Der Fall Edathy Chronologie eines Politkrimis
Kriminalfall, Regierungsskandal, Justizwirrwarr: der Fall Edathy war und ist alles in einem. Wir blicken zurück auf eine turbulente Polit-Affäre, die vor allem für die SPD-Spitze noch nicht ausgestanden ist.
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Dezember 2011
Bundeskriminalamt in Wiesbaden
Dezember 2011
Operation "Selm"
Ende 2011 bekommt das Bundeskriminalamt über Interpol die Kundenliste einer kanadischen Firma, die Bilder und Videos mit Darstellungen nackter Kinder sowie harte Kinderpornografie vertreibt. Auf der Liste stehen auch hunderte Deutsche, darunter offenbar Sebastian Edathy. Der Name fällt zunächst niemandem auf. Die deutschen Behörden starten die Ermittlungsoperation "Selm".
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Oktober 2013
Klaus-Dieter Fritsche und Jörg Ziercke
Oktober 2013
Edathys Name im Umlauf
BKA-Präsident Jörg Ziercke informiert den damaligen Staatssekretär im Innenministerium, Klaus-Dieter Fritsche: Edathys Name tauche im Rahmen eines internationalen Ermittlungsverfahren gegen Kinderpornografie auf, so Ziercke. Fritsche gibt diese Information weiter an den damaligen Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU).
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Oktober 2013
Sigmar Gabriel und Hans-Peter Friedrich
Oktober 2013
Die SPD wird informiert
Friedrich informiert SPD-Parteichef Sigmar Gabriel über die Ermittlungen gegen Edathy - ohne aber, so sagt es zumindest Friedrich, Informationen über den Inhalt der Vorwürfe weiterzugeben. Gabriel stellt es später anders dar: Ihm zufolge schloss Friedrich in dem Gespräch nicht aus, dass es zu strafrechtlichen Ermittlungen gegen Edathy kommt. Unstrittig: Gabriel informiert dann den damaligen SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und den damaligen Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann. Die drei SPD-Politiker beschließen, den Fall vertraulich zu behandeln.
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Oktober 2013
Thomas Oppermann und Jörg Ziercke
Oktober 2013
Wer lügt?
Oppermann ruft nach eigener Aussage bei BKA-Chef Ziercke an, um über den Fall Edathy zu sprechen. Laut Oppermann bestätigt Ziercke dabei, dass es möglicherweise strafrechtliche Ermittlungen gegen Edathy geben werde. Ziercke bestreitet später, Oppermann Informationen gegeben zu haben. Er habe Oppermann nur zugehört.
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Oktober 2013
Polizei Niedersachsen
Oktober 2013
Von wegen vertraulich...
Das Bundeskriminalamt informiert das Landeskriminalamt in Hannover, das die Information über die Edathy-Ermittlungen an die Polizeidienststelle Nienburg im Edathy-Wahlkreis weiterträgt. Später werden auch mehrere Landeskriminalämter darüber in Kenntnis gesetzt - und zudem die Innenminister der Länder. Der Vorgang gilt eigentlich als streng vertraulich.
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Oktober 2013
Jörg Fröhlich, Leiter Staatsanwaltschaft Hannover
Oktober 2013
Späte Information
Eine Vielzahl an Personen weiß Ende Oktober inzwischen über die Ermittlungen gegen Edathy Bescheid - doch erst jetzt erfährt davon auch der Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover, Jörg Fröhlich.
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November 2013
November 2013
Operation "Spade"
In Toronto berichtet die kanadische Polizei von einem "weltweiten Schlag" gegen Kinderpornografie: Bei der Operation "Spade" seien 386 Kinder befreit und mehr als 300 Tatverdächtige festgenommen worden. Zuvor hatte es eine große Razzia bei einer Firma in Toronto gegeben, die Kinderpornografie vertreibt. Auch Edathy ist Kunde dieser Firma; er soll hier 31 Filme gekauft haben.
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November 2013
Sebastian Edathy
November 2013
Edathy scheint alarmiert
Edathy ist womöglich durch die Razzia in Kanada alarmiert. Er beauftragt seinen Rechtsanwalt: dieser solle nachforschen, ob und wie gegen ihn ermittelt werde. Der Anwalt nimmt Kontakt zur Staatsanwaltschaft Hannover auf - und, wie sich später herausstellt, zu anderen Staatsanwaltschaften, unter anderem in Berlin und Niedersachsen.
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Dezember 2013
Christine Lambrecht, Thomas Oppermann
Dezember 2013
Kein Kabinettsjob für Edathy
Immer mehr SPD-Politiker haben inzwischen Kenntnis von den Vorwürfen: Thomas Oppermann informiert auch seine Nachfolgerin als Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Christine Lambrecht. Edathy, über Jahre hinweg hoch gehandelt in der Partei, bekommt in den neuen schwarz-roten Koalition keinen Posten. Und: im Januar meldet er sich arbeitsunfähig.
