Neues Album von Milky Chance Frisur neu, Sound nicht
Milky Chance haben sich die Haare gemacht - aber keinen Kopf. Auf ihrem neuen Album "Blossom" halten die zwei Jungs aus Kassel streng an ihrem bewährten Soundentwurf fest. Gespannt darf man aber trotzdem bleiben - wenn auch auf was anderes.
Die Erfolgsgeschichte von Milky Chance sollte bekannt sein: Zwei Abiturienten aus Kassel veröffentlichen 2013 ein Album, das sie aus dem Stand in den elitären Pantheon der deutschen Global-Pop-Phänomene katapultiert, in dem ansonsten nur Rammstein, Nena, Scooter und die Scorpions rumhängen dürfen.
Was kommt nach "Stolen Dance"?
Jetzt – vier Jahre, ein paar Welttourneen und unzählige Rekordmeldungen später – liefern Clemens Rehbein und Philipp Dausch also Album Nummer Zwei. Das ist natürlich keine leichte Aufgabe: Die Fans weltweit hoffen und wünschen sich, dass sich das wieder so frisch und neu und aufregend anfühlt wie "Stolen Dance". Die Hater freuen sich schon, dass sie jetzt, nachdem die Euphorie der Anfangsjahre verflogen ist, endlich nach Herzenslust auf die Band einschlagen können. Während die Plattenfirma mit weiteren Rekordeinnahmen rechnet. Wer da als Künstler anfängt, sich einen Kopf zu machen, der hat eigentlich schon verloren. Ein Dilemma, so alt wie die Popmusik selbst - und in der Regel lösen die betroffenen Musiker das nach der Devise: Bloß keinen Kopf machen. Locker bleiben. Am Soundentwurf des Debüts nicht rütteln und den künstlerischen Ehrgeiz fürs dritte Album aufheben.
Wiederholung als Prinzip
Ganz offensichtlich haben auch Milky Chance diese Regel befolgt: "Blossom" klingt nämlich exakt so wie "Sadnecessary". Klar, zusammen mit Produzent Tobias Kuhn (u.a. Thees Uhlmann, Clueso, Die Toten Hosen) wurden das Instrumentarium etwas erweitert (Mundharmonika! analoge Trommeln!) und die Klänge etwas feiner herausziseliert – aber das sind Veränderungen von der kosmetischen Wirksamkeit einer Dr.-Hauschka-Tagescreme. Es gibt zwei Akustiknummern ("Stay" mit Gitarren und "Piano Song" mit – Überraschung – Piano), aber auch die machen das Kraut nicht fett oder "Blossom" abwechslungsreicher. Denn ansonsten liefern Milky Chance von Anfang bis Ende die gewohnt zurückgelehnt gespielten Gitarren zwischen Folk, Blues und Reggae. Ein geschmeidiger Housebeat sorgt für den nötigen Wumms und den Rest regeln ein paar nette Soundeffekte und Clemens Rehbeins markante Stimme. Das Ganze läuft stellenweise durch wie eine Sammlung minimal unterschiedlicher Stolen-Dance-Variationen. Die größte Innovation auf "Blossom" ist dann wohl doch die neue Frisur des Sängers.
Dass das auf Albumlänge leider wenig spannend ist, kann man nicht allein Milky Chance anlasten. Es ist eben so: Der Sound, den Clemens und Philipp 2013 so wunderbar unbeschwert zeitgeistig auf den Kopf getroffen haben, ist mittlerweile totkopiert. Nur wenige dürften sich am Rezept Folk-Reggae-Blues-Geklampfe auf Housebeat-Bett mittlerweile noch nicht überfressen haben, das einem tagtäglich aus den Formatradios und den Feel-Good-Playlisten der Streamingdienste entgegendudelt.
Fazit
Die, die sich an diesem Sound noch nicht sattgehört haben, werden an "Blossom" ihre Freude haben. Denn - das soll hier nicht unerwähnt bleiben - Milky Chance klingen immer noch frischer, aufrichtiger und anspruchsvoller als die vielen CopyCats da draußen. Es gibt hier sozusagen Langeweile auf gehobenem Niveau, wie an einem faulen Sommernachmittag, den man am See wegdöst – ein ausgezeichnetes Setting übrigens, um "Blossom" bei dezenter Lautstärke auf dem Bluetooth-Speaker durchlaufen zu lassen. Ab Herbst kann man dann aber eher aufs dritte Milky Chance Album gespannt sein.