Eine Reise durch die Zeit 90 Jahre DGB
Der Deutsche Gehörlosenbund (DGB) feierte sein 90-jähriges Bestehen. Ein Blick auf die lange Geschichte des Verbands ...
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1. Januar 1848
1848
Erster Gehörlosenverein
1848 wird der erste Gehörlosenverein in Berlin gegründet. Das geänderte Vereinsgründungsrecht ermöglicht nun auch Gehörlosen, eigene Vereine zu gründen.
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1. Januar 1867
1867
Erstes Kirchenfest
1867 organisiert Eduard Fürstenberg das erste Kirchenfest, zu dem rund 1.500 Gehörlose aus ganz Deutschland anreisen. Auf dem Kirchenfest wird die Idee der Vereinsgründungen weiter verbreitet, es entwickelt sich ein regelrechter „Gründungsboom“ lokaler und regionaler Vereine. Zwischen 1900 und 1920 schließen sich diverse Vereine zu überregionalen Landesverbänden zusammen, umso mehr Einfluss nehmen zu können. Daraus entsteht der Wunsch nach weiterer Vernetzung durch einen Dachverband für Gehörlose. Allerdings scheitert dies zunächst an unterschiedlichen Interessen der einzelnen Verbände.
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1. Januar 1920
1920
Bedrohung vereint Gehörlose
Viele Gehörlose sind arbeitslos.
Zudem sind die Gehörlosen alarmiert durch die „Lex Zwickau“ (1924): Ärzte in Zwickau fordern die Zwangssterilisierung „erbkranker“ Gehörloser. Erst diese Bedrohung vereint die Gehörlosengemeinschaft: Man muss etwas tun – am besten in einem starken einheitlichen Verband, um die Zwangssterilisation verhindern zu können. -
1. Januar 1927
1927
Reichsverband gegründet
Fritz Albreghs ist der erste Vorsitzende des ReGeDe (Reichsverband der Gehörlosen Deutschlands). Seine Amtszeit dauert nur ein Jahr, er tritt wegen Streitigkeiten zurück. Sein Nachfolger ist Willi Ballier, der den Verband sechs Jahre leitet.
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1. Januar 1932
1932
"Verkannte Menschen"
Willi Ballier versucht mit Öffentlichkeitsarbeit mehr Arbeitsplätze für Gehörlose durchzusetzen – und dreht zu diesem Zweck den Film: „Verkannte Menschen“. Der Film läuft lange und erfolgreich in Berlin, wird dann aber von den Nationalsozialisten verboten und gilt lange als verschollen.
Erst 2013 wird eine Kopie von „Verkannte Menschen“ wiedergefunden und mit Unterstützung des DGB und des Landesverband der Gehörlosen Hessen e.V. restauriert und erneut vorgeführt. Ein wichtiges Zeugnis der damaligen Zeit. -
1. Januar 1933
1933
Gesetzlich sterilisiert
Mit der „Lex Zwickau“ als Vorläufer bestimmt ein neues Gesetz, dass Gehörlose, Blinde und Geistig Behinderte sterilisiert werden sollen. Fritz Albreghs – damals Reichsfachschaftsleiter - unterstützt das. Gehörlosenzeitungen werben für die Sterilisation, die diese Maßnahme verharmlost. Etwa 17.000 Gehörlose werden in den darauffolgenden Jahren sterilisiert.
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1. Januar 1943
1943
Zwangsaufgelöst
Der ReGeDe wird während des Nationalsozialismus gleichgeschaltet und 1943 zwangsaufgelöst.
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14. Januar 1950
14. Januar 1950
Gründung
Die Nachkriegszeit steht ganz im Zeichen des Wiederaufbaus. Kurz nach offizieller Gründung der Bundesrepublik Deutschland treffen sich am 14./15. Januar 1950 mehr als 50 Vertreter von Gehörlosenverbänden in der Rheinhalle in Düsseldorf. Gemeinsames Ziel ist die Gründung eine Deutschen Gehörlosenbundes. Sein erster Präsident ist Karl Wacker. Sein Ziel ist es, Gehörlose beruflich zu unterstützen.
