Moritz Pfeiffer über seine Familiengeschichte "Ich verurteile meinen Opa nicht"
Moritz hat seinen Großvater nach seinen Erfahrungen der NS-Zeit befragt. Die Erzählungen hat er mit Dokumenten und historischen Fakten verglichen - und dann feststellen müssen, dass sein Opa eine eigene Version der Dinge hatte.
Moritz Pfeiffers Großvater wurde 1921 geboren und hat Anfang der 40er Jahre in der Sowjetunion gekämpft. Sein Enkel Moritz wollte die Erinnerungen bewahren und ließ deshalb seinen Großvater erzählen. Zu dieser Zeit war Moritz Student, angehender Historiker. Alles, was ihm sein Opa berichtete, schrieb er auf.
Erst etwas später fing er an, die Erzählungen zu analysieren und mit Tagebüchern und wissenschaftlichen Erkenntnissen zu vergleichen. Aus diesen Gesprächen und der anschließenden Untersuchung entstand zuerst seine Magisterarbeit an der Uni Freiburg, die dann als Buch erschienen ist: "Mein Großvater im Krieg 1939 - 1945. Erinnerung und Fakten im Vergleich."
PULS: War dein Opa ein Nazi?
Moritz Pfeiffer: Nein, das kann man nicht sagen. Er war weder Parteimitglied, noch hätte er sich so gesehen. Mein Großvater ist ein gutes Beispiel dafür, wie die konservativen Eliten und das Militär sich auf den Nationalsozialisten eingelassen haben.
Bei deinen Gesprächen hast du versucht, seine ganze Lebensgeschichte zu rekonstruieren Was hat er denn in der Zeit des Nationalsozialismus gemacht?
Mein Großvater ist in einem konservativen Elternhaus aufgewachsen, militaristisch geprägt. Er in den NS-Jugendorganisationen sozialisiert worden und hat dort als ranghoher Führer auf lokaler Ebene Verantwortung übernommen. Dann hat er eine Karrier in der Wehrmacht angestrebt. Er hat sich aber selbst eine gewisse Distanz zu den Parteibonzen attestiert. Den traditionellen Werten und Idealen der Wehrmacht sah er sich eher verbunden als denen des Nationalsozialismus. Da sind die Übergänge allerdings fließend. In Briefen hat er schon positiv vom Führer geschrieben.
Wie bist du bei deinen Gesprächen vorgegangen?
Ich habe zunächst ein Zeitzeugeninterview mit ihm geführt. Da hat er alles erzählt, wie er es wollte. Das war eine Version der Dinge, die er sich zurecht gelegt hat. Der zweite Schritt war, das mit zeitgenössischen Quellen von ihm abzugleichen: Briefen, Tagebüchern, Personalakten. Und dem Forschungsstand der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung. Da haben sich einige Abweichungen ergeben.
War das wichtig für dich?
Ich habe ihn deshalb nicht verurteilt. Das war in vielerlei Hinsicht naheliegend und schlüssig, dass er sich eine Version zurecht legt, um mit dem Erlebten umgehen zu können. Das bezog sich vor allem auf konkrete traumatische Kriegserlebnisse. Aber es bezog sich eben auch auf unangenehme Erinnerungen, die er von sich geschoben hat. Das Wissen um eigene Verstrickungen im Nationalsozialismus und Verbrechen.
Welche Verbrechen?
Naja. Er war Teil der Wehrmacht und Teil jener Truppen, die in der Sowjetunion dafür gesorgt haben, dass die Haupttäter der SS und anderen Einheiten überhaupt auf ihre Opfer getroffen sind. Hätte es die Wehrmacht nicht gegeben, die die Gebiete erobert hat, wären dort die Juden nicht erschossen worden.
Wie war es beim Thema Holocaust? Wie seid ihr damit umgegangen?
Das war interessant, denn er hatte vier Versionen. Die erste war ganz reflexhaft: wir haben von nichts gewusst. Dann habe ich nachgefragt, ob es nicht Gerüchte gegeben hätte. Darauf hat er geantwortet, dass es schon welche gegeben hätte. Und dann im dritten Schritt wusste er verschiedene Details, im vierten hat er gesagt: Ja, die Juden sind rigoros ausgerottet worden.
Was hast du daraus geschlossen?
Ich glaube, dass das für diese Generation sehr schwer ist. Und dass der Versuch, sich eine Version zurecht zu legen, helfen soll, mit Schuld und Verstrickungen umzugehen. Weil man Teil dieses Staates gewesen ist. Man kann nicht leugnen, dass die Verbrechen geschehen sind - und es stimmt auch nicht, dass man davon nichts gewusst hat. Insofern ist es schwer, sich einzugestehen, dass man doch mehr wusste und doch etwas anderes hätte machen können.
Inwieweit ist die Schuldfrage ein Teil unserer Realität?
Mit dem Begriff Schuld tue ich mich schwer. Ich bin der Meinung, dass die nachfolgende Generation an dem, was passiert ist, keine Schuld haben tragen. Anders ist es mit Fehlentwicklungen der heutigen Zeit, gegen die wir nicht vorgehen. Wie zum Beispiel, dass im Mittelmeer Tag für Tag Leute ertrinken. Das ist eine klare Schuld. Das sind Tatsachen und wir wissen davon. Ich erkenne jetzt keine wirklichen Anstrengungen, auch bei mir selbst nicht, etwas dagegen zu tun. Und wenn mein Enkel mich irgendwann fragt: Ihr wusstet doch alle davon, wieso habt ihr nichts getan? Dann werde ich auch sagen müssen: Ja, stimmt. Das war uns offenbar nicht so wichtig.
Andererseits glaube ich schon, dass wir eine gewisse Verantwortung dafür haben, dass sich solche Ereignisse nicht wiederholen. Die Unterscheidung von Schuld und Verantwortung wird meiner Meinung nach zu selten gemacht.
Ich denke, wir müssen diese Zeit historisieren. Das ist ein Teil unserer Geschichte, wir müssen uns damit auseinandersetzen, wir müssen über die groben Tatsachen informiert sein - und unsere Schlüsse daraus ziehen. Aber wir müssen uns nicht wie besessen daran abarbeiten.
Gibt es Fragen, die du deinem Opa nicht gestellt hast?
Ich habe manche Fragen angerissen - und wenn ich gemerkt habe, dass die emotionale Belastung zu groß ist, habe ich nicht verlangt, dass er sie beantwortet. Das waren zum Beispiel Fragen zu seinem Bruder, der bei der Waffen-SS war. Das war sehr schwer für ihn. Meine Erkenntnis in dem Fall war: er möchte darüber nicht reden.
Hat das dein Bild von deinem Opa verändert?
Mir war vorher klar - und das hat sich nicht geändert - dass ich ihn liebe und nicht anklagen wollte. Darum ging es mir nie.
Konntest du das denn so trennen? Einerseits ist da dein Großvater und andererseits die Person, die da in der Wehrmacht war?
Ich würde nicht sagen, dass ich das getrennt betrachte. Das war schon mein Opa, der da in der Wehrmacht war. Und das war er, der als Offizier in Russland an dem Vernichtungskrieg teilgenommen hat. Man macht es sich zu leicht, wenn man das trennt. Die Person ist ja die gleiche. Viel eher muss man verstehen, wie sich eine Person, die man so gern hat, sich so verhalten kann.