Interview mit Felix Kummer "Es ist fast eine Frechheit, wie beschränkt früher der Zugang zu Musik war"
Kraftklub-Frontmann Felix Kummer macht jetzt auch solo Musik. Seine Songs waren schon immer politisch, jetzt werden sie auch persönlich. Wir haben mit ihm über den Wert von Musik, seine Kindheit im Plattenladen und Babysitten mit Trettmann gesprochen.
PULS: Wir kennen dich alle seit Jahren von deiner Band Kraftklub, jetzt hast du vor kurzem unter deinem Nachnamen KUMMER deine erste Solosingle veröffentlicht: "9010". Natürlich haben sich alle gefragt: Kommt da noch mehr? Vielleicht sogar ein ganzes Album? Und seit ein paar Tagen wissen wir’s: Es kommt tatsächlich ein Album namens "KIOX" im Oktober. Warum ein Soloalbum?
Felix Kummer: Bei Kraftklub hat es sich so entwickelt, dass sehr viele Sachen, die ich schreibe, so Rollen-Prosa sind – jeder Song aus der Sicht einer Figur. Und dann hab‘ ich gemerkt, dass ich ein paar Sachen geschrieben habe, die dann eben doch sehr persönlich waren - und ein bisschen tiefschürfender. Ich war mir nicht sicher, ob ich das wirklich als Kraftklub-Song rausbringen will. Diese Vorstellung, das dann gleich vor 10.000 Leuten rauszubolzen, hat mich ein bisschen erschreckt. Deswegen hab‘ ich lieber ein bisschen vor mich hin gewerkelt und dann irgendwann gemerkt: Oh okay, das werden jetzt immer mehr Songs und irgendwie ergeben die alle ein Bild. Das heißt: Ich mach‘ hier gerade ein Album, glaube ich.
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KUMMER - 9010 (official video)
War das eine erschreckende Vorstellung oder hast du dich sofort drauf gefreut?
Nö, schon auch ein bisschen erschreckend. Mit einer Band hat man den Vorteil, dass man eine Gang hat, wo man das alles nicht alleine "ertragen" muss – den Druck und eben die negativen Sachen, die es manchmal gibt. Deswegen hatte ich da schon ein bisschen Schiss vor, das jetzt solo zu machen - und auch vor dem Moment, wo ich das den anderen sage: "Hey Leute, ich hab‘ jetzt hier ein Soloalbum gemacht!".
Und, wie haben sie‘s aufgenommen?
Das war auf dem Weg zu einem Festival. Da hab‘ ich gesagt: Hey Leute, wir müssen mal kurz quatschen. Ich glaub‘, die dachten alle, dass irgendjemand gestorben ist oder vielleicht, dass ich Vater werde. Dann waren die glaub‘ ich beruhigt, dass ich nur ein Soloalbum gemacht habe und haben sich auch sehr gefreut für mich. Das war sehr schön!
Das Album heißt "KIOX" – benannt nach dem Plattenladen deines Vaters in Chemnitz. War das für dich sofort klar, dass das Album so heißen muss?
Ne. Das war jetzt nicht von Anfang an ein Konzeptalbum zum Thema Plattenladen. Aber tatsächlich ist es eben in Teilen autobiographisch geworden und behandelt ein bisschen mein Aufwachsen in der Stadt. Da ist eben ein großer Teil davon, dass ich als kleiner Rotzer mit meinem Bruder Till sehr viel Zeit in diesem Plattenladen von meinem Vater verbracht habe. Es war auch der Ort, an dem wir zum ersten Mal bewusst mit Musik in Berührung gekommen sind.
Beschreib mal ein bisschen diesen Plattenladen. Von welcher Zeit reden wir da überhaupt?
Anfang bis Ende der 90er Jahre. Nach der Wende war dann irgendwie plötzlich so ein bisschen der Kapitalismus da und da haben viele nicht so richtig gewusst, was sie mit sich anfangen sollen. Mein Vater hat halt gesagt: Gut, dann werd‘ ich jetzt Einzelhandelskaufmann für Schallplatten. Dann hat er sich mit einem Kumpel zusammengetan, der wiederum für Second-Hand-Klamotten zuständig war, und haben eine Art Independent-Kaufhaus in einer alten, unrenovierten Fabrik auf dem Sonnenberg in Chemnitz aufgemacht. In einer Etage gab's Klamotten und auf der anderen die Schallplatten. Da war immer was los: viele Kumpels von meinem Vater und Leute aus der Szene waren da, allerdings konnte ich damit damals noch nichts anfangen. Aber unter anderem war auch Trettmann da! Trettmann war damals der Mitarbeiter von meinem Vater und hat meinen Bruder und mich gebabysittet, als wir klein waren. Hier werden jetzt ein paar Chemnitz-Facts gedropped! Wir waren da aber wirklich noch sehr jung.
Du hast ja dann voll den Vorteil, dass du bestimmt keine Berührungsängste mit Plattenläden hast. Ich hab‘ ne risen Ehrfurcht vor Plattenläden, weil ich denke, ich bin zu uncool, um hier reinzugehen – obwohl ich Musikjournalistin bin.
