Drittes Geschlecht "Dieses Gesetz ist eine absolute Minimallösung"
Männlich, weiblich, divers - in Zukunft soll im Geburtenregister eine dritte Geschlechtsoption möglich sein. Kritiker sagen aber: An der Diskriminierung von Inter- und Trans*menschen ändert sich dadurch nichts.
Von: Miriam Harner
Stand: 13.12.2018
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Es gibt Menschen, die man von ihren biologischen Geschlechtsmerkmalen her nicht eindeutig als Mann oder Frau identifizieren kann. Bis November 2017 gab es diese Menschen offiziell nicht. Erst dann hat das Bundesverfassungsgericht eine quasi-revolutionäre Entscheidung getroffen: Das dritte Geschlecht muss amtlich werden. In Zukunft soll es auch den Eintrag "divers" im Geburtenregister geben.
An dem Gesetzesentwurf, den das Bundeskabinett schon im August beschlossen hat, gibt es aber viel Kritik. Anträge der Linken der Grünen sollen jetzt erzwingen, dass nochmal daran geschraubt wird. Mit der Initiative sprechen sie vielen Betroffenen und Aktivisten aus der Seele. Moritz Prasse von der Kampagnengruppe "Dritte Option" erklärt, warum das neue Gesetz in seiner jetzigen Form vielen Interessengruppen immer noch nicht weit genug geht.
PULS: Eins steht auf jeden Fall fest: Im Geburtenregister sollen Ärzte neben weiblich und männlich das Geschlecht "divers" ankreuzen können. Warum ist es denn so wichtig, dass ein drittes Geschlecht offiziell anerkannt wird?
Moritz Prasse
Bild: Moritz Prasse
Moritz Prasse: Weil es Menschen gibt, die weder eindeutig männlich noch eindeutig weiblich sind. Das ist ein Fakt. Unsere Gesellschaft ist aber sehr nach Geschlechtern aufgeteilt. Diese Menschen, die nicht Mann oder Frau sind, wurden bisher unsichtbar gemacht. Die rechtliche Anerkennung führt dazu, dass sie sagen können "Wir existieren!". Das kann niemand mehr leugnen und intergeschlechtliche Menschen können jetzt weitere Rechte für sich einfordern. Sie haben jetzt die Möglichkeit zu sagen: "Wir werden an dieser Stelle diskriminiert, weil wir bislang nicht vorgekommen sind. Bitte ändert das." Das ist bisher leider nicht möglich gewesen.
Seid ihr mit dem Begriff "divers" einverstanden?
Grundsätzlich ja, allerdings ist der Begriff auch ein bisschen zu kurz gegriffen. Er funktioniert als Sammelbegriff, drückt aber keine Geschlechtsidentität aus. Wir hätten so etwas wie "divers:" bevorzugt, dahinter hätten alle Personen ihr Geschlecht selbst eintragen können. Aber zumindest klingt der Begriff nicht mehr nach Resterampe. Im alten Gesetzentwurf stand ja noch "andere" oder "weiteres".
Der Name für das dritte Geschlecht ist also nicht das Problem. Ihr, sowie Trans*- und Inter-Verbände, kritisieren den neuen Gesetzentwurf also aus anderen Gründen. Welche sind das?
Es wurde die historische Chance vertan, ein umfassendes Geschlechtervielfaltsgesetz zu schaffen, das nicht mehr in den 80er oder 90er Jahren festhängt, sondern zeitgemäß ist und umfassend alles in Bezug auf Geschlecht in dieser Gesellschaft neu regelt. Was wir kritisieren: Dieses Gesetz ist eine absolute Minimallösung und wird überhaupt nicht dem Bedarf der Betroffenen gerecht.
Was meinst du konkret damit?
Das Gesetz richtet sich ausschließlich an intergeschlechtliche Menschen, also Menschen die biologisch einen Körper haben, der nicht eindeutig weiblich oder männlich erscheint. Transmenschen, also Menschen, die eindeutig einem Geschlecht zugeordnet wurden, die sich aber trotzdem als nicht binär verstehen, sind von der Neuregelung ausgeschlossen. Obwohl sich auch Transgender nicht immer eindeutig als Mann oder Frau identifizieren. Außerdem braucht man einen medizinischen Nachweis, dass man inter ist, um sich als "divers" eintragen lassen zu können. Das ist auch nicht mehr zeitgemäß. Alle anderen Länder schaffen gerade die Gutachten ab - Deutschland schafft ein neues Gesetz, mit einer neuen Gutachtenpflicht.
