#JOMO Wie Musiker jetzt das Daheimbleiben feiern
Früher haben wir uns geschämt, wenn wir am Wochenende zu Hause gesessen sind. Heute macht ein neuer Lifestyle die Runde: The Joy Of Missing Out. Der Trend hat längst auch unsere Lieblingsmusiker erreicht.
Man kann Millenials einiges vorwerfen, aber unsere Generation ist gerade dabei, sich sehr erfolgreich von einigen uralten gesellschaftlichen Zwängen zu befreien: Dem Zwang, bestimmten Schönheitsidealen zu entsprechen: #bodypositivity. Dem Zwang, nur eine ganz bestimmte Art von Beziehung führen zu dürfen #diversity. Und dem Zwang, immer überall dabei sein zu müssen: #joyofmissingout, kurz: #JOMO
Dabei haben wir bis vor kurzem noch ziemlich unter dem Gegenstück gelitten: #FOMO, der Angst, etwas zu verpassen. Die hat vor allem dann reingekickt, wenn man an einem Freitagabend daheim auf der Couch die Insta-Stories seiner Freunde beim Feiern geguckt hat. Das kann schon fies sein. Der Trick bei der Sache ist: Handy weglegen. Mit ein bisschen Feier-Erfahrung weiß man, dass die Insta-Posts der eigenen Freunde vom Feiern schon auch immer nach ein bisschen mehr Spaß aussehen, als sie tatsächlich haben.
Und auch wenn man sich irgendwie wild fühlt, wenn man am Tag nach der Party abwechselnd den Kopf in die Kloschüssel steckt und die Fotos des gestrigen Abends durchguckt, 200 Kater-Selfies schießt und irgendwann um 18 Uhr eine Pizza bestellt: so ein Sonntag ohne Kater, der kann schon was.
Netflix & Chill als Freizeittrend
Zugegeben: der #JOMO-Trend ist noch nicht absoluter Mainstream. Aber er hat das Potential, dazu zu werden. Auch immer mehr Musiker haben gerade das Daheimbleiben als Thema entdeckt.
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Wanda - Columbo (Official Video)
Übers Gemütlichsein zu singen hätte früher mit ziemlicher Sicherheit als langweilig und prüde gegolten, aber mittlerweile gehört ein Daheimbleiben-Song fast zum Standard-Repertoire auf jedem neuen Album.
Courtney Barnett, australische Singer-Songwriterin und Slackerin vom Dienst, hat dem Daheimbleiben mit "Nobody Really cares If You don’t Go to the Party" schon 2015 eine Hymne gewidmet. Der Titel klingt erstmal hart, aber sie hat so recht. Nicht jede Party kann die Nacht unseres Lebens sein. Viel zu oft wiederholen sich einfach nur die alten Geschichten und dann ist es auch nicht so wild, mal nicht anwesend zu sein. Der Guardian vergleicht sie aufgrund dieses Songs sogar mit Neil Young.
"Yes I like hearing your stories
But I've heard them all before
I'd rather stay in bed with the rain over my head
Than have to pick my brain up off of the floor"
Courtney Barnett in 'Nobody Really cares If You don’t Go to the Party'
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Courtney Barnett - Nobody Really Cares If You Don't Go To The Party
Manchmal sind wir einfach auch überfordert von unserem Alltag. Von Schule, Uni, Arbeit, damit, seine Freundschaften zu pflegen und dann haben sich auch noch zwei gute Freunde getrennt und wir leisten seelischen Beistand. Da haben wir uns eine Pause mehr als verdient.
Mein Leben ist mir so schon viel zu laut
Faber ist erfrischend ehrlich, wenn er erzählt, dass ihn manchmal schon die kleinsten Dinge überfordern und ihn das sinnlose Gefeiere um ihn herum ziemlich ankotzt:
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Faber - Nichts (Lyric Video)
Und wenn man einfach müde ist, aber trotzdem alle nerven, dass man heute Abend unbedingt zu dieser einen Party kommen muss, dann hilft es, Annenmaykantereit anzumachen und ein bisschen in den eigenen vier Wänden zu tanzen:
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Ich geh heut nicht mehr tanzen - AnnenMayKantereit
Obwohl der Song nie als Single veröffentlich worden ist, ist er der heimliche Hit vom 2018er Album "Schlagschatten" - zumindest viel besser und ehrlicher, als seltsame Liebeslieder wie "Pocahontas".
Wenn der TurnUp zum Abturn wird
Ein anderer Grund für die neue Lust am Daheimbleiben, kann natürlich auch das Alter sein. Die sogenannten Millenials werden ja auch nicht jünger. Aber immerhin kann man dann an Songs wie diesen arbeiten:
"Sie sagt, ihr Körper braucht Bass
Und sie kann sich daran nicht satt hören
Aber dein Turn-up, mein Schatz
Der wird für mich grade zum Abturn
Ich will keine Hetzkampagne
Ich will auf dem Sofa liegen
Später deinen Rest Lasagne
Vielleicht noch in den Ofen schieben"
Dendemann in 'Littbarski'
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Dendemann feat. Trettmann - Littbarski
Bingewatching statt Bingedrinking
Der neue #JOMO-Trend in der Musik ist äußerst gesund. Daheimbleiben hat so viele positive Seiten. Wir brauchen die Ruhe, um uns ein bisschen mehr auf uns selbst zu besinnen, auf das, was uns wirklich wichtig ist. Das wird einem zwar vermeintlich auch unter Bassgewitter auf dem Dancefloor klar. Aber geben wir es zu, mehr als: "Lebe den Moment" kommt da als Selbsterkenntnis selten bei rum.
Handy im Flugmodus, Dinge verpassen - das kann fast schon heilsam sein. Wir leben selbstbestimmter, wenn wir nicht ständig die Vergleichsmaschinerie des Internets anwerfen. Klar, der Kollege hängt gerade auf Bali, aber ich entspanne auf meiner Couch so viel umweltfreundlicher. Dazu kommt, dass Daheimbleiben heute natürlich auch viel geiler ist, als früher: Wir haben unbegrenzten Zugang auf unendlich viele Filme, Serien, Games, Youtube-Fail-Clips oder sagen wir einfach: das Internet an sich. Dazu ein gemütliches Helles und was gutes zu Essen. Herrlich.
Dass die #JOMO jetzt in der Musik so abgefeiert wird, ist umso erstaunlicher, als Musiker im Streamingzeitalter immer mehr davon leben, dass Menschen zu ihren Konzerten gehen. Also das Gegenteil von Chillen auf der Couch. Aber vielleicht geht man auch als entspannter Millenial am liebsten zu den Konzerten von Leuten, die einen in der eigenen Faulheit verstehen.
Sendung: PULS am 10.05.2019 - ab 10.00 Uhr