Ich hab‘ das als Kind wirklich gar nicht als elitär wahrgenommen. Mein Vater war aber auch nicht so ein Plattenladenbesitzer, der einen jetzt verurteilt hat, wenn man seiner Meinung nach einen schlechten Musikgeschmack hatte. Ich glaube, da hättest du dich auch wohlgefühlt.
Du hast ja jetzt tatsächlich die letzte Zeit einen Plattenladen in Chemnitz renoviert, der am 11. Oktober für ein Wochenende eröffnen soll. Zeitgleich soll dein Album rauskommen, das es nur da physisch auf Platte zu kaufen geben soll. Was steckt denn da für eine Idee dahinter?
Als ich das Album gemacht habe, hab‘ ich drüber nachgedacht, wie ich das eigentlich vertreiben möchte. Irgendwie hab‘ ich die Lust daran verloren, das einfach so auf Verdacht in einen Elektronikfachmarkt zu stellen - wie mit den Kraftklub-Platten. Da hofft man halt, dass jemand, der sich eine Waschmaschine kauft, auch gleich noch die Platte mitnimmt. Ich kenne kaum Leute, die noch CDs besitzen. Da seh ich physische Musik eher als eine Art Sammlerstück. Alle anderen streamen halt. Da hab‘ ich dann gedacht, dass es einfach cooler ist, das selber zu machen und da selber die Kontrolle drüber zu haben. Den Moment von der Entstehungssekunde bis zum allerletzten Abgeben. Das fand ich reizvoll.
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KUMMER - KIOX Tonträger - Der Laden ist fertig! (official video)
Das heißt: Du stehst dann auch an dem Wochenende in dem Laden?
Ja, klar! Ich werde dann eher unterschreiben und Fotos machen als kassieren. Aber ich werde auf jeden Fall da sein. Jeder, der möchte, kann Foto und/oder Autogramm haben.
Du willst Menschen damit natürlich auch nach Chemnitz holen, oder? Du sagst ja: Das gibt's nur hier.
Naja. Ich sag jetzt nicht: Leute, guckt euch mal die coole Stadt an, sondern ich hab‘ mir halt die Frage gestellt: Wo soll ich das denn sonst machen? Das wäre albern gewesen, wenn ich den Laden jetzt in Dresden aufgemacht hätte. Das ist halt einer der wenigen Vorteile, den diese Stadt hat: Da ist halt viel Platz für solche Ideen und es ist ziemlich unkompliziert. Der Laden hat nicht mal einen Wasseranschluss und trotzdem konnte ich da einfach rein. Solche Sachen kann man in Chemnitz halt noch machen, das ist alles spottbillig und es gibt Platz.
Die Verkaufsidee für dein Album ist ja schon sehr exklusiv und du hast ja schon den Wert von Musik angesprochen. Der ist ja für viele ein bisschen verloren gegangen. Wie siehst du das denn?
Das sehe ich nicht so. Ich bin da unsentimental. Die Musik wird nicht weniger wert durch Streaming-Abos. Ich hab‘ selber ein Streaming-Abo und ich freu mich jeden Freitag über neue Musik. Das sind zehn Euro im Monat, die ich liebend gerne ausgebe, weil ich einen riesigen Zugang zu Musik habe. Ich glaube, dass es eher andersrum ist. Es gab halt früher Zeiten, da war es eigentlich schon fast eine Frechheit, wie beschränkt der Zugang zu Musik war - und wie abhängig man von Plattenfirmen-Bossen war, die einem da die Meinung und die Wahl vorgeschrieben haben.
Jetzt hat jeder theoretisch die Möglichkeit, Sachen rauszubringen und jeder hat die Möglichkeit, die Sachen anzuhören. Das find ich eigentlich sehr schön. Der Wert von Musik erklärt sich für mich nicht dadurch, wie viel man für einen Song bezahlt. Schon damals bei Kraftklub haben wir uns sehr als Live-Band verstanden und das find ich einen viel interessanteren Punkt: wie viele Leute haben Bock, für Konzerttickets Geld zu bezahlen. Diese Plattenladensache ist für mich eher eine Art Abschließen mit der physischen Tonträgerwelt... sozusagen.
Du hast es grade angesprochen: Die Beschränktheit der Musikauswahl war eine Frechheit. Du bist ja bestimmt auch durch deinen Vater in deiner musikalischen Sozialisation beeinflusst, der zu DDR-Zeiten aufgewachsen ist, wo man nicht an Musik rangekommen ist. Hat das dein Verständnis von Musik geprägt?
Ne. Ich kann das verstehen, dass da für viele Leute eine Art Romantik drin liegt. Dass man sagt: Da gab's viel weniger, man musste sich da viel mehr drum kümmern - aber dann war sie einem auch mehr wert. Aber ich musste mich nicht DDR-mäßig einschränken, sondern ich hatte immer schon einen guten Zugang zu Musik. Und trotzdem war mir Musik extrem viel wert.
Sendung: Plattenbau am 24.07.2019 - ab 19.00 Uhr