Wenn Eltern ihr Kind als divers eintragen lassen wollen, dann müssen sie zu einem Arzt gehen, der ihnen bestätigt: Dieses Kind ist von seinen biologischen Merkmalen her weder eindeutig männlich noch eindeutig weiblich?
So, wie das Gesetz formuliert ist, haben Eltern überhaupt kein Mitspracherecht. Wenn das Kind geboren wird und der Arzt sagt, dieses Kind ist nicht eindeutig männlich oder weiblich, dann trägt der Arzt das Kind als "divers" ein. Eltern können nicht sagen: Wir wollen das nicht, unserem Kind soll zunächst einmal eines der binären Geschlechter zugeschrieben werden. Es gibt viele Gründe für Personen sich nicht als divers eintragen zu lassen. Zum einen, weil es viele Inter-Personen gibt, die sich als eindeutig männlich oder weiblich definieren. Aber auch, weil die gesellschaftliche Akzeptanz leider noch nicht so ist, dass man einfach so frei vor sich hinleben kann. Viele Inter-Menschen wollen sich auch weiterhin in einem dieser binären Geschlechter verstecken, obwohl es eigentlich für sie nicht passt.
Vermutlich können viele Menschen, die sich eindeutig mit einem Geschlecht identifizieren, die Situation von Inter-Menschen nur schwer nachvollziehen...
Vielleicht wird es greifbarer, wenn man sich vorstellt, es gäbe nur noch zwei Geschlechter - Mann und Divers. Die Kategorie Frau ist abgeschafft und man behauptet einfach, es gibt keine Frauen mehr. Man schafft auch alles ab, was es für Frauen gab und sie können sich jetzt entscheiden, sind sie männlich oder divers.
Viele intergeschlechtliche Kinder werden ja immer noch "eindeutig operiert". Soll das neue Gesetz daran etwas ändern?
Nein. Intergeschlechtliche Babys und Kleinkinder können weiter operiert werden ohne, dass sie zustimmen können und ohne, dass es eine medizinische Notwendigkeit gibt. Einfach nur, weil sie nicht in dieses Schema männlich oder weiblich passen. Es wird versucht, ihre äußeren und inneren Geschlechtsmerkmale operativ an die binären Geschlechter anzugleichen. Zum Beispiel wird eine Scheide operiert oder die Klitoris, wenn die zu lang erscheint, verkürzt oder es werden innenliegende Hoden entfernt.
Welche Folgen können denn solche OPs haben?
Sie ziehen eine jahrelange medizinische Behandlung nach sich, eine Behandlung mit Hormonen und meistens auch weitere Operationen. Und das, obwohl der Körper eigentlich gesund ist und das Ganze nicht notwendig gewesen wäre. Es ist für viele Betroffene auch hoch traumatisierend, weil sie es als Kind überhaupt nicht verstehen, was da mit ihnen gemacht wird.
Welche konkreten Folgen hat es denn, dass es bald "divers" neben den Geschlechtsbezeichnungen "weiblich" und "männlich" gibt?
Das ist ein weiterer Kritikpunkt. Im Gesetzentwurf stehen keine Folgeregelungen. Es ist nicht geregelt, was das konkret heißt. Was heißt das zum Beispiel im Sportunterricht, der nach Mädchen und Jungs getrennt ist. Wo machen denn Kinder Sport, die einen Geschlechtseintrag "divers" haben? Beim Sport haben Trans*- und Intermenschen oft das Problem, dass sie nicht mitmachen dürfen, weil sie nicht reinpassen. Wo gehen Menschen zur Toilette, die den Geschlechtseintrag "divers" haben. Was heißt das für Frauenquoten in Betriebsräten oder Aufsichtsräten. Die Bundesregierung sieht gerade nicht die Notwendigkeit, etwas zu regeln. Das bedeutet, dass Betroffene ihre Wünsche jedes Mal einzeln durchkämpfen müssen. Das ist sehr schade, zeitaufwendig und nervenaufreibend.
Sendung: Filter vom 17.08.2018 - ab 15 Uhr