Das Pop-Phänomen Skrillex Halbfett-Rave
Kaum ein Künstler polarisiert derzeit so erfolgreich wie der amerikanische Haudrauf-Dubstepper Skrillex. Und zwar nicht nur musikalisch: on3 durchleuchtet das Phänomen Skrillex und zeigt, dass der Wahnsinn Methode hat.
Der amerikanische Mainstream liebt die Extreme: Fröhliche Musik ist immer unfassbar happy, traurige unglaublich depressiv und aggressive dermaßen brutal, dass es einem fast den Schädel sprengt. Der Sound von Skrillex vereint all das. Eine süßliche Fläche. Der berühmt berüchtigte "Drop". Und dann geht's gefälligst ab!
Mit Anlauf in die Fresse
Subtil geht anders. Skrillex ist auf die Fresse, immer und ständig, 100 Prozent und überpräsent. Wie aus dem Nichts erscheint Sonny Moore alias Skrillex plötzlich auf der Bildfläche. Ende 2010 veröffentlicht er seine erste Single. Im Sommer darauf tourt er bereits als Headliner mit dem Electric Daisy Carnival durch die USA – und zwar neben DJ-Superstars wie David Guetta, Tiesto oder Steve Aoki und vor durchschnittlich 230.000 Zuschauern. Dabei ist sein Sound alles andere als innovativ. Im Gegenteil: Genauso klang Dubstep schon vor gut fünf Jahren. Breitwand-Gewobble und ein brachiales Bass-Gewitter, das einem genau vorschreibt, wann man was wie fühlen soll und wo man gefälligst die Faust ballt um damit im Feierwahn in den Nachthimmel zu boxen. Der amerikanische Journalist Philip Sherburne schreibt für die Magazine Pitchfork, Wired und Spin und erklärt den Sound von Skrillex so:
"Skrillex' DJ-Sets sind voller Schnipsel von bekannten Popsongs. Da gibt es ein bisschen Michael Jackson, ein wenig Reggae. Das sind alles Versatzstücke von Popkultur, die jeder kennt und mitgrölen kann. Das alles bekommt dann dieses gewisse Etwas, indem Skrillex es absichtlich kaputt macht und ihm eine Dubstep-/Heavy Metal-Ästhetik gibt."
- Philip Sherburne im Interview mit on3
Der Emo-Gaga-Posterboy
Es geht also weniger um die Musik, sondern vor allem um die Figur. Dieses schmächtige Energiebündel mit kahlrasierten Schläfen, Metal-Matte und übergroßer Nerdbrille. Skrillex ist der Posterboy, der den neongrellen Techno-Exzess für das feierwütige Mainstream-Volk zugänglich macht.
"Der Mainstream braucht eben dringend Stars und bekannte Gesichter. Skrillex ist beides. Vielleicht hat das dem Mainstream in letzter Zeit gefehlt. Ich denke, da gab es ein Vakuum, das Skrillex jetzt füllt."
- Philip Sherburne im Interview mit on3
Skrillex ist quasi die männliche Lady Gaga – beides sind exzentrische Antihelden, die plötzlich im Mittelpunkt stehen. Solche, die scheinbar alles anders machen und trotzdem bei jedem ankommen. Lady Gaga spielt sowieso eine große Rolle für Skrillex' Karriere. Ihren Song "Bad Romance" remixte er noch bevor er überhaupt eine einzige eigene Platte am Start hat.
"Er hatte definitiv Hilfe von den richtigen Leuten in der Musikindustrie. Man darf ja nicht einfach mal so Lady Gaga remixen, wenn man nicht von irgendeinem Vize-Präsident oder Manager unterstützt wird."
- Philip Sherburne im Interview mit on3
Handpuppe der Industrie
Die richtigen Freunde in der richtigen Firma zur richtigen Zeit können eben einen richtigen Hype ausmachen. Ein Typ wie Skrillex, der die ganze Nacht das Publikum bespaßt, bringt der Musikindustrie, den Konzertveranstaltern und den Clubs deutlich mehr Geld in die Kassen als eine sechsköpfige Indie-Band, die einstündige Konzerte spielt. Und im Moment geht das Konzept voll auf: Vom Emo- bis zum College-Kid feiern alle zum Sound von Skrillex und kaufen sich damit ein Stück Lifestyle und - viel wichtiger - ein überteuertes Kaltgetränk nach dem anderen. Wahrscheinlich ist es mit Skrillex' Karriere am Ende wie mit seiner Musik: Im einen Moment grelles Blitzlichtgewitter und brachiales Gebolze, im nächsten Moment: Stille.