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1. März 1950
März 1950
Eine Erklärung
Erklärung Karl Wackers zu den Aufgaben des DGB: „Daher ist es sehr einfach, die Aufgaben des Bundes zu umreißen. Diese bestehen in der Vertretung der Gehörlosen auf wirtschaftlichem und sozialpolitischem Gebiete und in der Wahrung der Interessen der Gehörlosen auf Bundesebene; d.h. alle Fragen und Angelegenheiten, die nur durch die Bundesregierung bzw. Bundesbehörden auf der Basis des Bundesgebiets geregelt werden können und müssen, stehen unserem Bund zu.“
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1. September 1950
September 1950
Beschäftigung per Gesetz
Karl Wacker führt schon im September 1950 erste Gespräche mit dem damaligen Bundesarbeitsminister Albert Storch mit dem Ziel, die Interessen Gehörloser auch in das neue „Schwerbeschädigtengesetz zur Beschäftigung Schwerbeschädigter“ durchzusetzen.
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1. Januar 1951
1951
Weltverband
Der Weltverband der Gehörlosen wird in Rom gegründet. Aus Deutschland nehmen Karl Wacker und Heinrich Siepmann teil, der Vizepräsident wird. Wacker und Siepmann gelingt es, das Bild der Deutschen im Ausland nach der NS-Herrschaft neu und vor allem positiv aufzusetzen.
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1. Januar 1952
1952
Führerschein
In Deutschland bricht die Wirtschaftswunderzeit an – und der DGB setzt sich dafür ein, dass auch Gehörlose den Führerschein machen können. Mit Erfolg. Auflage: Wenn der Gehörlose schneller als 20 km/h fährt, muss er einen sowohl links als auch rechts einen Außenspiegel haben.
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1. Oktober 1953
1. Oktober 1953
Wiedergutmachung
Karl Wacker kämpft seit Beginn seiner Amtszeit für die Wiedergutmachung der Opfer der Zwangssterilisierung: Er will ein Gesetz einführen, das den vielen sterilisierten Gehörlosen eine Entschädigung zuspricht. Zwar wird 1956 rückwirkend zum 1. Oktober 1953 das Bundesentschädigungsgesetz verabschiedet, aber erst 1980 gibt es die Möglichkeit der Entschädigung für Zwangssterilisierte.
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1. Juni 1957
1. Juni 1957
DDR - Gründung erster Verein
Etwas anders verläuft die Entwicklung im anderen Teil Deutschlands, der DDR. Dort ist Gehörlosen bis 1957 nur die Gründung von Sportvereinen erlaubt. Als das Verbot 1957 aufgehoben wird, gründet sich am 01.06.1957 in Halle/Saale der „Allgemeine Deutsche Gehörlosenverband“ (ADGV). Der erste Präsident: Günter Wöller. Die Gehörlosen waren froh, ihre Sache endlich selbst in die Hand nehmen zu dürfen. Es herrschte Aufbruchstimmung.
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3. September 1957
1957
Andere Struktur in der DDR
Ein Netz von Beratungsstellen wurde in allen Bezirken der DDR aufgebaut, um eine soziale und kulturelle Betreuung anbieten zu können. Die Verbandsstrukturen unterschieden sich durchaus von den „West“-Verbänden: In der DDR gab es eine straffe Führungshierarchie und hauptamtliche Mitarbeiter des Verbands.
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3. Januar 1961
1961
Schwerhörige in der DDR
Ab 1961 wurden auch Schwerhörige in den Verband aufgenommen, der Verband wurde in „Der Gehörlosen- und Schwerhörigen-Verband der DDR“ (GSV) umbenannt.
