Gewalttätige Musiker Wieso hat Chris Brown immer noch Erfolg?
Gewalttätig, selbstverliebt, uneinsichtig – Chris Brown ist ein narzisstischer Frauenschläger. In einer gerechten Welt würde niemand seine Musik hören. Die von R. Kelly aber auch nicht. Oder Dr. Dre. Oder John Lennon.
Nichts Neues eigentlich, oder? Chris Brown wurde verhaftet, er soll eine Frau mit einer Waffe bedroht haben. Die Polizei hat auf seinem Grundstück Drogen und Waffen sichergestellt. Mittlerweile ist der Ex-Freund von Rihanna auf Kaution wieder draußen. Und promotet gleich mal seine neue Single, als ob nichts gewesen wäre.
Natürlich: Noch ist nichts bewiesen, die Unschuldsvermutung gilt auch für jemanden mit der Vorgeschichte eines Chris Brown. Sollte sich allerdings herausstellen, dass der R'n'B-Sänger tatsächlich unter Drogeneinfluss ohne jede Not einer Frau eine Schusswaffe an den Kopf gehalten hat – überraschen würde das wohl niemanden. Dafür ist die Liste an Personen, die von Chris Brown gewaltsam attackiert wurden, einfach zu lang. Am aufsehenerregendsten: Browns Angriff auf seine damalige Freundin Rihanna im Jahr 2009. Wer den ermittelten Tathergang im offiziellen Polizeibericht nachliest, den schaudert es: Chris Brown hat Rihanna mehrfach brutal geschlagen, sie gebissen, sie beinahe bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt und ihr damit gedroht, sie umzubringen. Das Foto von Rihannas völlig zerschundenem Gesicht ging um die Welt. Noch im selben Jahr veröffentlichte Brown ein neues Album. Das darauffolgende Album "F.A.M.E." erreichte 2011 die Spitze der US-Charts.
Chris Brown ist ein Mann mit ernsthaften Aggressionsproblemen. Oder besser gesagt: Er ist ein widerliches Arschloch, das den Erfolg nicht verdient hat. Keiner sollte seine Konzertkarten kaufen, keiner sollte seine Musik hören. Allerdings: Es fällt mir leicht, das zu sagen – weil ich seine Musik sowieso nicht mag.
Aber was zum Beispiel ist mit Xatar? Oder Dr. Dre?
Bevor er 2010 einen Goldtransporter überfiel, war der Bonner Gangsterrapper Xatar 2009 zu Gast auf einer Party in Hugh Hefners Playboy Mansion und brach dort nach einem Streit einem Model die Nase. Sein Album "Baba aller Babas" war trotzdem eines meiner Lieblingsalben 2015.
Und Dr. Dre? Der hat in seinem Leben mehr als eine Frau brutal verprügelt – unter anderem seine frühere Partnerin Michel’le oder die Fernsehmoderatorin Dee Barnes. Ist er für mich trotzdem einer der größten Produzenten der Popgeschichte? Ja. Mag ich seine Musik auch nur einen Deut weniger? Wenn ich ehrlich bin, nicht wirklich.
Nehmen wir R. Kelly – es besteht eine geradezu erdrückende Beweislast gegen den R'n'B-Sänger. Dutzende minderjährige Mädchen soll er sexuell ausgebeutet und zu – sagen wir mal – eher ausgefallenen Praktiken genötigt haben. Wenn der DJ am Samstagabend "Ignition" auflegt, singen wir trotzdem alle mit. "It’s the freakin’ weekend baby / I’m about to have me some fun". Was R. Kelly eigentlich genau unter "fun" versteht – will darüber in dem Moment ernsthaft jemand nachdenken?
Und was ist mit John Lennon? Wenige andere Musiker werden weltweit so verehrt – Lennon war nicht nur ein genialer Musiker, sein Image ist fast schon messianisch. Für viele verkörpert er den Kampf für eine bessere, friedlichere, liebevollere Welt.
Privat war John Lennon aber wohl keinen Deut besser als Chris Brown. Er selbst hat in einem Interview zugegeben, in seinem Leben mehr als nur eine Frau geschlagen zu haben. Seinem Sohn Julian muss er ein herzloser, grausamer Vater gewesen sein. Ach ja, über Behinderte hat er sich übrigens auch lustig gemacht.
Das wissen nicht allzu viele. Aber selbst wenn es die ganze Welt wüsste, würde das irgendetwas ändern? Höchstwahrscheinlich nicht. Ich denke, das hat zwei Gründe. Erstens hat Lennon großartige Songs geschrieben. Und ein Publikum, das gut unterhalten wird, verzeiht viel. Oder sagen wir: vergisst viel. Und zweitens: Popmusiker und ihre Songs sind Projektionsflächen, wir projizieren unsere eigenen Gefühle, Wünsche und Sehnsüchte in sie hinein. Im Künstler auf der Bühne sehen wir immer auch ein bisschen uns selbst. Wir bejubeln etwas, was wir selbst sind, oder glauben zu sein, oder einfach nur gerne wären; ein Leben, das wir selber gerne hätten – und die wenigsten von uns wollen sich dieses Bild von der Privatperson hinter dem Künstler kaputtmachen lassen. Von daher: So lange Chris Brown weiterhin gut singt und sexy tanzt und etwas darstellt, in dem sich Mädchen und Jungs weltweit gerne wiederfinden, so lange kann er privat Menschen verprügeln, wie er lustig ist – er wird trotzdem Erfolg haben. Darüber darf man sich gerne aufregen – aber dann sollte man auch schon mal anfangen, seine Beatles-Platten auszumisten.
Ach ja, und warum wir männlichen Künstlern die gröbsten Schandtaten oft mit einem Schulterzucken durchgehen lassen, während weibliche Stars oft für viel kleinere Vergehen in der Luft zerrissen werden – das ist dann nochmal eine ganz andere Frage…