Harry Styles, Saint JHN, AMI, Mise En Scene, Das Paradies Tracks der Woche #23/17
Festivalstimmung bei den Tracks der Woche: Mit dabei ist dieses Mal ein unerwartetes Woodstock-Revival, eine freshe Abkühlung für die Hip-Hop-Stage und ein entspannter Trommelkreis. Es geht wieder los!
Harry Styles – Carolina
Harry Styles, ist das nicht der Langhaarige von One Direction? Ja und nein. Nach dem kometenhaften Erfolg der Boygroup – ausgelöst 2010 durch die Castingshow The X-Factor – haben die Vier im März 2016 beschlossen eine Pause einzulegen. Harry Styles hat allerdings in der Zwischenzeit das Management gewechselt und Mitte Mai seine erste Solo-Platte veröffentlicht. Und die klingt gar nicht nach kreischenden Teenies und einstudierter Choreographie, sondern sehr erwachsen. Der Sound erinnert an die großen Rockstars der 70er-Jahre – als hätte der 23-Jährige in der Plattensammlung seiner Eltern gekramt. Bestes Beispiel dafür ist seine neue Single "Carolina": Shaker und Trommel erinnern an Reggae, die zurückhaltende E-Gitarre versprüht einen psychedelischen Vibe, in der Strophe erinnert der Gesang an Berufs-Weirdo Beck und der trällernde Refrain fusioniert alles zu einem Woodstock-Revival.
Saint JHN – 3 Below
Carlos Saint John trägt als Sohn eines guyanischen Predigers den Gospel nicht nur im Namen, sondern hat ihn auch im Blut. Geboren in Brooklyn konnte sich er sich als Teenager aber mehr für Jay Z als für den Kirchenchor begeistern. Von seinem großen Bruder hat er sich abgeschaut, wie das mit dem Rap-Selbermachen funktioniert und ihm anfangs sogar die ein oder andere Line geklaut. Mittlerweile hat er das nicht mehr nötig – im Gegenteil: Künstler wie Usher und Joey Bada$$ haben den fähigen Newcomer bereits als Co-Writer engagiert. Unter dem Pseudonym Saint JHN macht der Rapper jetzt sein ganz eigenes Ding. Das erste Album soll es im Laufe des Sommers geben, vorab hat Saint JHN die Single "3 Below" rausgehauen und macht darauf gleich mal eine Ansage: "I ain’t trying to be nobody’s hero. My heart is three below zero". Dazu gibt es einen langsamen, trap-angehauchten Beat und ein Musikvideo, in dem es nur so vor pinken Kreuzen und knallbunten Daunenjacken wimmelt.
AMI - Untertauchen
Auf ihren zwei bereits erschienenen Alben "Part Of Me" und "Seasons" hat die Sängerin Ami Warning bisher nur englische Texte mit ihrer herrlich dunklen, leicht heiseren Stimme interpretiert. Das hat ihr immer wieder den Vergleich mit Folk-Legende Tracy Chapman eingebracht. Aber jetzt traut sich die Münchnerin etwas, an dem schon so mancher gescheitert ist: Auf ihrer neuen Single "Untertauchen" singt sie auf Deutsch. Ein gewagtes Unterfangen, denn Amis Musik lebt vom soulig-entspannten Sound, der auch mal gerne in Reggae abdriftet. Und das beißt sich gefühlt mit der so hart wirkenden, deutschen Sprache. Aber die Anfang 20-Jährige schafft in "Untertauchen" den Spagat mühelos: Entstanden ist ein Liebes- bzw. Trennungslied, dass ohne Lieblingsmensch-Kitsch auskommt.
Mise En Scene – Closer
Ihren Namen hat die kanadische Band Mise En Scene aus der Filmanalyse: Da versteht man unter dem Begriff eine vom Regisseur genau durchdachte Szene, die fast wie ein Gemälde aussieht. Nur logisch, dass die neue Single "Closer" von Mise En Scene mit einem ästhetisch sehr ansprechenden, 6-minütigen Musikvideo daherkommt. Darin geht es um Amateur-Pornos und eine etwas holprige Liebesgeschichte. Passend zu diesem Setting schwankt die Stimme von Sängerin Stefanie Blondal Johnson zwischen Melancholie und Aggression. Dazu schreddern die Gitarren in bester Garage-Rock-Manier und den treibenden Drums hört man an, dass sie von einer gelernten Jazzschlagzeugerin gespielt werden. Nach dem Erfolg ihres Debütalbums "Desire’s Despair" 2012 war die Band weltweit auf Tour – danach war erstmal eine kreative Pause nötig. Dass Mise En Scene jetzt wieder richtig Bock haben, zeigen sie mit der bissigen Single "Closer" und der Ankündigung eines neuen Albums.
Das Paradies – Goldene Zukunft
Bei dem Schlagwort "Paradies" denken die Meisten wahrscheinlich an Bilder von Palmen, Sandstrand und türkisblauem Wasser. Den Wenigsten kommt dabei deutscher Indie-Pop in den Sinn. Dass diese Assoziation noch nicht vorhanden ist, hat zwei Gründe: Erstens, dass das Soloprojekt namens Das Paradies ziemlich wenig von auffälligem Marketing hält und sich online äußerst rarmacht. Zweitens, steht Das Paradies noch ganz am Anfang seiner Karriere. Die Debütsingle "Goldene Zukunft" klingt erstmal nach niedlich-bravem Pop-Song, nimmt dann aber Fahrt auf und entpuppt sich als nachdenklicher und vielschichtiger Track – man erkennt den Einfluss der Hamburger Schule. Mit diesem Ansatz ist Das Paradies beim Berliner Querdenker-Label Staatsakt sicherlich gut aufgehoben. Hinter Das Paradies steht übrigens ein alter Bekannter: Florian Sievers hat bisher englischsprachigen Folk mit seinem Duo Talking To Turtles gemacht. Und singt hier erstmals auf Deutsch.