Bayern 2 - radioWissen


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Eine besondere Rezeptionsgeschichte

Von: Hellmuth Nordwig / Sendung: Julia Devlin

Stand: 03.06.2014 | Archiv

Literatur und MusikMS, RS, Gy

Goethes "Faust" ist das berühmteste Werk der deutschen Literatur. Jeder kennt die Zitate, denn es geht um ein Thema, das die Menschen nicht loslässt: Wir alle werden von Normen eingeengt - und Faust überschreitet diese Grenzen.

Den Doktor Faustus soll es wirklich gegeben haben. Der Alchemist und Möchtegern-Magier wurde wohl um 1480, also an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit, geboren. Viel weiß man nicht über diesen Mann, der zum Symbol dieses Übergangs, zum Inbegriff der Suche nach Erkenntnis werden sollte.

Regeln hinterfragen - und sich aufs Glatteis begeben

Wer es wagt, Neuland zu betreten, der gewinnt und verliert zugleich. Das ist das Thema des "Faust", und es ist ein Grundthema der Menschheit. Jeder von uns kennt diesen Zwiespalt der "zwei Seelen", die - "ach!" - in unserer Brust wohnen: Wir streben nach Höherem, wollen forschen, erfinden, die Welt verbessern - aber trotzdem nicht die Sicherheit aufgeben, in der wir uns eingerichtet haben. Doch wir können nicht beides haben, müssen etwas zerstören, um Neues zu schaffen. Der "Faust" macht klar: Wer sich auf den Weg der Erkenntnis begibt, geht einen Pakt mit dem Teufel ein.

Bis heute prägend für unsere Sprache

Goethes Meisterwerk ist bis heute buchstäblich in aller Munde. Seine geflügelten Worte sind in unsere Alltagssprache eingegangen: Worum es wirklich geht, das ist "des Pudels Kern". Und was unausgegoren ist, gilt nicht als "der Weisheit letzter Schluss". Am besten legt man sich eine Sammlung von "Faust"-Zitaten zu, "denn was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen" - und damit glänzen, auch wenn man als "armer Tor" den Zusammenhang nicht immer parat hat.

Vorlage für Künstler, Steilvorlage für Diktaturen

Doch die Dramatik des "Faust" lässt sich auch ohne Worte ausdrücken. Etwa im berühmten Stummfilm von Friedrich Wilhelm Murnau aus dem Jahr 1926. Auch viele Komponisten haben sich des Stoffs angenommen, darunter Beethoven, Liszt, Mahler, Hanns Eisler, Alfred Schnittke. Der Doktor Faustus war auch Grundlage zahlreicher Romane, etwa von Thomas Mann oder Klaus Mann ("Mephisto"). Sogar Harry Potter kann man als eine Fantasy-Version des "Faust" lesen. Die deutschen Diktaturen haben Goethe jeweils für sich vereinnahmt und ihre Ideologien mit Versatzstücken aus dessen berühmtesten Werk garniert. Für die Nationalsozialisten etwa "Blut ist ein besonderer Saft" - sie interpretierten Faust als auserwählten, arischen Übermenschen. Und in der DDR, die sich als Sachwalterin der Weimarer Klassik sah, deklamierte Walter Ulbricht, er wolle wie Faust "auf freiem Grund mit freiem Volke stehn". Was hätte Faust wohl darauf geantwortet: "Es irrt der Mensch, solang er strebt".


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