Gerhard Sauerbrey: „Die eine Seite sah es als Unglück, wenn Schwerhörige mitmachen. Die Gehörlosen hatten etwas Sorge. Andererseits war es eine Chance, durch einen zahlenmäßig starken Verband mehr Gewicht zu haben und mehr Mittel gegenüber er Regierung.“ -
1. Februar 1961
1961
60er- und 70er-Jahre
Der Deutsche Gehörlosenbund setzt sich dafür ein, dass Gehörlose einen Schwerbehindertenausweis bekommen, und das bereits ab einem Behinderungsgrad von 70 bis 80 Prozent. Damit sind auch Steuererleichterungen verbunden. Außerdem werden Gehörlose auf Forderung des DGB von der Rundfunkgebühr befreit. Ebenso werden Vergünstigungen bei den GEMA-Gebühren erwirkt. Die Begründung: Gehörlose können die Musik, die auf den Veranstaltungen der Vereine gespielt wird, nicht hören.
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1. Januar 1985
1985
Erster Kongress zur Gebärdensprache
Der erste Kongress zum Thema Gebärdensprache findet in Hamburg statt – und heiße Debatten werden geführt. Der Grundstein wird gelegt, dass Gebärdensprache kein „visualisiertes Deutsch“ mehr ist, sondern eine eigenständige Sprache. Besonders Käthe George, Präsidiumsmitglied des DGB, setzt sich für die Gebärdensprache ein. Die Veränderung in der gebärdensprachlichen Landschaft sorgt für große Unruhe und Verwirrung.
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1. Januar 1989
1989
Neue Arbeitsweise beim DGB
Mit knapper Mehrheit wird Ulrich Hase zum neuen Präsidenten des DGB gewählt, Käthe George ist eine der Vizepräsidentinnen. Für die Gebärdensprache ist das eine zukunftsträchtige Kombination. Und auch sonst wird die Arbeitsweise im Präsidium des Gehörlosenbundes völlig umgekrempelt- so werden beispielsweise Fachausschüsse eingerichtet.
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9. November 1989
9. November 1989
Mauerfall
Mit dem Mauerfall verändert sich vieles für den Deutschen Gehörlosenbund: In der DDR war nicht die Struktur anders - Schwerhörige und Gehörlose waren zusammengefasst – sondern Gebärdensprache war dort nicht einmal bekannt. Eine schwierige Zeit beginnt, denn die unterschiedlichen Vorstellungen müssen unter ein Dach gebracht werden.
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1. Januar 1993
1993
Kulturtage
Die ersten Kulturtage der Gehörlosen finden statt. Sie bleiben die wichtigste kulturelle Veranstaltung der Gehörlosengemeinschaft. Die Titel der Kulturtage sind auch Spiegel des gesellschaftlichen Wandels:
1997 Dresden „Eine Kultur setzt Zeichen“
2001 München „Eine Kultur findet Anerkennung“
2008 Köln „Eine Kultur entfaltet sich“
2012 Erfurt „Eine Kultur mehr: Gebärdensprache“
2018 Potsdam „Unsere Kultur mit Gebärdensprache: inklusiv und gleichwertig“ -
1. Januar 2002
2002
Gebärdensprache anerkannt
Die Deutsche Gebärdensprache wird gesetzlich anerkannt – dank des Einsatzes des DGB.
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1. Januar 2013
2013
Schwierige Phase
Der Deutsche Gehörlosenbund durchlebt die schwierigste Phase seiner jüngsten Geschichte. Politisch war der Verband anerkannt und respektiert – aber dem Verein droht die Insolvenz.
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1. Januar 2014
2014
Schulden getilgt
Helmut Vogel wird zum Präsidenten des DGB gewählt. Er appelliert an die Solidarität – und kann tatsächlich die Schulden dank Spenden tilgen.
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1. November 2017
2017
Und jetzt?
Nach 90 Jahren hatte der Deutsche Gehörlosenbund 16 Präsidenten – und steht solide da.