"Generation Drinni" Was mit unserem Körper passiert, wenn wir kaum noch raus gehen
Stubenhocker, Drinnis, Generation Inside. Egal, wie man es nennt: wir verbringen zu viel Zeit drinnen. Chronobiologin Eva Winnebeck erklärt, was das mit unserem Körper macht und wie wir die innere Uhr wieder in den Griff bekommen.
Während wir als Kind immer noch von den Eltern zum Spielen nach draußen geschickt wurden und (gefühlt) den halben Tag an der frischen Luft verbracht haben, kommt für viele der krasse Wandel spätestens zu Beginn des Arbeits- oder Studenten-Lebens - wenn man plötzlich nur noch draußen ist, um von A nach B zu kommen. Eine neue Studie zeigt, dass wir inzwischen über 90% unseres Tages drinnen verbringen. Aber was macht das mit unserem Körper? Darüber haben wir mit Eva Winnebeck gesprochen. Sie ist Chronobiologin aus München und beschäftigt sich unter anderem mit dem Biorhythmus und unserer inneren Uhr.
PULS: Was passiert mit unserem Körper und unserer inneren Uhr, wenn wir zu lang drinnen sind?
Eva Winnebeck: Unsere innere Tagesuhr braucht Licht, um sich mit dem Tag zu synchronisieren. Damit die Uhr weiß, wie spät es draußen gerade ist. Jeder kennt das vom Jetlag: Wenn wir in eine andere Zeitzone fliegen, brauchen wir ein Weilchen, um uns anzupassen. Das passiert über das Tageslicht draußen. Das ist am hellsten, kompetentesten und effektivsten, um die innere Uhr einzustellen. Wenn wir dauernd drinnen sind, bekommt die innere Uhr viel weniger und schwächere Informationen - zusätzlich schalten wir auch noch das Licht drinnen an, wenn es draußen dunkel ist. Damit gaukeln wir der inneren Uhr ganz andere Uhrzeiten vor.
Woran merke ich, dass ich häufiger rausgehen sollte?
Ganz klar, wenn man abends nicht einschlafen kann und morgens nicht mehr aus den Federn kommt. Das ist eigentlich das beste Anzeichen. Die innere Uhr wird tendenziell später gestellt, je weniger stark der Unterschied zwischen Tag und Nacht ist. Das heißt, man kann später einschlafen und braucht morgens ziemlich viele Wecker oder Snooze Buttons, um aus den Federn zu kommen.
Wieviel Zeit sollte man am Tag draußen verbringen, um seinen Biorhythmus nicht durcheinander zu bringen?
Da gibt es keinen Richtwert - so viel wie möglich! Aber es zählt nicht nur die Länge, sondern auch, wann man rausgeht. Die Uhr ist nicht zu jeder Tageszeit gleich empfindlich und reagiert auch nicht in die gleiche Richtung. Macht ja auch Sinn: Wenn man abends noch Licht bekommt, wird die innere Uhr nach hinten gestellt, weil es ja "noch" Tag ist. Wenn man morgens Licht bekommt, wird die Uhr vorgestellt, weil es "schon" Tag ist. Sie wird also zu verschiedenen Zeiten in verschiedene Richtungen gestellt. Das heißt, wenn man tendenziell eher das Problem hat, dass man abends nicht einschlafen kann, sollte man möglichst das Abendlicht meiden und vor allem morgens rausgehen. In unserer Gesellschaft, wo wir sehr viel drinnen sind, brauchen die meisten von uns eigentlich eher Morgenlicht. Also morgens rausgehen, zu Fuß in die Arbeit oder Schule, wandern gehen am Wochenende und so weiter. Durch Morgenlicht wird die Uhr nach vorne gestellt.
Viele kommen, außer auf dem Weg zur Arbeit oder Uni, kaum nach draußen. Gibt es Tricks, mit denen man dem Körper vorgaukeln kann, dass man draußen ist?
Man sagt ja immer, wir sollten das Licht in unsere Gebäude holen, also viel mit Glas bauen, nah am Fenster sitzen, Licht anschalten… Das hat natürlich schon eine Wirkung auf die innere Uhr. Die Lichtstärke entspricht aber nicht viel mehr als dem, was wir abends kriegen, wenn es draußen eigentlich schon dunkel ist. Das heißt, wir gaukeln der inneren Uhr damit einen sehr langen, nicht sehr intensiven Tag vor. Die Lichtstärke von draußen kann man nur sehr schwer in Innenräumen produzieren, sie fühlt sich auch nicht sehr angenehm an. Wenn man in einem sehr hell erleuchteten Fotostudio ist, will man am liebsten die Augen zusammenkneifen. Draußen merken wir gar nicht, wie hell es ist, aber drinnen zucken wir bei den gleichen Helligkeiten zusammen und würden am liebsten eine Sonnenbrille aufsetzen.
Was passiert, wenn man permanent "gegen die Uhr lebt", also nicht dem natürlichen Rhythmus folgt?
Das merkt man zum Beispiel schon an den unterschiedlichen Schlafzeiten am Wochenende und unter der Woche. An Wochenenden geht man viel später schlafen, als unter der Woche. Das nennen wir auch Social Jetlag, weil man eigentlich in zwei Zeitzonen lebt: in der Wochenend-Zeitzone und in der Wochen-Zeitzone. Und das hat sehr wahrscheinlich viele negative Konsequenzen für die Gesundheit. Es führt dazu, dass man eventuell Diabetes kriegen kann oder fettleibig wird.
Wie kann ich meinem Körper denn was Gutes tun?
Super ist, wenn man beispielsweise im Urlaub möglichst viel draußen ist und wenig künstliches Licht abbekommt. Schwimmen, Segeln oder am Strand liegen ist perfekt. Oder Campen! Man kriegt sehr viel Licht am Tag und sehr wenig in der Nacht. Das ist gut, um seinen inneren Rhythmus wieder an die Tageszeit anzupassen. Auch ein Festival draußen ist super.
Sendung: Filter, 28.05.2018 - ab 15.00 Uhr