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Wintersport im Wandel Warum Snowboarding nie sterben wird

Snowboarding ist tot - dieses Mantra wurde die letzten Winter immer wieder heruntergebetet. Jüngster Anlass: die ISPO, wo die Snowboard-Branche in die Sackgasse verbannt wurde. Dabei lebt der Sport mehr denn je!

Von: Claudia Gerauer & Katharina Kestler

Stand: 29.01.2016 | Archiv

Snowboarder hängt an einem Sessellift und macht das Peace-Zeichen | Bild: BR

16 Hallen, über 2.645 Aussteller und 80.000 Besucher, die aufgescheucht rumwuseln, gucken, fotografieren - die ISPO, wie jedes Jahr. Was dieses Mal anders war: Auf den ersten Blick war der Snowboard- und Actionsport-Bereich weg. Nicht ganz weg, aber weit weg. Denn die Snowboard-Firmen sind mit ihren Ständen aus den prominenten A-Hallen direkt am Haupteingang ziemlich ans Ende der Messe umgesiedelt worden - in die Halle B6, oder anders gesagt: in die Sackgasse. Da, wo nur hinkommt, wer sich vorher durch die Outdoor- und Fitnessbereiche kämpft, vorbei an Dart-Scheiben, Pulsmessern und 37.529 verschiedenen Trekking-Rucksäcken für alle Arten von Wanderungen und Expeditionen - zumindest, wenn man wie die meisten Besucher durch den Westeingang auf ISPO kommt. Und zu den Snowboard-Marken kommt auch nur, wer das wirklich will, weiß, wonach er sucht und sich nicht von müden Füßen abhalten lässt. Nichts für die Laufkundschaft also. Viele dachten sich dann: So, jetzt ist es so weit, jetzt ist der Sport wirklich mausetot, lasst uns Snowboarding begraben! Vor allem die Snowboard-Hersteller selbst waren natürlich skeptisch in puncto neuer Hallenplan, auch Mirko Holzmüller von NITRO:

Mirko Holzmüller von NITRO (links)

"Am Anfang waren wir schon sehr verdutzt, die Meldung kam auch sehr spät. Für uns ist es aber extrem wichtig, hier zu sein und auch ein Zeichen zu setzen, dass Snowboarding immer noch stark ist." (Mirko Holzmüller von NITRO im PULS-Playground-Interview)

Das haben nicht alle Firmen so gesehen: Volcom war wohl wegen der verdrehten Hallenbelegung dieses Jahr zum ersten Mal nicht mehr mit seinem legendären Stand und Partys am Start. Auch Amplid, die Ski- und Snowboardfirma von Snowboard-Pionier und -Weltmeister Peter Bauer, hat sich deswegen keinen Standplatz gesichert. Der Riese Burton hat der größten Sportmesse schon letztes Jahr eine Absage erteilt - und sein eigenes Ding gemacht. Die, die immer noch da sind, merken aber kein gesunkenes Interesse an Snowboard-Produkten im Vergleich zu den Vorjahren - zumindest am NITRO-Stand, erzählt Mirko Holzmüller. ISPO-Stammgäste waren dennoch enttäuscht: "Noch nie habe ich die Actionsport-Hallen so phlegmatisch, unmotiviert und steif gesehen", sagt Bergsport-Blogger Björn Köcher.

Outdoor in der Pole Position, Snowboarding "da hinten"

Grund für die neue Hallenaufteilung war laut Messechef Klaus Dittrich der Wandel der Sportbranche selbst. Besonders Outdoor boomt: Über 50 neue Aussteller gab es in dem Bereich dieses Jahr auf der ISPO. Der starken Branche will die ISPO natürlich eine attraktive Präsentationsfläche bieten - nicht, dass die Firmen zur sehr erfolgreichen Outdoor-Messe nach Friedrichshafen abwandern. Im Actionsport, besonders bei den Snowboardfirmen, wurden es über die letzten Jahre hingegen immer weniger Aussteller. Abgewertet sollte Snowboarding aber in keinem Fall werden, sagt zumindest Messe-Chef Klaus Dittrich:

ISPO-Chef Klaus Dittrich

"Warum wir den Actionsport in den Osten platziert haben, liegt daran, dass er da einfach mehr Möglichkeiten hat, sich zu entfalten. Es gibt mehr Event-Flächen und wir haben eine eigene Snowboard-Arena aufgebaut, wo man mehr Action machen kann. Und was sich bisher zeigt, ist dass die Branche zwar am Anfang etwas skeptisch war, aber jetzt ganz happy ist da hinten." (ISPO-Chef Klaus Dittrich im PULS-Playground-Interview)

R.I.P. Snwobarding?

Aber was ist das für ein Zeichen, wenn große wie kleine Unternehmen der Branchen nicht mehr auf die Messen kommen? In einer Zeit, in der es nicht gerade einfach ist - für den Wintersport im Gesamten? Müssten die Firmen da nicht zusammenhalten? Sagen: Hey, hier sind wir! Wir sind Snowboarding und wir sind GROSS! Oder kann man Snowboarding damit jetzt endgültig beerdigen?

Indizien des Verfalls gab es schließlich schon genug - zumindest wenn man sie unbedingt so interpretieren will: Quiksilver USA ist insolvent, NIKE hat sich aus dem Snowboarden nach nur wenigen Jahren zurückgezogen, die BURTON European Open sind seit diesem Jahr die LAAX Open und das amerikanische Rookie-Team, die Knowbuddys, hat Burton vergangenen Herbst auch komplett entlassen. Das mag alles andere Gründe haben und nicht auf chronischen Geldmangel bei den Konzernen oder ein langsames Sterben des Sports zurückzuführen sein. Unabstreitbar aber ist, dass die Verkaufszahlen im Snowboardbereich lange sanken. Seit die Skiindustrie erfolgreich bei der jungen Konkurrenz gespickt hat und selbst nicht ganz untätig war, ist es dank Carving-Ski nicht mehr so schwer Skifahren zu lernen, der Spaß im Powder dank breiten Rocker-Latten (fast) genauso groß, der Aufstieg dank Tourenski sowieso leichter als mit einem Splitboard und dank hippem "Freeski"-Design ist es sogar für die coolsten Dudes wieder legitim, Ski zu fahren.

