Interview mit Fotos "Lass uns mal einen Haufen Sambatrommeln leihen!"
Sie haben den vielleicht schlechtest suchmaschinenoptimierten Namen der Popwelt: Fotos. Die Indie-Band aus Hamburg ist nach langer Funkstille zurück und hat mit "Kids" ein neues Album aufgenommen.
Es ist wahrscheinlich eine der schönsten und gleichzeitig traurigsten Textzeilen der deutschen Popmusik im letzten Jahrzehnt: "Mit dem Wissen, dass ich nichts weiß, dem Wissen, dass ich nichts kann - ich bin ein Thomas und kein Thomas Mann". Die Singles "Komm zurück", "Giganten" oder "Nach dem Goldrausch" machten Fotos 2010 und 2011 bekannt. Jetzt ist die Hamburger Band um Sänger Tom Hessler nach sechs Jahren Sinnsuche und einigen Nebenprojekten wieder da. Mit dabei ihr neues Album "Kids".
PULS: Man hat lange nichts von den Fotos gehört - ganze sechs Jahre wart ihr von der Bildfläche verschwunden. In der heutigen Zeit, wo man es gewohnt ist, dass Bands täglich vier verschiedene Social-Media-Kanäle mit Content bespielen, ist das eine verdammt lange Zeit...
Tom Hessler: Ja, aber ich bin ja Bayer und in bayerischer Geschwindigkeit ist das eigentlich ein ganz normaler Zyklus.
Also du würdest jetzt nicht sagen, dass euer neues Album "Kids" so eine Art Comeback ist, sondern dass dieses Mal einfach alles ein bisschen länger gedauert hat?
Ja. Wir haben drei Alben in mehr oder weniger vier Jahren veröffentlicht. Der Zyklus war quasi drei Alben – vier Jahre. Und dann warn wir echt durch. Das war alles einfach wahnsinnig anstrengend. Vor allem wir sind ja immer noch so eine kleine Indieband, die sehr viel selber macht. Da steckt dann einfach doppelt so viel Arbeit drin. Ganz am Anfang waren wir kurz bei einem großen Label, aber dann haben wir das schnell sein lassen.
Dementsprechend muss man irgendwann auch zusehen, dass man was anderes macht, weil sonst macht man ja immer dasselbe: Ich habe ein neues Projekt gegründet, "Conga Fever", das ist elektronische Musik, House Musik und Instrumental. Dennis und Beppo waren sehr aktiv mit der Band "Boy", die ja auch so in unserem Umfeld stattfindet. So sind 6 Jahre ja irgendwie auch nichts, wenn man mal die Mitte 20 passiert hat - das geht dann schnell vorbei.
"Kids" ist musikalisch wahnsinnig divers. Es gibt Synthiepop-Nummern wie "Wie alles offen ist" und so dronig, krautig, dahinlaufende Nummern wie "Niemand". Dann gibt’s auch ganz ätherische Tracks, fast ohne Beat. Klassisches Popsongwriting findet sich auf der Platte dann auch noch. Ist das eine Folge des langen Produktionsprozesses, dass da so viel Verschiedenes zusammengekommen ist?
Letzten Endes muss ich ganz ehrlich sagen: Ja. Wir haben manche Stücke wirklich so wie wir sie im Entstehungszeitraum aufgenommen haben auf das Album genommen. Für mich ist es ein Traum gewesen, so ein eklektisches Album zu machen wie früher die von Beck. Man weiß am Ende eines Liedes oder am Anfang eines Liedes nicht, was kommt als nächstes. Gerade für mich als Musikfreak, der nicht genug kriegen kann von den unterschiedlichsten Arten von Musik. Ich höre mittlerweile so viel Work-Musik oder instrumentale Drone-Musik – keine Ahnung, alles Mögliche. Mir wurden Welten eröffnet in den letzten Jahren. Das wollte ich alles einfließen lassen auf dem Album.
Kann man sagen, dass das Album textlich gesehen – mal so ganz locker aus der Hüfte geschossen – das philosophischste Album ist? Da tauchen so Signalvokabeln auf wie "die Wahrheit", "der Ozean", "Melodie des Todes" oder "Sterne zu Staub". Klingt nach den ganz großen Fragen – liegt das am Alter?
Definitiv. Diese Schallmauer zwischen 20 und 30, die bedeutet ja auch, dass Verwandte anfangen zu sterben und das man auch so langsam merkt, dass die Eltern ins Rentenalter übergehen. Man ist selber nicht mehr der, der sagen kann: "Ach, wer weiß, in den nächsten fünf Jahren wird schon irgendwas gutes passieren" sondern man sagt vielleicht eher "wenn man sich nicht ranhält passiert garnichts Gutes mehr". Also ja, es ist schwierig. Und dementsprechend habe ich mich auch viel mit den Themen beschäftigt: Mit Astrophysik und mit verschiedenen Religionen - nicht als Gläubiger, sondern einfach nur weil man versucht hat so die neue Selbstfindung einzuleiten. Das hört man dem Album auf jeden Fall an.
Trotzdem heißt es "Kids" – warum?
Also das Album heißt „Kids“ und das finde ich tatsächlich sehr schlüssig. Weil wir genau so letzten Endes an die Produktion rangegangen sind. Wir haben eben keine Demos aufgenommen, sondern wir haben einfach gesagt "Lass mal von unserem Proberaumvermieter einen Haufen Sambatrommeln leihen" – weil der leitet eine Sambatrommelgruppe in Hamburg Altona und damit fangen wir jetzt einfach mal an. Daraus wurde "Ozean". Am Anfang war das sehr befremdlich für die anderen in der Band. Ich wollte aber einfach mal schauen was passiert, wenn man sich nicht hinsetzt mit einer Akkustikgitarre und erstmal ein paar Akkorde zusammensammelt, sondern letzten Endes arbeitet wie in einer Improvisationsgruppe. Und Indie oder Popmusik muss ja 2017 nicht zwangsläufig entstehen wie 1965.