Interview mit einem Foodora-Lieferanten "Es ist ein Knochenjob"
Schlechte Kleidung, hohe Handyrechnungen und so gut wie kein zwischenmenschlicher Kontakt: Ein Foodora-Fahrer erzählt uns, wie es wirklich ist, wenn dein Chef eine App ist.
Stramme Wadeln, Isolations-Box auf dem Rücken und das Smartphone in der Hand: In den großen Städten radeln seit ein paar Monaten unglaublich viele dieser Fahrer durch die Straßen. Sie arbeiten für Dienste wie Deliveroo oder Foodora und liefern Essen von Restaurants, die bisher keinen Lieferservice hatten. Das Arbeiten ist auf den ersten Blick maximal easy: mit dem Smartphone in der App einloggen, Aufträge annehmen, losradeln. Dienstpläne und die Kommunikation laufen auch über das Smartphone. Aber je länger man diesen Job macht, desto mehr Probleme treten auf. Ein Fahrer, der anonym bleiben möchte, hat uns von seinen Erfahrungen nach fast einem Jahr bei Foodora erzählt.
PULS: Wieso hast du dich bei Foodora beworben?
Foodora-Fahrer: Ich habe einfach einen Job gebraucht und Foodora war etwas Neues. Außerdem war die Bewerbung unkompliziert: Hingehen, sagen, man will arbeiten und das war's.
Bist du zufrieden mit dem Job?
Am Anfang ist es relativ cool, du bist viel alleine, dich nervt keiner, die App sagt dir halt, wo du hingehen musst und was du zu tun hast. Und natürlich die Flexibilität, die ist ein großer Vorteil. Aber je länger man das macht, umso mehr fehlt einem irgendwann der Kontakt zu den Kollegen und generell zu Menschen. Denn es ist ja wirklich so, dass du, außer beim Abholen und Liefern des Essens, keinerlei Kontakte hast. Die App ist der einzige Schnittpunkt zur Firma.
Am Anfang war es cool, aber du bist jetzt fast ein Jahr dabei. Hast du deine Meinung geändert?
Je länger man dabei ist, umso mehr Probleme kriegt man. Zum Beispiel bei der Abrechnung, wenn man Urlaub nehmen möchte oder krank wird oder generell etwas regeln möchte. Dann muss man sich mit jemandem in der Firma auseinandersetzen und dann wird es schwierig. Man kann im Büro nicht wirklich jemanden per Telefon erreichen und hat es in der Regel mit vielen jungen Leuten zu tun, die nicht wirklich Ahnung von der Materie haben. Alles läuft per Mail und Whatsapp, die Personalabteilung ist zum Beispiel nur per E-Mail zu erreichen und dann muss man oft ein paar Tage auf die Antwort warten.
Wir haben Foodora auch nach dem Stundenlohn der Fahrer gefragt und man sagte uns, mit Trinkgeld kämen die Fahrer auf ca. 12 Euro pro Stunde. Wie viel verdienst du wirklich?
Also in den meisten Städten ist der Stundenlohn 8,50 Euro. In München hat man einen Stundenlohn von 10 Euro. Früher gab es auch mal einen Bonus für die Wochenendarbeit, der wurde abgeschafft. Und Trinkgeld ist so eine Sache… Wer am Vormittag fährt, hat meistens mit Firmen zu tun und Firmen sind eher zurückhaltend. Bei den Privatleuten ist von null bis acht Euro Trinkgeld alles möglich, deshalb finde ich es fatal zu sagen, dass wir einen Stundenlohn von 12 Euro bekommen.
Was sagt die Gewerkschaft Verdi dazu?
Matthias Knüttel von Verdi: "Man kann allgemein sagen, dass die arbeitsvertraglichen Inhalte auf die gesetzlichen Regelungen abgestimmt sind, das sind meistens Mindeststandards. So versucht Foodora hier so wenig Risiko wie möglich einzugehen. Aber 10 Euro Stundenlohn ist einfach definitiv zu wenig für den Job. Ich würde bei 13 bis 14 Euro ansetzen, plus gewisse Zuschläge für Sonn- und Feiertage."
Bei Foodora müssen alle Fahrer ihr eigenes Fahrrad mitbringen, das eigene Handy und auch das eigene Datenvolumen nutzen. Wie findest du das?
Natürlich macht es mir etwas aus, mein eigenes Handy zu benutzen. Jedes Mal, wenn ich es in der Hand habe, besteht die Gefahr, dass es runterfällt oder nass wird und kaputtgeht. Aber wir Fahrer haben einfach keine andere Wahl. Und für Foodora ist das ein kleines Schlupfloch, um Kosten zu sparen.
Das mit dem Datenvolumen ist so eine Sache. Nicht jeder hat von Anfang an ein Handy mit einem Gigabyte Datenvolumen. Aber für den Job muss man sich das besorgen. Die Foodora-App, über die ich die Aufträge kriege, verbraucht zwar nicht so viel Datenvolumen, aber das Navi leider schon.
Was sagt Verdi dazu?
