Tracks der Woche #07/17 Parcels, Declan McKenna, Sampha, Gothic Tropic, Mavi Phoenix
Mutprobe bei den Tracks der Woche: Auswandern auf gut Glück, schwierige Themen ansprechen, ganz auf sich alleine gestellt sein, Dämonen suchen und sich trotz Kontroversen offen zu Auto-Tune bekennen.
Parcels - Gamesofluck
Fünf langhaarige, schlaksige Dudes packen ihre Koffer randvoll mit schicken Vintage-Klamotten und dem nötigsten Equipment und fliegen vom australischen Byron Bay nach Berlin. Aber nicht, um dort Urlaub zu machen, sondern um dort zu leben und musikalisch durchzustarten. Sowas klappt normalerweise nur im Film - und eben bei den Parcels. Denn der Trip hat sich für die Band gelohnt: 2015 spielen die gerade mal Volljährigen bereits auf dem MS Dockville und der Fusion. Die dort präsentierte Acid-Disco-Funk-Mischung der Australier ist so konfus wie schön. Nachhören lässt sich das Ganze seit Januar auf ihrer EP "Hideout". Die Single "Gamesofluck" ist ein Track, der einen mit seinem weichen Synthie einlullt und dann sanft auf die Tanzfläche schubst, wo man nichts zu tun braucht, als mit geschlossenen Augen umher zu taumeln. Diesen Sound scheinen auch Two Door Cinema Club zu feiern, denn sie haben die Parcels als Support für ihre kommende Europatour gebucht.
Declan McKenna - The Kid’s Don’t Wanna Come Home
Warum nicht einen Track mit Zitaten von Jugendlichen über deren Zukunftsängste beginnen? Vor allem, wenn man selbst gerade mal 18 Jahre alt ist und auch nicht so ganz weiß, wohin: "I don’t know what I want if I’m completely honest. I guess I could start a war. I guess I could sleep on it" - so die ersten Textzeilen aus "The Kid’s Don’t Wanna Come Home" von Declan McKenna. Der englische Sänger wagte sich schon auf seiner 2015 erschienenen EP "Liar" an komplexe Themen: In seiner Single "Brazil" prangert er Korruption an, in "Paracetamol" geht es um die Ausgrenzung von Transgendermenschen. Das alles verpackt er in harmlos daherkommende, sehr tanzbare Indie-Pop-Beats. Wenn man McKenna hört, denkt man an einen gestandenen Musiker, der schon auf allen großen Festivals gespielt hat. Wenn man ihn allerdings dann mit seiner Latzhose und der bunten Regenjacke sieht, möchte man ihm einen warmen Kakao machen.
Sampha - Under
Wer seit sieben Jahren erfolgreich Musik macht und dabei mit Künstlern wie SBTRKT, Drake, Kanye West und Frank Ocean zusammengearbeitet hat, den kann man fast nicht mehr als Newcomer bezeichnen. Aber Sampha hat mit der Veröffentlichung seines ersten Soloalbums "Process" definitiv ein neues Kapitel in seiner Karriere aufgeschlagen. Eine sehr persönliche Platte ist es geworden, auf der zwei Instrumente im Fokus stehen: das Klavier, dem der Engländer sogar einen ganzen Song namens "(No One Knows Me) Like the Piano" widmet, und seine Stimme, mit der er einen sanftmütigen Falsett-Gesang erzeugt. Auf der neuen Single "Under" beweist das 27-jährige Multitalent sein kompositorisches Gespür, indem er einem trap-artigen Beat subtile Hangklänge untermischt. Und ganz nebenbei zeigt sich in "Under" auch Samphas ausgeprägte, lyrische Ader: "As I sit at my piano. And flick through every channel. Channeling those memories. Trying to put an end to these."
Gothic Tropic - How Life Works
Gothic Tropic - was für ein Bandname! Aber wie muss man sich jetzt so einen tropischen Goth vorstellen? Mit schwarzgrauem Hawaiihemd und einer Sonnenbrille mit 100% UV-Schutz? Im Falle dieser Indie-Pop-Band mit wechselnder Besetzung trifft das nicht wirklich zu, denn sie sind eher von der farbenfrohen Sorte. Aber immerhin sucht Frontfrau Cecilia Della Peruti - was für ein Name! - im Video zur Single "How Life Works" nach einem Amazonas-Dschungel-Dämon namens Chullachaqui. Der hat scheinbar ihre Giraffenkopf-Briefbox irgendwo im Garten hinter ihrem Haus vergraben. Gut, dass der Sound von Gothic Tropic um einiges zugänglicher ist als die Story des Videos: Zu einem ausgereiften Mix aus Synthie, Percussions und Schlagzeug gesellt sich diesiger, fast sirenenartiger Gesang. Kein Wunder also, dass die kalifornische Band Anfang des Jahres auf diversen Newcomer-2017-Listen landete.
Mavi Phoenix - Love Longtime
Egal, ob von anderen Künstlern belächelt oder sogar verpönt: Mavi Phoenix steht auf Auto-Tune. Und deshalb setzt die Österreicherin im Refrain zur ihrer aktuellen Single den Stimmenverzerrer wieder gewohnt gekonnt ein. "Love Longtime" ist ein Liebeslied nach dem Bonnie&Clyde-Prinzip: alle gegen uns, wir beide gegen den Rest der Welt. Aber auch wenn das Motiv ein vermeintlich bekanntes ist, der Aufbau des Songs ist dafür umso überraschender: Nach einem ruhigen Start mit Klavierbegleitung erfolgt der erhoffte Bassdrop, bevor der Song in einen einfühlsamen Rap-Part abdriftet und dann mit blechernen Percussions den Refrain einleitet. Wer bei "Love Longtime" nicht aufpasst, läuft Gefahr, den Faden zu verlieren. Aber zum Glück gibt es ja den Repeat-Button. Die kommende EP der 20-Jährigen wird passenderweise "Young Prophet" heißen - schließlich ist Mavi Phoenix selbst so etwas wie Österreichs Lo-fi-Pop-Prophetin.