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Januar 2014
Staatsanwaltschaft Hannover
Januar 2014
Jetzt wird ermittelt!
Obwohl schon zahlreiche Politiker und Polizeichefs von den internationalen Ermittlungen wissen, beginnt die Staatsanwaltschaft erst jetzt mit ihren verdeckten Ermittlungen
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Februar 2014
Bundestagspräsident Lammert
Februar 2014
Wer war der Brieföffner?
Die Staatsanwaltschaft Hannover informiert Bundestagspräsident Lammert über die gestarteten Ermittlungen - per Brief. Dieser jedoch geht erst eine Woche später bei Lammert ein. Und zwar offenbar geöffnet. Jemand hat das Schreiben abgegriffen, womöglich sogar im Bundestag...
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Februar 2014
Februar 2014
Ereignisse überschlagen sich
Edathy erklärt Lammert seinen Verzicht auf das Bundestags-Mandat - "aus gesundheitlichen Gründen". Die Staatsanwaltschaft Hannover wirkt überrascht, ehe sie durchstartet: Sie durchsucht Büros und Wohnungen von Edathy. Dieser meldet wenig später den Diebstahl seines Laptops. Der NDR berichtet überdies erstmals vom Vorwurf, wonach Edathy Material habe, das unbekleidete Jungen zeige.
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Februar 2014
Hans-Peter Friedrich
Februar 2014
Friedrich im Visier
Oppermann, inzwischen SPD-Fraktionschef, geht in die Offensive. Er sagt: SPD-Chef Gabriel habe im Oktober durch Innenminister Friedrich von den internationalen Ermittlungen erfahren. Die Berliner Staatsanwaltschaft leitet sogleich Vorermittlungen gegen Friedrich ein - wegen "möglicher illegaler Informationsweitergabe aus der Bundesregierung". Und es wird bekannt, dass bei den beschlagnahmten PCs von Edathy Daten gelöscht und beschädigt wurden.
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Februar 2014
Februar 2014
Friedrich tritt zurück
Die Opposition fordert den Rücktritt von Agrarminister Friedrich - wegen Starfvereitelung im Amt als Innenminister. Die Staatsanwaltschaften erwägen Ermittlungen. Friedrich tritt zurück. Jörg Fröhlich von der Staatsanwaltschaft Hannover äußert sich "fassungslos" über die Weitergabe der Informationen und über die Informationspolitik der Regierung.
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Februar 2014
SPD-Chef Simar Gabriel
Februar 2014
SPD in Bedrängnis
SPD-Chef Gabriel sieht kein Fehlverhalten seiner Partei - und dennoch geraten die Sozialdemokraten in die Kritik. Vor allem die CSU attackiert. Sie ist sauer, dass "ihr" Minister Friedrich das einzige politische "Opfer" der Affäre ist. Hinzu kommt: SPD-Fraktionschef Oppermann rudert zurück. Er sagt nun, dass BKA-Chef Ziercke in dem Telefonat mit ihm die Informationen nicht kommentiert habe. Gabriel stellt sich dennoch hinter Oppermann.
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Februar 2014
Februar 2014
Koalition in der Krise
Die Koalition ist in der Krise - und CSU-Chef Seehofer versucht zu beruhigen: Er sieht keine Gefahr für Schwarz-Rot, spricht aber von einem "massiv gestörten Vertrauensverhältnis". Die Merkwürdigkeiten reissen derweil nicht ab: laut dem niedersächsichen Innenminister Heiner Bartling, ebenfalls SPD, wurde auch Edathy selbst über die Verdächtigungen der Staatsanwaltschaft informiert. Edathy bestreitet das.
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Februar 2014
Februar 2014
Wo ist der Laptop?
Edathys Laptop ist weg. Nach Angaben des SPD-Politikers kam er während einer Bahnfahrt von Hannover nach Amsterdam abhanden. Seltsam: Edathy meldete dem Bundestag den Diebstahl erst zwei Wochen später. Und die Staatsanwaltschaft Hannover wurde gar nicht darüber informiert. Die Bundespolizei lässt nach dem Laptop suchen - ohne Erfolg bisher.
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Februar 2014
BKA-Gebäude in Wiesbaden
Februar 2014
Ermittler in der Kritik
Nicht nur die SPD ist in der Kritik - auch das Verhalten der Staatsanwaltschaft wirft Fragen auf. So soll sie vor der Razzia im Haus Edathys Verdachtshinweise nicht ausreichend geprüft haben. Und auch das Bundeskriminalamt muss sich rechtfertigen: Politiker bezweifeln, dass das BKA bei der Auswertung von Daten eines Kinderpornohändlers nicht über Edathys Name gestoßen sei. BKA-Chef Ziercke spricht von absurden Unterstellungen und verweist auf die Masse der zu analysierenden Daten.
