Ein Fall für die Traumdeutung Das neue Album von Alt-J ist ein ziemlich irrer Trip
Ein tasmanischer Teufel auf Brautschau, Horror-Gute-Nacht-Geschichten in Binär-Codes und ein mysteriöses japanisches Computerspiel: Die neue Platte "Relaxer" der britischen Band Alt-J klingt wie das Traumtagebuch eines Rastlosen.
"00110011 01110111 01110111" - damit hatte es vor Wochen begonnen: Nachdem sich Alt-J mit "An Awesome Wave" 2012 ein eigenes Genre codiert und auf dem Nachfolger "This Is All Yours" 2014 charmant gerelaunchend hatten, kündigte die britische Band mit jener rätselhaften Botschaft ihr drittes Studioalbum an. "Relaxer" erscheint nun am Freitag: Es ist voll von experimenteller Metaebenen-Merkwürdigkeit - und wird zum Wendepunkt für eine der wichtigsten Indie-Bands der 10er-Jahre.
Archaische Acid-Träume
Der Opener der Platte, "3WW", ist ein ungewohnt minimalistischer, aber dennoch klassischer Alt-J-Track in Super-Zeitlupe: Akustikgitarren in Watte, Joe Newmans Kopfstimmen-Melancholie und ein knarzender Synth-Bass. Selbstverständlich ist ein 90 Sekunden-Intro zu Beginn einer Comeback-Single mutig, spannend an "3WW" ist aber vor allem das bizarre Artwork und das noch bizarrere Musikvideo, das aussieht wie ein verpixelter, surrealistischer Computerspiel-Horrortrip hinter bonbonbunten Snapchat-Filtern.
Auch die Cover-Artworks der zweiten Single "In Cold Blood" und jetzt des Albums "Relaxer" spielen mit dieser verstörenden Ästhetik. Und als ob das nicht schon genug Hint und Nerdtum gewesen wäre, veröffentlichten die Boys vorab noch ein eigenes Browser-Game, das den User in Ego-Perspektive durch einen ganz ähnlichen neonfarbenen Acid-Traum wandeln lässt. Wohin soll uns nun die Referenz-Schnitzeljagd stoßen? Die Fährte führt nach Japan!
Die Traumtagebücher des Herrn Nishikawa
Am 22. Oktober 1998 veröffentlichte Sony das PlayStation-Game "LSD - Dream Emulator". Es basiert auf einem Traumtagebuch, das der Entwickler Hiroko Nishikawa zehn Jahre lang führte. Ebenfalls in Ego-Perspektive erkundet der Spieler die Untiefen des Unterbewusstseins des jungen Mannes und tastet sich durch seine Fantasien, Begierden, Ängste, Wünsche und Visionen. Es ist, wie die Band in Interviews streute, die große visuelle und kompositorische Inspiration für "Relaxer".
Ein tasmanischer Teufel auf Brautschau
"Relaxer" ist nun mit acht Songs und 39 Minuten das kürzeste Alt-J-Werk und funktioniert wie Nishikawas Traumtagebuch: eine oft irritierende, bruchlose Aufhäufung von Ideen, Geistesblitzen und Gedankenströmen. Songs wie "Hit Me Like That Snare" oder "In Cold Blood" erzählen surreale Geschichten von einem tasmanischen Teufel, der sich in ein junges Mädchen verliebt oder von einer Pool-Party, die plötzlich in einem blutigen Massaker endet. Harfen-Chöre, Fagott-Soli und kreischende japanische Frauenstimmen tauchen dann wie gesichtslose Fremde in Alpträumen im Sound-Bild auf und zerstören die Ordnung der Songs. Wie in einem nervösen Traum vermischen sich auf "Relaxer" reale Ereignisse, Wahnvorstellungen und Phantasmen.
Träume deuten lernen!
Der Gipfel aller Merkwürdigkeiten eines kompromisslosen und anstrengenden Albums ist schließlich ihr Cover des Animals-Klassikers "House Of The Rising Sun". Der Song gerät zum esoterischen Meditations-Gesang, dem für den Einsatz im Stressmanagement-Kurs der Volkshochschule nur noch die Walgesänge fehlen. Wo das herkommt und was das soll, bleibt ein Rätsel. Oder eben ein Fall für die Traumdeutung:
"Die aufgehende Sonne symbolisiert das bewußte Leben, das man mit Energie und Tatkraft gestalten soll,- gleichzeitig verspricht sie Erfolg, Lebensfreude und Gesundheit. Steht man im Sonnenschein, deutet das auf mehr Ansehen hin. Geht die Sonne unter, verspricht das den erfolgreichen Abschluß einer Angelegenheit. Die blutrote Sonne dagegen kündigt schwerwiegende Probleme an."
Symbol Sonne, Lexikon der Traumdeutung
Sendung: Filter, 02.06.2017 - ab 15 Uhr