Meinung // Guilty Pleasures Schämt euch nicht für euren Musikgeschmack!
Unsere Autorin sieht auf Spotify und Co. immer wieder Playlists mit Namen wie “Guilty Pleasures” und wundert sich jedes Mal, warum wir uns dafür schämen, bestimmte Musik zu hören. Ihr Plädoyer: Hört doch einfach, was ihr wollt!
Es ist 2 Uhr nachts und im Club läuft "Wannabe" von den Spice Girls. Auf der Tanzfläche rasten so gut wie alle Menschen aus. Auch die Leute, die zu Hause ihren Plattenspieler haben (weil das klingt einfach alles besser auf Platte) und King Krule vergöttern. Eigentlich ein sehr schöner Anblick, wäre da nicht die Tatsache, dass sich genau diese Menschen in ihrem Alltag dafür schämen, dass sie "Wannabe" doch ganz gut finden. Manche Personen hören gerne "ironisch" Musik, weil irgendwas an ihr offenbar so schlimm ist, dass man sich dafür schämen sollte. Und werfen dann die "Trash" Playlist an, weil sie sich so schon im Titel von der Musik künstlich distanzieren.
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Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich diesen Impuls nicht kenne. Gerne rutscht mir mal der Finger in der Streamingapp meines Vertrauens aus und ich schalte auf "Private Session" - sprich: Keiner kann sehen, was ich höre. Und das mache ich, weil ich mir eine Pop-Playlist anhören möchte und weiß, dass da auf jeden Fall "Yeah!" von Usher dabei sein wird. Der Songtext ist unangenehm, die Message dahinter fraglich - aber ich kann mich nicht dagegen wehren, dass ich den Beat einfach gut finde und jedes Mal einen Ohrwurm habe, wenn ich den Song gehört habe. Und genau beim "Ich mach mal die Private Session an"-Impuls liegt der Fehler. Was wir alle nämlich gerne mal vergessen ist, dass Musik eine Art von Kunst ist, die auf Gefühl und Geschmack basiert. Natürlich gibt es Dinge wie den Text, den Beat und Originalität, die man zur einigermaßen neutralen Beurteilung von Musik anschauen kann. Und dann kann man zu dem Schluss kommen: schlechter Text, schlecht komponierter Song, schlechte Idee. Aber man mag den Song.
Wir brauchen keine Musik-Polizei
Ja, "Boomerang" von Blümchen ist gesellschaftlich wahrscheinlich nicht so wertvoll, wie "216" von OG Keemo, in dem er von Polizeigewalt rappt. Aber man hört es aus Nostalgie-Gründen oder weil der Beat was mit einem macht. Was genau das ist, kann man ja oft nicht sagen. Aber was man sagen kann ist: Warum sollte man sich dafür schämen, Freude an etwas zu haben? Das Ding ist, dass vor allem selbsternannte Musikkenner*innen einen auf Musik-Polizei machen und damit anderen einreden wollen, sie wären ihnen überlegen. Spoiler: Sind sie nicht. Denn wenn man nur Musik hört - oder zugibt zu hören - die ins eigene Selbstbild passt, dann ist man am Ende auch gar nicht mal so selbstbewusst wie man gerne gesehen werden möchte.
Die Einteilung in "gute" und "schlechte" Musik ist ja nichts neues. Viele ältere Leute fanden zum Beispiel die Beatles anfangs richtig dumm - zu poppig, zu einfach. Für eine Generation, die gern Vivaldi hört, waren die Beatles eben neu und haben damit ihrem Verständnis von "guter" Musik nicht entsprochen. Heute dagegen werden die Beatles als geniale Künstler verehrt. Es ist das Narrativ der Menschheit, alte Menschen verurteilen aus verschiedenen Gründen das, was junge Menschen machen. Let’s call it Generationenkonflikt. Das Problem ist aber doch: Wir machen den selben Scheiß innerhalb unserer eigenen Generation - und das ist doch maximal beschränkt.
Für welche Musik man sich wirklich schämen könnte
Bei bestimmten Songs trifft mein Mantra "Schämt euch nicht für euren Musikgeschmack" aber nicht zu: bei Musik mit diskriminierenden Texten. Oder von Menschen gemacht, die offensichtlich eine beschissene Meinung zu diesen Themen haben. "Knöcheltief" von Trettmann ft. GZUZ höre ich sehr gerne. Aber spätestens wenn GZUZ anfängt zu rappen, frage ich mich, ob es eine gute Idee war, diesen Song anzumachen. Songs komplett aus Playlisten verbannen, ist schwierig - sich bewusst zu werden, was für Musik man hört hingegen ist sehr sinnvoll und nötig. Ehrlich gesagt, kenne ich dafür keine Lösung. Dass man bei solchen Songs auf private Session stellt, kann ich verstehen. Und dass man sich dafür schämt sie zu hören - auch.
Dieser Mechanismus ist bei "Wannabe" von den Spice Girls aber unnötig. Deshalb: Hört die Mucke, die ihr gerne mögt. Schämt euch nicht für euren Geschmack. Und hört auf, andere Leute für ihren Musikgeschmack zu verurteilen. Wenn ihr Spice Girls, Blümchen und Co. wirklich kacke findet - vollkommen okay. Aber wenn ihr das nächste Mal Sport macht, hört euch einfach mal - ohne Angst dabei ertappt zu werden - "Samba de Janeiro" von Bellini an und dankt mir später.
PULS Sendung am 22.07.2020 ab 16 Uhr