Alternativer Drogen- und Suchtbericht "Deutschland ist drogenpolitisch ein Entwicklungsland"
Hat Deutschland ein Drogenproblem? Laut dem alternativen Drogen- und Suchtbericht 2018 ja. Aber nicht illegale Substanzen wie Cannabis und Co. sind schuld an jährlich zigtausenden Drogentoten in der Republik.
Alle Jahre wieder veröffentlicht die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Marlene Mortler den sogenannten Drogenbericht. Darin zu finden: Zahlen, Fakten und Präventionsmaßnahmen gegen den Drogenmissbrauch in Deutschland. Seit mittlerweile fünf Jahren gibt es aber einen Gegenentwurf, den sogenannten Alternativen Drogen- und Suchtbericht.
Prof. Dr. Heino Stöver, Direktor des Instituts für Suchtforschung an der Frankfurt University of Applied Sciences und Mitherausgeber des Alternativen Drogenberichts, erklärt, warum er die deutsche Drogenpolitik für gescheitert hält.
PULS: Gerade wurde in Berlin der "Alternative Drogen- und Suchtbericht" vorgestellt. Warum "alternativ"?
Heino Stöver: Wir haben deshalb das Alternativformat gewählt, weil der Regierungsbericht zur Drogen- und Suchtsituation in Deutschland viele Fragen offen lässt und viele brisante Themen nicht anspricht. Deswegen kommen seit fünf Jahren Fachleute zusammen und geben einen alternativen Drogenbericht heraus, um die Öffentlichkeit zu darüber zu informieren, was in Deutschland im Drogenbereich eigentlich gemacht werden müsste.
Und was wäre das aus Ihrer Sicht?
Deutschland ist drogenpolitisch ein Entwicklungsland. Es besteht Regulierungsbedarf und auch ein Reformstau bezüglich legaler, aber auch illegaler Substanzen. Bei den legalen Drogen fällt Alkohol als ganz besonderes Thema auf. Mit 14 Liter reinen Alkohol pro Kopf nehmen wir in der EU die Spitzenstellung ein. Wir haben jedes Jahr etwa 74.000 alkoholbedingte Drogentote in Deutschland. Bei Tabak ist es noch schlimmer, dadurch haben wir jährlich 110.000 Tote. Wir haben immer noch eine unheimlich hohe Verbreitung von Rauchern und Raucherinnen. Von der wachsenden Bevölkerung rauchen 28 Prozent, was im EU-Vergleich ein sehr hoher Wert ist.
Für beide legalen Drogen darf in Deutschland noch geworben werden. Beide legale Drogen sind schnell und leicht zugänglich, zum Beispiel durch Zigarettenautomaten. Das gibt es in Europa nirgendwo anders in dieser Form. Wir fordern bei Tabak und Alkohol ein Werbeverbot und Preiserhöhungen und eine lebensnahe Aufklärung, die die Leute wirklich anspricht und beispielsweise auf Etiketten von Flaschen zu finden ist. Auch Minimalpreise für Alkohol sind eine Idee, das kennt man aus Schottland. Wir haben eine ganze Batterie von Vorschlägen die wir gut finden und die sich im europäischen Ausland auch schon als tauglich erwiesen haben.
Wie sieht’s bei den illegalen Drogen aus?
Auch hier besteht erheblicher Regulierungsbedarf. Bei Cannabis zum Beispiel, wir haben 330.000 sogenannte Rauschgiftdelikte. Die Hälfte davon geht auf Cannabismengen zum Eigenbedarf zurück. Da werden Konsumenten kriminalisiert und von der Polizei verfolgt. Die Fälle werden der Staatsanwaltschaft übergeben und die meistens jungen Menschen bekommen dann riesige Probleme Zuhause, in der Schule, in den Lehrstätten, wenn das öffentlich bekannt wird.
Das heißt Sie setzen sich für die Legalisierung von Cannabis in Deutschland ein?
Ja. Wir haben ja seit kurzem ein Gesetz zur therapeutischen, medizinischen Nutzung von Cannabis gegen Schmerzzustände oder Ähnliches. Wir setzen uns auch für die Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken ein. Kanada hat gerade Cannabis legalisiert. In den Vereinigten Staaten haben mittlerweile hundert Millionen Amerikaner Zugang zu legalen Cannabis. Das ist das Beste was wir machen können, auch in Deutschland.
Welche Drogen halten Sie denn für gefährlich, unabhängig von ihrer Legalität?
Am gefährlichsten sind eindeutig Tabak und Alkohol. Das sind die großen Volksdrogen. Da haben wir Drogen-Todeszahle, die wirklich alles andere schlagen. Die Bundesregierung und die Drogenbeauftragte Frau Mortler von der CSU, konzentrieren sich aber auf die Drogentoten von Opiaten und anderen Substanzen, das ist aber eine weitaus geringere Zahl. Ich will das nicht banalisieren, ich will nur sagen dass sie falsche Schwerpunkte setzt. Aber da scheut sie regulatorische Eingriffe, weil sie da natürlich viel Gegenwind vermutet.
Gegenwind seitens der Tabak und Alkohol Industrie, oder von wem?
Gegenwind sowohl von einer legalen Drogenindustrie als auch von den Drogennutzern. Ich meine Raucherinnen und Raucher und Alkoholkonsumenten werden natürlich nicht erfreut sein über einen erschwerten Zugang oder höhere Preise. Und weil das Amt der Drogenbeauftragten politisch besetzt ist - wie gesagt gegenwärtig mit einer CSU Vertreterin - ist da natürlich auch gleichzeitig parteipolitisches Kalkül in der Auswahl der Themen auf die sich Frau Mortler stützt. Da geht es weniger darum, was eigentlich gesundheitspolitisch nötig wäre.
Apropos CSU: Nimmt Bayern aus Ihrer Sicht drogenpolitisch eine Sonderrolle in Deutschland ein?
Bayern nimmt insofern eine Sonderrolle ein, als das wir hier sehr viele Tote von illegalen Substanzen zu beklagen haben. Trotzdem wehrt sich die bayerische Regierung schon lange gegen Angebote wie Drogenkonsum-Räume für Drogenabhängige, wie das in Frankfurt oder in Berlin der Fall ist. Auch was die Banalisierung des Alkohols angeht, ist Bayern ja bundesweit Vorreiter. Bier gehört hier ja zu den Grundnahrungsmitteln.
Haben Sie Hoffnung, dass sich in der nächsten Zeit etwas an diesem Entwicklungsland-Status ändern?
Ja, gerade tagt der Gesundheitsausschuss des deutschen Bundestages und berät über die Vorlagen von Bündnis90/Die Grünen, den Linken und der FDP. Alle drei Oppositionsparteien wollen Cannabis zu Genusszwecken zumindest als Pilotprojekte freigeben. Die SPD liebäugelt durchaus damit. Und wenn die sich entsprechend dem Wahlverhalten verhält, könnte es durchaus zu Pilotprojekten auf kommunaler Ebene führen. Das heißt, es ist durchaus politischer Druck dahinter und den versuchen wir auch mit unserem Alternativen Drogenbericht zu erzeugen.
Sendung: Filter vom 27.06.2018 - ab 15 Uhr