Antisemitismus in Deutschland Der Hass kommt von allen Seiten
Judenfeindlichkeit in Deutschland bleibt auch 2017 aktuell. Die Polizeistatistik sieht vor allem Rechtsradikale als Täter, manche Juden klagen aber auch über Judenhass bei Muslimen.
Im Durchschnitt gibt es in Deutschland jeden Tag vier antisemitische Straftaten. 1453 waren es letztes Jahr – etwa so viel wie 2016. Aber deutlich mehr als 2015. Und: Es könnten noch mehr Straftaten dazukommen, weil manche Bundesländer ihre Statistik noch nicht fertig ausgewertet haben. Hinter diesen vorläufigen Zahlen könnte zusätzlich eine große Dunkelziffer stecken – weil manche Juden einige Übergriffe auf sie einfach nicht gemeldet haben und auch nichtjüdische Zeugen nicht zur Polizei gegangen sind.
Neonazis oder Muslime: Streit um Täter-Statistik
Auch über die Täter wird gerade debattiert. 90 Prozent dieser Straftaten kämen aus der rechten Ecke, sagt die Statistik. 25 Straftaten gehen auf das Konto von "religiös motivierten" Antisemiten, also Muslimen ausländischer und deutscher Herkunft. Viele Juden in Deutschland haben an dieser Zahl ihre Zweifel, wie der Israli Yonatan Shay, der seit sechs Monaten in München lebt. Er erlebte Antisemitismus vor allem bei Muslimen. Yonatan trägt eine Kippa, bezeichnet sich als orthodoxen Juden und ist damit als Jude erkennbar. Der 30-Jährige arbeitet als Abgesandter der Jewish Agency bei der European Janusz Korczak Academy in München an Projekten mit, um den Dialog zwischen den Religionen zu pushen. Bevor er nach München gezogen ist, wo er bislang noch nichts Negatives erlebte, wohnte Yonatan in Berlin. In den stark muslimisch geprägten Vierteln Kreuzberg, Neukölln und Wedding machte er schlechte Erfahrungen. Einmal sogar wurde Yonathan in der Berliner U-Bahn attackiert.
"Vier arabische Flüchtlinge haben auf mich eingeschlagen. Von hinten muss ich sagen. Es war für mich wie eine riesige Überraschung. Ich war paralysiert, ich war schockiert. Ich konnte mir irgendwie meinen Weg raus durchkämpfen, ich konnte aussteigen. Ich musste auch Schläge abfangen, zwei sind mir nachgejagt. Und ich bin weggelaufen, Gott sei Dank."
Yonatan Shay, orthodoxer Jude (30)
Nach seiner Anzeige hörte Yonathan nichts mehr von der Polizei
Weil seine Angreifer weder Deutsch noch Englisch konnten und große Rucksäcke trugen, ist Yonatan überzeugt: Es müssen arabische Geflüchtete gewesen sein. Er erstattete Anzeige bei der Polizei. Danach hörte er nichts mehr. Weitere Vorfälle meldete er dann gar nicht mehr bei der Polizei, weil er sich dachte: Es bringt eh nichts. Er zweifelt an der Täterstatistik und ist überzeugt: Mehr antisemitische Straftaten gehen auf das Konto von Muslimen. Der Bericht unabhängiger Wissenschaftler zu Antisemitismus für die Bundesregierung stützt diesen Zweifel. Die haben rausgefunden, dass die Polizei grundsätzlich alle antisemitischen Straftaten als rechts einstuft, wenn sie nicht näher einer Gruppe zugeordnet werden können.
Demnach könnte unter die Kategorie "rechte Straftat" theoretisch auch fallen, wenn beispielsweise ein Muslim "Juden raus" an die Wand schmiert. Was die Sache nicht besser macht – aber politisch eben umstritten. Denn unter "rechtsextremistisch" sehen viele eben den klassischen Neonazi mit deutschem Pass.
In allen Schichten gibt es antisemitische Meinungen
Anders geht man mit dem Phänomen scheinbar in Bayern um. Das Innenministerium schreibt auf Anfrage: Man würdige jeden Einzelfall und ordne diesen dann "nach sorgfältiger Bewertung und Abwägung und unter Berücksichtigung der Besonderheiten einer jeden Tat" den entsprechenden Kategorien zu. Aber auch bayerische Polizisten arbeiten nach dem umstrittenen Raster, mit dem theoretisch auch antisemitische Muslime als Rechtsextreme eingestuft werden können.
Doch ganz egal, wie anfällig Muslime für Antisemitismus sind – auch in der deutschen Gesamtgesellschaft halten sich weiterhin antijüdische Ressentiments. So hat 2016 eine Studie der Uni Leipzig rausgefunden, dass zehn Prozent der Deutschen sagen: "Juden passen nicht zu dieser Gesellschaft." Bedeutet im Klartext: Antisemitismus steht in Deutschland auch 2017 noch auf der Tagesordung.
Sendung: Filter, 12.02.2018 - ab 15.00 Uhr