Stillstand ist Tod, Weiterentwicklung ist King

Kein Wunder also, dass sich auch die Snowboard-Magazine nicht mehr so leicht tun wie noch vor zehn oder 15 Jahren. Einige gibt's als Printausgaben gar nicht mehr, andere philosophieren über ihre Daseinsberechtigung und Ausrichtung - wie die Pleasure, das erfolgreichste deutsche Snowboard-Heft.

Pleasure-Chefredakteur Bene Heimstädt

"Man fragt sich, ob das System, mit dem man lange Jahre gut gefahren ist, noch verlängert werden kann. Vor ein paar Jahren haben wir auch in der Leserschaft eine große Diskussion gehabt, ob Snowboarding jenseits der Dreißig überhaupt noch legitim ist. Denn Snowboarding ist ja in dieser Partykultur der 90er und frühen 2000er groß geworden." (Pleasure-Chefredakteur Bene Heimstädt im PULS-Interview).

Mittlerweile passen die Snowboarder der ersten Stunden samstagabends auf ihre Kinder auf, statt sich in irgendeiner Kneipe die Kante zu geben. Die Revoluzzer von damals sitzen jetzt in Büros. Wenn sie es mal aufs Brett schaffen, geht's eher nicht in den Park, sondern in den Powder. Ihr Sport ist nicht mehr Punkrock, sondern olympische Disziplin. Über die Entwicklung zu Letzterem hätte sich die Snowboard-Community beinahe komplett zerstritten, und die Frage, was Snowboarding heute noch ist, ist immer noch permanenter Diskussionsgegenstand.

Bergsport-Blogger Björn Köcher

"Die Diskussion hat gezeigt, dass, wenn wir nicht aufpassen, auch aus dem Snowboarden eine rein verbandsorganisierte Sportart werden kann. Dass wir uns wehren und bewegen müssen. Das hat uns näher zusammenrücken lassen. Egal ob achtjähriger Park-Nerd, 18-jähriger Pisten-Jipper, 28-jähriger Carving-Fan oder 38-jähriger Freerider." (Björn Köcher, Bergsport-Blogger im PULS-Playground-Interview)

Das neue Snowboarding

Wer will schon Stillstand? Jeder, der erwachsen wird, entwickelt sich (hoffentlich) weiter - und weiß dann auch irgendwann, dass "erwachsen" kein Schimpfwort ist. Snowboarding stirbt nicht, es wandelt sich nur. Die ISPO verliert dabei an Bedeutung. Denn viele Firmen, wie auch Peter Bauers Ski- und Snowboard-Firma Amplid, setzen auf andere Marketingstrategien, wie eigene Kundenevents und Konzepte, mit dem Fokus auf den Endverbraucher. Dafür gibt es gute Gründe: Einerseits ist die Präsenz auf einer großen Messe wie der ISPO relativ teuer - mehrere 10.000 Euro kommen da schnell zusammen - und vom Einzelhandel werden dort schon seit Jahren kaum noch Bestellungen gemacht. Andererseits erreicht man auf Messen wie der ISPO Einzelhändler, Shops und Journalisten, aber nicht die Leute, die das Snowboard am Ende fahren und die Klamotten tragen - den Endkunden. Und der ist für die meisten Firmen im Internet über einen eigenen Onlineshop und Social Media sowieso direkt und kostengünstig umwerbbar. Für Peter Bauer von Ampild sind Messen nur ein "Muskelzeigen", wo kleine Firmen nur gegen die Großen abstinken können - und in keinem Fall aussagekräft für den Status Quo des Snowboarding:

Snowboard-Weltmeister Peter Bauer

"Die quantitative Anwesenheit von Marken auf der ISPO soll nicht als Indiz verwendet werden, wie momentan der Snowboard-Sport steht. Ich finde, dass Snowboarding so ehrlich zu sich ist wie schon lange nicht mehr. Wenn man mal schaut, was Snowboarding für die meisten bedeutet - sprich Kurven im Tiefschnee fahren - dann wird der Sport momentan auch so dargestellt und das ist super wichtig. Snowboarding hat die Talsohle durchschritten und es geht echt bergauf. Wir schreiben seit letztem Jahr wieder Wachstumszahlen und es macht super viel Spaß!" (Peter Bauer, Snowboard-Pionier und -Weltmeister im PULS-Playground-Interview)

Das beste Indiz für blühendes Leben ist ein spürbarer Herzschlag. Und den sieht man bei den vielen kleinen Brands, die mit Herzblut ihre Ideen verwirklichen - egal ob auf der ISPO oder nicht. Snowboarding lebt!


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Kommentieren

Dieter Krebernik, Freitag, 29.Januar 2016, 17:41 Uhr

1. Snowboarden tot?

Als Snowboarder der fast ersten Stunde bin ich gegen eine voreilige Betrachtung. Nur weil man uns nicht sieht :) Ich hike auch mit 74 noch alleine mein back country!
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  • Antwort von PULS Playground, Mittwoch, 03.Februar, 20:44 Uhr

    Nicht schlecht, nicht schlecht. Und ein eigenes Backcountry auch? So weit müssen wir es erstmal bringen! ;)