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Eye Contact-Experiment Augen auf und durch

Einer fremden Person 15 Minuten lang in die Augen schauen, ohne ein Wort miteinander zu sprechen – genau das passiert bei Eye Contact-Meetings. Für unsere Autorin eine Horrorvorstellung, trotzdem hat sie das Experiment gewagt.

Von: Miriam Harner

Stand: 01.06.2018 | Archiv

Die Augen von PULS Autorin Miriam Harner | Bild: BR

Meine Eltern, enge Freunde und mein Optiker – die Liste der Menschen, denen ich länger als drei Sekunden in die Augen schauen kann, ohne knallrot anzulaufen, ist ziemlich schnell aufgezählt. Der Grund: Trotz einer Augen-OP mit fünf Jahren hab ich immer noch einen leichten Silberblick. Der fällt den meisten Leuten zwar meistens erst auf, wenn ich sie darauf hinweise, trotzdem werde ich das frühkindliche Trauma, ausgelöst durch die ein oder andere Hänselei, einfach nicht los. Call it my Achillesferse. Und deswegen ist das Experiment, das ich heute vorhabe, auch eigentlich kompletter Irrsinn.

Wovor es mir so graust ist das Eye Contact-Meeting. Bedeutet konkret: Ich gucke an diesem Abend nacheinander fünf wildfremden Personen straight in die Augen, jeweils für eine kleine Ewigkeit von 15 Minuten. Reden ist verboten, den Partner mit Grimassen absichtlich zum Lachen bringen auch. Es ist eine Übung, Nähe ganz ohne Worte zu erzeugen. Willkommen in meinem persönlichen Albtraum.

Ursprung der Übung: eine Kunst-Performance

Seit über zwei Jahren veranstalten die Organisatoren Marco van Bree und Anne Sophie Jörgensen regelmäßig Eye Contact Experiments in München. Sie finden wöchentlich jeden Freitag statt, immer in wechselnden Locations. Einmal im Monat gibt es ein großes Event, bei dem gut und gerne über 120 Leute zusammen kommen. Die Idee kam ihnen, nachdem Marco und Anne Sophie 2015 an "The World's Biggest Eye Contact Experiment" teilgenommen hatten, gleichzeitig mit rund 45 000 Menschen in über 90 Städten auf der ganzen Welt. Davor ist die Eye Contact-Übung durch eine Performance der Künstlerin Marina Abramovic bekannt geworden, die sich im Museum of Modern Art in New York 3 Monate Fremden gegenüber gesetzt und ihnen in die Augen geblickt hatte.

Von Weirdos keine Spur

Ich befürchte, vor allem auf Esos oder irgendwelche weirden Typen auf der Suche nach einer Freundin zu treffen. In dem hippen Café in der Münchner Kunstakademie erwartet mich jedoch die erste Überraschung: Von verzweifelten einsamen Herzen oder Menschen mit Traumfängern um den Hals keine Spur. Stattdessen wuseln nur um die 30 ganz normale Leute jeden Alters, Geschlechts und international bunt gemischt umher, auf der Suche nach ihrem ersten Augen-Kontakt-Partner. So ein bisschen wie früher beim Tanzkurs – darf ich bitten? Die Motivation der einzelnen Teilnehmer, beim Eye Contact mitzumachen, ist ganz unterschiedlich. Steffi, eine Frau in meinem Alter mit blitzblauen Augen und runder Hornbrille möchte herausfinden, ob sie mit ihrem Blick etwas bei anderen Menschen auslösen kann. Rashid, ein junger Inder aus der Tech-Szene, will sein Selbstbewusstsein pushen. Und Chris, ein blonder Hüne und mein erster Augenkontaktpartner heute, ist gerade frisch aus Stuttgart hergezogen und hofft, hier neue Leute kennenzulernen.

"During the eye contact you will notice different things can happen. You can have thoughts, emotions, feelings and whatever. Regardless of what happens just let it be. If you have to laugh, just laugh, if you have to cry, just cry."

- Eye Contact München-Organisation Marco van Bree

Bei diesen Worten von Eye Contact München-Organisator Marco van Bree rutschen Chris und ich etwas nervös auf unseren Holzstühlen hin und her. Er ist wie ich ein Frischling in der Eye Contact-Welt. Und hier vor versammelter Mannschaft losheulen, das fehlt gerade noch.

Dann fällt der Startschuss und es passiert …

… tatsächlich nichts Schlimmes. Klar, die ersten paar Minuten bin ich krass unsicher. Schiele ich vielleicht wieder? Was denkt er, was ich denke? Chris und ich blinzeln beide verdächtig oft und ein Kichern können wir uns zu Beginn auch nicht verkneifen. Schon komisch, obwohl er gar nicht mein Typ ist und wir auch nicht miteinander flirten, fühlt es sich ein bisschen an, als hätten wir gerade ein Date.

Logisch, derartig intensiven Blickkontakt halte ich nämlich normalerweise nur mit Männern und Frauen, bei denen ich Lust auf mehr hätte. Aber nach kurzer Zeit stoppt das Gedankenkarussell und ich entspanne mich. Dadurch, dass ich mich so extrem auf seine Augen fokussiere, verschwimmt der Rest von Chris' Gesicht, mein Kopf fühlt sich plötzlich ganz frei an, wie durchgepustet und alles, was ich noch entfernt wahrnehme, sind die zwitschernden Vögel in den Bäumen vor dem Café. Am Ende bin ich so in mir selbst und meiner Meditation versunken, dass ich glatt vergessen habe, dass ich gerade einem völlig fremden Kerl in die Augen starre.

Als mich Eye Contact-Organisator Marco von Bree nach einer viertel Stunde mit "That’s it, das wär's!" aus meiner Tiefenentspannung reißt, bin fast schon enttäuscht, wie schnell 15 Minuten vergehen können. Das tat gut. Ich bin neugierig: Was hat Chris bei unserem intensiven Augenkontakt gespürt?

"Ich finde, wenn man sich so in die Augen schaut und man eigentlich gar nix voneinander weiß, baut das trotzdem so eine Vertrautheit auf."

- Chris

Näher gekommen bin ich vor allem mir selbst

Zugegeben: Diese besondere Nähe habe ich zu keinem meiner Eye Contact-Partner an diesem Abend gespürt – nach Chris waren es noch drei weitere Männer und eine Frau. Heulen musste auch niemand. Nach dem zweistündigen Treffen bin ich vor allem ganz schön platt. Über so lange Zeit Augenkontakt zu halten fordert nämlich vor allem verdammt viel Konzentration. So cheesy es klingt: Wem ich bei diesem Experiment tatsächlich näher gekommen bin, ist mir selbst. Ich habe mir nämlich selbst die Angst vor Blickkontakt mit Fremden genommen. Mein Silberblick ist niemandem aufgefallen. Ganz im Gegenteil habe ich von einer meiner Augenkontakt-Partnerinnen ein Kompliment für meine "goldenen Bambi-Augen" geerntet. Ich habe beim Eye Contact meine persönliche Hemmschwelle überschritten und das sogar so sehr genossen, dass ich definitiv wieder zu einem Treffen gehen werde. Aber diesmal rein privat.

Sendung: Filter, 01.06.2018 - ab 15 Uhr