Matthias Knüttel von Verdi: "In der Regel ist es so, dass die Arbeitgeber die Arbeitsmaterialien kostenlos zur Verfügung stellen, sie sind dazu aber nicht gesetzlich verpflichtet. Bei Foodora müssen die Beschäftigten ihr Arbeitsmaterial, zum Beispiel Roller oder Fahrrad, selber mitbringen. Natürlich ist da auch das Risiko gegeben, dass sie dann auch die Reparaturen an den Fortbewegungsmitteln selber tragen müssen. Bei einem Stundenlohn von 10 bis 12 Euro kann es durchaus möglich sein, dass das für die Beschäftigten sogar ein Draufleggeschäft ist."
Du meinst, auch viele deiner Kollegen sind unzufrieden. Was sind denn die Probleme, über die ihr untereinander am häufigsten sprecht?
Das Hauptproblem ist die Kommunikation. Egal, ob man alles per App bekommt, oder nicht: Wir leben zwar in einem Zeitalter, in der die Technisierung immer mehr zunimmt, aber man kann trotzdem etwas dafür tun, dass sich die Mitarbeiter wohlfühlen. Das hat nicht unbedingt immer etwas mit Geld zu tun. Außerdem könnte die Arbeitskleidung verbessert werden.
Inwiefern sollte die Arbeitskleidung besser werden?
Wir brauchen vernünftige Regenhosen und warme Hosen, vor allem, wenn der Winter kommt. Weil: Bei dem Gehalt kann man von den Fahrern nicht auch noch erwarten, dass sie sich teure Thermo-Kleidung leisten. Wir bekommen zwar Winterjacken, aber keine Hosen.
Außerdem gibt es während einer längeren Schicht im Winter oft keine Möglichkeit, dass wir uns aufwärmen. Viele Restaurants möchten die Fahrer auch nicht in ihrem Laden haben. Dann müssen wir draußen warten.
Und was müsste noch an den Arbeitsbedingungen geändert werden?
Sie sollten sich mit einer monatlichen Pauschale an unseren Handyverträgen beteiligen. Denn: Neben dem verfügbaren Datenvolumen müssen wir auch teilweise die Kunden anrufen, wenn sie nicht da sind zum Beispiel. Das sind natürlich alles Kosten, die man streng genommen vom Stundenlohn abziehen muss.
Zweitens: Ersatzteile fürs Fahrrad. Bremsen, Fahrradschläuche. Das verschleißt ja alles. Die Autofahrer kriegen einen Zuschlag, aber das muss jeder selber wissen, ob sich das für ihn rechnet.
Was sagt Verdi dazu?
Matthias Knüttel von Verdi: "Ich finde für das, was die Beschäftigten dort leisten, für das Risiko, das die Beschäftigen haben, sind die Arbeitsbedingungen einfach zu schlecht ."
Und wie lange willst du noch im Unternehmen bleiben? Was müsste passieren, dass du sagst: "Ich höre auf"?
Es kommt natürlich immer darauf an, wie viel man arbeitet. Es gibt ja viele bei uns, die das nur als Neben- oder Minijob machen. Aber kein Mensch will immer nur so arbeiten! Also ich hab noch niemanden getroffen, der gesagt hat, er will das jetzt für immer machen.
Sind das, was du beschreibst, nicht auch teilweise typische Start-Up-Probleme? Meinst du, es wird sich noch etwas ändern bei Foodora?
Naja, es gibt halt keine richtige Stelle, an die man sich wenden könnte. Oft bleibt alles von Beschwerden bis Feedback irgendwo in der Kommunikationskette hängen. Generell finde ich, dass es einen Betriebsrat geben sollte, damit man einen Ansprechpartner für die vielen Mitarbeiter hat. Und um sicherzustellen, dass bestimmte Dinge überhaupt mal an die Chefetage herangetragen werden.
Ich glaube, jeder braucht menschliche Kontakte. Wir sind ohnehin schon sehr isoliert, durch technische Geräte. Und wenn das in der Arbeit jetzt auch noch anfängt, dass du keinen Kontakt mehr zu Vorgesetzten und Kollegen hast, sondern wirklich alles nur noch per App gemacht wird, vereinsamt man einfach.
Was würdest du jungen Kollegen raten oder Menschen, die überlegen, für Foodora zu arbeiten?
Als Nebenjob ist das schon ne coole Sache, Vollzeit muss man halt wissen, dass das ein Knochenjob ist. Man ist den ganzen Tag auf dem Fahrrad unterwegs, auch bei Regen - und es nicht so, dass man alle Probleme schnell lösen kann. Man sollte seine Rechte kennen und nicht alles mit sich machen lassen, weil Arbeitsrecht ist nicht so Foodoras Liebling.
Was sagt Verdi dazu?
Matthias Knüttel von Verdi: "Ich sehe den Job bei Foodora eher als Zusatzverdienst bei Schülern und Studenten, die vielleicht noch bei den Eltern wohnen, die keine Miete zahlen müssen, keine Verpflichtungen haben. Es ist einfach keine Planbarkeit da, das System an sich ist nicht ausgelegt für eine Vollzeitbeschäftigung."