einen gewissen Mythos - und das mal so auseinanderzunehmen und auch wirklich Stück für Stück kaputt zu machen, das ist ein gutes Gefühl.


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