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Februar 2014
Sebastian Edathy
Februar 2014
Morddrohungen gegen Edathy
Die SPD lässt den einstigen Hoffnungsträger Edathy fallen und leitet ein Parteiordnungsverfahren gegen ihn ein. Edathy selbst meldet sich aus dem Ausland, vermutlich aus Dänemark. Er habe zahlreiche Morddrohungen erhalten und könne deshalb zunächst nicht nach Deutschland zurück.
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März 2014
März 2014
Ziercke in Erklärungsnot
Bundeskriminalamt-Chef Ziercke hat ein neues Problem. Zwar sind sich alle weitestgehend einig, dass er im Telefonat mit SPD-Mann Oppermann keine Informationen zum Fall Edathy herausgab. Doch nun wird bekannt, dass auf der Liste des Kinderporno-Anbieters aus Kanada nicht nur Edathys Name stand, sondern auch der eines BKA-Spitzenbeamten. Und dass letzterer viel früher vom BKA entdeckt wurde...
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Juli 2014
SPD-Politikerin Eva Högl
Juli 2014
Aufarbeitung beginnt
Ein Bundestagsuntersuchungs-Ausschuss soll Licht ins Dunkel bringen, den Vorsitz übernimmt die SPD-Frau Eva Högl. Später im Juli erhebt die Staatsnanwaltschaft Hannover Anklage gegen Edathy wegen Besitz von Kinderpornographie; das Landgericht Verden lässt die Anklage zu. Gegen den früheren Agrarminister Friedrich (CSU) hatte bereits zuvor die Berliner Staatsanwaltschaft Ermittlungen begonnen.
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Dezember 2014
SPD-Politiker Michael Hartmann
Dezember 2014
War er der Informant?
Monatelang war es ruhig um Edathy - jetzt meldet er sich zu Wort. Er erklärt, dass ihn Parteifreund Michael Hartmann über die BKA-Ermittlungen informiert habe. BKA und Hartmann dementieren. Kurios: Vier Tage später wird bekannt, dass im März Hartmanns abhörsicheres Krypto-Diensthandy gestohlen worden sein soll.
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Dezember 2014
Dezember 2014
Edathy ist zurück
Edathy geht erstmals wieder an die Öffentlichkeit: Er muss sich im U-Ausschuss äußern, und erklärt sich davor in der Bundespressekonferenz. Dabei belastet er erneut Parteifreund Hartmann und Ziercke, nicht aber die SPD-Spitze. Hartmann widerspricht tags darauf, gibt aber bei seiner Befragung im Untersuchungsausschuss kein gutes Bild ab.
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Januar 2015
Januar 2015
Die SPD mauert
Die SPD-Spitze um Fraktionschef Oppermann bleibt in der Schusslinie: Die Grünen fordern, dass die Spitze der Sozialdemokraten ihren SMS- und Mail-Verkehr mit Edathy offenlegen solle. Das geschieht nicht. Auch ein Befragungsmarathon im Untersuchungsausschuss bringt keine Klarheit. Doch Edathy zufolge sollen viel mehr SPD-Mitglieder als gedacht von den Ermittlungen gewusst haben. Im U-Ausschuss sollen nun neue Zeugen befragt werden, darunter viele Sozialdemokraten.
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Februar 2015
Februar 2015
Das große Schweigen
Der unter Druck geratene SPD-Abgeordnete Michael Hartmann sorgt im Ausschuss für einen Eklat. Überraschend verweigert er die Aussage auf die Frage, ob er im Dezember gelogen hatte. Würde er sich sonst selbst belasten? Edathy hatte Hartmann als Tippgeber genannt, zahlreiche Zeugen hatten diese Version bestätigt.
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Februar 2015
Protest vor Landgericht Verden
Februar 2015
Der Prozess beginnt
Großer Medienrummel im niedersächsischen Verden: Dort beginnt der Prozess gegen Edathy - und damit die juristische Aufarbeitung der Edathy-Affäre. Einige Demonstranten fordern vor dem Gericht, den Skandal endlich lückenlos aufzuarbeiten.
Kommentieren
Francesco, Sonntag, 08.Februar 2015, 09:32 Uhr
1. Warum wird vertuscht....?
Ich bin mal gespannt, wann man endlich mal an den "lieben Herrn Oppermann" ran geht. Natürlich weiß ich auch, dass dies "politisch nicht gewollt ist". Aber, liebe Politiker, wann kapiert ihr endlich, dass ein großer Teil von PAGIDA und Nichtwählern Menschen sind, die diese Art von Politik unendlich ankotzt. Da nützt auch alles Schönreden nichts. Ihr tragt die Verantwortung dafür, dass die Protest-Schar immer größer wird !!!