Meinung zu Konzert-Livestreams Warum Konzerte streamen nicht reicht, um die Popwelt zu retten
Tourneen, Konzerte, Festivals – alles entfällt diesen Sommer. Um die Musikwelt zu retten, ist das Internet dafür voll von Konzert-Livestreams. Unser Autor findet aber, dass man seine Lieblingsband anders unterstützen sollte.
Elton John sitzt vergnügt mit seinem Flügel im Vorgarten. In keiner Halle, keinem Stadion – sondern in seinem Vorgarten. Zwischen den Hecken und dem Garagentor singt er unter einem Basketballkorb "I’m still standing" und fast 24 Millionen Menschen sehen ihm dabei zu. Sein Auftritt ist Teil des "One World: Together At Home" Livestream-Festivals. Zusammen mit Lady Gaga, Billie Eilish und vielen anderen sammeln sie wichtiges Geld für alle, die gegen die Corona-Pandemie kämpfen.
Beobachtet man die Superstars beim Benefizskypen, entsteht der Eindruck, ein Konzert-Livestream sei ein netter Zeitvertreib. Von anstrengenden Festival-Gigs in fernen Ländern befreit, können sie im trauten 500-Quadratmeter-Heim ihrem Hobby nachgehen. Gitarre spielen in Jogginghose! Ach, wie ulkig! Man trägt Sommerhüte und am Ende des Tages kommt eine gigantische Summe für eine gute Sache zusammen. Über verspätete Auszahlungen des Solo-Selbstständigen-Rettungsschirm muss hier keiner hadern.
Livestreams sind eine Überlebensstrategie
Was oft wie eine musikalische Grußbotschaft für Omas Achtzigsten aussieht, ist allerdings mehr als Entertainment. Konzert-Livestreams sind für viele Berufsmusiker momentan keine launige Abwechslung vom Alltag, sondern Überlebensstrategie. Der Ausfall von Gagen hat sie in eine Notsituation gebracht. Sie müssen neue Wege finden, Einnahmen zu generieren. Dafür gilt es in der Öffentlichkeit sichtbar zu bleiben. Ein Livestream leistet das: Man kann das Smartphone öffnen und sieht seine Lieblingsband, sie existiert. Noch. Trotz Hilfsaktionen der Initiative Musik, von Rossmann, der Bayerischen Landesregierung oder dem Spendenprojekt UnitedWeStream bleibt die Lage ernst.
"Man macht als Musiker oder Musikerin relativ viel umsonst. Alleine wenn man an Streamingzahlen denkt, die in Geld übersetzt, eigentlich nichts bedeuten. Das macht man ja – ganz verkürzt – fast gratis. Trotzdem ist das aber eben auch sehr wichtig. Da Leute einen so erst kennenlernen und dann vielleicht auch Lust auf die Konzerte bekommen und Tickets kaufen."
Leoniden im PULS Interview
Sichtbarkeit hilft dagegen, ist aber nur ein Teil der Lösung. Livestreams sind Schaufenster, kein Gehaltscheck. Denn Views zahlen keine Mieten, Likes nicht Wasser und Gas und Shares keinen Strom. Bisher sind die meisten Konzert-Livestreams – mit wenigen Ausnahmen – nämlich kostenlos. Es existiert keine Paywall, die die Zuschauer bei Instagram, Twitch, YouTube oder Facebook bittet, für das Konzert, das sie von ihrem Sofa aus sehen können, auch zu bezahlen. Es ist gratis. Davon profitieren in erster Linie die Plattformen: Der neue Traffic macht sie für Werbekunden attraktiver.
"Konzert-Livestreams sind den Umständen geschuldet, es ist kein grundsätzlicher Paradigmenwechsel in der Konzertbranche. Die Leute dürfen nicht raus. Da muss man jetzt eben sichtbar bleiben und zeigen, dass wir uns den Spaß nicht verderben lassen. Musik ist Emotion und das will man den Leuten ja weiter mitgeben als Musiker."
Drangsal im PULS Interview
Streams for free
Viele Musiker*innen wie Drangsal denken an ihre Fans. Sie führen ihren Beruf aus, spielen ihre Instrumente, handeln auf dem digitalen Marktplatz mit ihrer Kunst wie der Bäcker mit seinen Brötchen, bekommen aber für ihre Arbeit keine Entlohnung. Sie bleiben sichtbar, ja, der Merchverkauf wird angekurbelt, ja, aber ohne nach Spenden zu betteln, bleibt der Gig gratis. Warum eigentlich? Wer Netflix, Spotify oder Amazon Prime nutzt, muss auch eine monatliche Gebühr zahlen. Wer zocken will, muss ein Spiel kaufen.
Konzert-Livestreams verändern die Popmusik: In der Art, wie wir Musiker*innen neu als entzauberte Normalos mit Küchen und Jogginghosen kennenlernen, aber auch wie wir Kultur wertschätzen. Mit den Streams for free könnte eine parasitäre Gewohnheit entstehen, Kunst jederzeit, überall zu konsumieren – für lau. Ein Missverständnis, denn irgendwer muss diese Kunst ja auch nach der Krise machen.
Bands, DJs und Künstler*innen droht der Bankrott, wenn sie keine Alternativen finden, auch ohne reale Konzerte Geld zu verdienen. Oder mit anderen Worten: wenn wir sie nicht unterstützen, spenden oder ihnen CDs und Merch abkaufen. Wer wirklich helfen will, muss mehr tun, als streamen, teilen und liken. Den Lohn für getane Arbeit bezahlt man in Euros.
"Eine wahrhaftige, richtige, echte Konzert-Experience, kann man nicht im Internet anbieten. Egal ob mit VR-Brille oder anderem Kram. Das ist nicht dasselbe. Livestreams werden nicht der Standard werden. Außer das geht die nächsten zehn Jahre so. Wenn wir jahrelang alle Konzerte nur noch online hätten, könnten sich die Gewohnheiten ändern."
Drangsal im PULS Interview
Sendung: PULS am 22.04.2020 - ab 15.00 Uhr