Podcast "Ohne Alkohol mit Nathalie" Jung, erfolgreich, alkoholkrank: So gestand sich Nathalie ihre Sucht ein
Als junge, erfolgreiche Frau sprengt Nathalie das Klischeebild, das wir von Alkoholiker*innen haben. In ihrem Podcast "Ohne Alkohol mit Nathalie" erzählt die Journalistin, wie schwer es war, sich die eigene Sucht einzugestehen.
Von: Hannah Heinzinger
Stand: 11.11.2019
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Ab und zu mit einem Rausch nach Hause kommen – für viele ist das total normal. Bier zählt in Bayern sogar zu den Grundnahrungsmitteln. Der allgemeine Konsens: Alkohol gehört zu vielen Partys, Geburtstagen und Weihnachtsfeiern einfach dazu. Schief angeschaut werden eher die Leute, die nichts trinken. Die BR-Journalistin Nathalie Stüben gehörte viele Jahre lang zu den Leuten, die auf Partys immer zu viel tranken und regelmäßig abstürzten. Immer öfter trank sie und immer mehr veränderte der Alkohol auch ihre Persönlichkeit. Mit 30 Jahren hat sie die Reißleine gezogen. Heute ist Nathalie Stüben seit gut drei Jahren nüchtern. In ihrem Podcast "Ohne Alkohol mit Nathalie" erzählt sie jetzt ihre Geschichte und spricht mit Gästen, die auch eine Alkoholsucht hinter sich haben.
Wann hast du gemerkt, dass du ein Problem mit Alkohol hast? Und wann hast du es dir eingestanden?
Geahnt habe ich das schon sehr früh. Bis ich mir das aber eingestehen konnte, sind Jahre vergangen. Wenn nicht sogar ein Jahrzehnt. Ich war schon immer eine, die sehr viel vertragen hat, die auf jeder Party vorne mit dabei war und die auch sehr oft abgestürzt ist. Ich habe allerdings nicht so richtig gecheckt, dass ich abhängig war, weil ich immer dachte: Abhängig ist man erst, wenn man anfängt zu zittern oder wenn man morgens aufwacht und unbedingt Alkohol trinken will. Und das war bei mir alles nicht so.
Wenn ich nichts getrunken habe – und es gab bis zuletzt noch Tage wo ich nüchtern war – dann ging es mir körperlich gut. Meine Seele hat zwar Schaden genommen, aber rein körperlich hatte ich keine Entzugserscheinungen. Mir war aber nicht klar, dass psychische Abhängigkeit sich unter anderem dadurch äußert, dass man nicht mehr aufhören kann, wenn man einmal anfängt zu trinken. Das ist mir aber immer öfter passiert. Immer öfter hatte ich morgens neue blaue Flecken an den Beinen und immer wieder neue Typen neben mir liegen, bei denen ich dachte: "Wer ist das denn schon wieder?" An einem dieser Morgen wusste ich: Das will ich nicht mehr.
Obwohl du dich regelmäßig bewusstlos getrunken hast, nach außen hast du dein Leben noch weiter auf die Kette gekriegt und gearbeitet. Wie ging das?
Oh, das geht bei sehr vielen! Wir haben da ein völlig falsches Bild im Kopf. Wir denken, die Leute mit Alkoholproblem kippen sich morgens schon Whiskey ins Müsli. Aber die meisten kriegen ihr Leben erstaunlich gut hin. Ich habe jetzt im Zuge des Podcasts hunderte von Zuschriften bekommen: So viele sehr leistungsfähige Menschen schreiben mir und sagten, dass es bei ihnen genauso ist. Die investieren besonders viel, um den Job, die Familie am Laufen zu halten. So war das auch bei mir: Es war wie ein Zyklus. An meinen nüchternen Tagen habe ich hocheffizient gearbeitet und Höchstleistungen im Job erbracht. Wenn dann ein Projekt zu Ende ging, bin ich wieder abgestürzt. Am nächsten Morgen bin ich verkatert aufgewacht, habe mich regeneriert, aufgeräumt und es ging wieder von vorne los. Es ist wirklich enorm, was ich für eine Energie investiert habe, ein Bild zu zeichnen, das die Leute davon ablenkt, wie es mir wirklich geht. Wenn man ein funktionierendes Mitglied der Gesellschaft ist, dann gucken die Leute auch nicht so genau hin.
Haben deine Freunde und deine Familie nichts gemerkt?
Die haben gemerkt, dass ich mich total verändert habe. Dass ich mich zurückzog, dass ich nicht mehr witzig war, dass ich melancholisch geworden bin. Das hat sich so schleichend entwickelt, dass ich sogar irgendwann dachte: Ich bin so. Es kamen schon ab und zu Kommentare von Freundinnen zum Beispiel, die meinten: "Ich habe den Eindruck, du hast gar kein Interesse mehr an unserer Freundschaft." Und das stimmte auch zu dem Zeitpunkt. Der Alkohol hat meine Persönlichkeit so verändert, dass mir nichts so wichtig war wie das Trinken. Dass das eigentliche Problem der Alkohol war, das wussten sie nicht – ich ja damals auch nicht. Als ich aber den Menschen in meinem Umfeld erzählt habe, dass ich mich entschlossen habe, nicht mehr zu trinken, da ging es reihenweise so: "Ach, das war das Problem! Klar, du hast viel getrunken, aber dass das die Ursache für deine Veränderung war, hätten wir nicht gedacht."
Hast du dann eine Therapie gemacht oder andere Angebote genutzt?
Ich habe keine Therapie gemacht. Ich habe, wie Journalisten das so machen, angefangen mir das Thema zu erarbeiten. Es reicht ja nicht, einfach mit dem Trinken aufzuhören, man muss ja erstmal lernen wie das geht. Ich habe mir Literatur besorgt und US-amerikanische Podcasts gehört, in denen Menschen ihre Geschichte erzählt haben. Ich habe mir quasi meine eigene Selbsthilfegruppe zusammengestellt. In den Podcasts haben junge, erfolgreiche, coole Frauen gesprochen, mit denen ich mich identifizieren konnte. Und als die gesagt haben, dass sie es geschafft haben, und je mehr solcher Geschichten ich gehört habe, umso klarer wurde mir: Ich kann das auch schaffen.
Jetzt sprichst du auch selbst ganz öffentlich darüber. Warum hast du dich entschieden, einen Podcast zu machen?
Das war mir ein inneres Bedürfnis. Das kam schon ein bis zwei Monate, nachdem ich nüchtern geworden bin und gemerkt habe, wie heilsam solche Podcasts sein können. Da dachte ich allerdings, das werde ich niemals selber machen, ich bin doch nicht bescheuert. Damals habe ich mich noch krass geschämt für mein Alkoholproblem. Über die Jahre hinweg habe ich aber immer gedacht: Eigentlich muss ich das machen. Wer, wenn nicht ich? Ich sprenge das Klischee, ich kann Audios schneiden und weiß ungefähr, was ein Podcast ist. Irgendwann hat diese ganze Arbeit an mir und die Erkenntnis, welche Rolle Alkohol in der Gesellschaft spielt, dazu geführt, dass ich mich nicht mehr geschämt habe. Und da wusste ich: Jetzt musst du es machen. Der Podcast ist für Menschen, die ein Leben ohne Alkohol führen wollen und die, die das noch vorhaben. Und die Menschen, die bereits ein Leben ohne Alkohol führen und wollen, dass es so bleibt. Mich würde auch freuen, wenn der Podcast die Funktion erfüllt, dass wir die Art und Weise, mit der wir mit Alkoholabhängigkeit umgehen und darüber sprechen, überdenken.
Wie geht es dir damit, dass jetzt wirklich alle, die deinen Namen googeln gleich wissen, dass du mal ein Alkoholproblem hattest?
Ein Freund von mir meinte damals, als ich ihm vom meiner Podcast-Idee erzählte: "Du bist dann also bereit, die Alkohol-Tante zu sein?" Und für mich war klar: Ja, das bin ich. Aber das ist in Ordnung für mich. Das könnte tatsächlich meine Lebensaufgabe werden. Der Podcast ist jetzt fünf Wochen online und ich habe schon an die Tausend Nachrichten bekommen. Es ist irre. Und nur eine einzige davon war negativ. Ich bin der Meinung, ich mache was unglaublich Sinnvolles und dafür gebe ich gern mein Gesicht her. Weil es einfach mal jemand tun musste.
Ist der Podcast auch für dich eine Art Verbindlichkeit, weil du es jetzt deinen Hörer*innen schuldig bist, nüchtern und stark zu bleiben?
Ja, auf jeden Fall. Es ist nicht so, dass ich mich permanent vor Rückfällen fürchte. Innerlich habe ich mit dem Thema Alkohol abgeschlossen. Ich merke das, wenn ich in Situationen bin, in denen ich früher immer getrunken hätte. Letztens hat mich eine Freundin in einen super hippen Club in Berlin mitgenommen, da standen alle mit ihrem Wodka Bull und ihren Weingläsern - und es hat mich gar nicht gereizt. Der Podcast hat für mich auch ein bisschen die Funktion einer Selbsthilfegruppe: Die permanente Beschäftigung mit Alkohol und die Erinnerung daran, wo ich mal war – und da zu bleiben, wo ich jetzt bin. Und das würde ich um nichts in der Welt wieder aufs Spiel setzen. Der Podcast ist mein doppelter Boden.
Sendung: PULS am 08.11.2019 ab 15 Uhr