Kommentar zu "Ja heißt Ja" Passivität ist kein Einverständnis mehr

In Schweden gilt jetzt: "Ja heißt Ja". Wer also vor dem Sex nicht eindeutig sicherstellt, dass der andere auch will, macht sich strafbar. Unsere Autorin findet: Das sollte auch in Deutschland gelten.

Von: Linda Becker

Stand: 02.07.2018 | Archiv

Graphik | Bild: BR

In Deutschland gilt nach der Reform des Sexualstrafrechts: Nein heißt Nein. Wer Nein sagt, meint das auch und will keinen Sex. Hier macht sich also jeder strafbar, der einer Person gegen ihren "erkennbaren Willen" sexuelle Handlungen aufzwingt. Aber was ist, wenn man Sex über sich ergehen lässt, weil man zu unsicher ist, um klar "Nein" zu sagen? Dann ist gar nichts, dann hat man leider versäumt, sich zu äußern.

In Schweden gilt deshalb jetzt ein Gesetz, das gewollten von ungewolltem Sex noch klarer abgrenzen soll. Denn es soll gelten: Ja heißt Ja. Man muss also aktiv vor dem Sex sicherstellen, dass der andere auch Sex will. Genau heißt es "If a person has not agreed in words or by their clear actions that they are willing to engage in sexual activity, then forcing or coercing them into a sexual act will be illegal."

Im Unterschied zur bisherigen Gesetzgebung ist jetzt jede sexuelle Handlung strafbar, die nicht im aktiven gegenseitigen Einverständnis passiert ist - es gehe vor allem darum, Passivität nicht länger als "stilles Einverständnis" interpretieren zu können.

Wann ist ein Ja ein Ja?

Als der Gesetzesentwurf Ende letzten Jahres von der Regierung vorgeschlagen wurde, brach auch in den deutschen Medien Panik aus. Deutsche Journalisten fragen sich: Wann ist ein Ja ein Ja? und im Netz machte sich Unsicherheit breit. Einfache Semantik schien wertlos.


In den Kommentaren geht es seitdem vor allem um diese Fragen:

  • Kann man nicht einfach mal irgendetwas ohne deutliche Zustimmung machen?
  • Antwort: Nee, kann man nicht.
  • Kann man nicht mal aufhören, über sexuelle Gewalt zu diskutieren?
  • Antwort: Nee, kann man auch nicht.
  • Warum muss man jetzt vor dem Sex ausdrücklich Zustimmung sicherstellen? Super kompliziert, voll unsexy.
  • Antwort: Weil es richtig ist. Die Frage ist doch eher, warum man davon ausgeht, man müsse Zustimmung nicht sicherstellen?
  • Aber woher weiß man jetzt genau, wann ein Ja ein Ja ist?
  • Antwort: Man weiß es, wenn man ein "Ja" bekommt. Das ist eine Scheindiskussion, um es sich so einfach wie möglich zu machen.
  • Und was ist, wenn man vorher "Nein" gesagt hat und dann später doch Sex will?
  • Antwort: Dann sagt man "Jetzt will ich doch."

Na gut, aber zerstört das nicht die Lust, die Leidenschaft und diese ganz krasse Kerzenromantik, die beim Sex immer gegeben ist? Ich bin mir ja sicher, dass ich selbst bei einem Quicky auf dem Klo noch heiß wäre, wenn der Typ kurz fragt: "Alles gut? Haste Bock?" Es ist ja nicht so, als müsse man stundenlang palavern, was jetzt Phase ist oder es schriftlich festhalten. Ich verstehe die Aufregung nicht. Und ehrlich gesagt, finde ich die diffuse Problematik, die da aufgemacht wurde, richtig zum Kotzen.

Regt man sich ernsthaft drüber auf, dass man Zustimmung sicherstellen muss? Schweden sagt mit diesem Gesetz nur: Vergewaltigung ist Sex ohne Einverständnis. Und das ist faktisch richtig.

Ja heißt Ja sendet die einzig richtige Message

Das Gesetz ändert vorallem etwas an der Einstellung gegenüber Sexualität. Es zeigt, was Einvernehmen eigentlich bedeutet. Ab sofort wird nicht mehr davon ausgegangen, dass Sex gewollt wird bis einer Nein sagt, sondern das Sex erst dann gewollt ist, wenn beide Ja sagen oder das durch eindeutige Handlungen klar machen. Das ist nicht komplizierter, sondern stellt nur eine bis dato seltsame Einstellung zu Sex richtig.

Kommt es zum Vergewaltigungsvorwurf, steht am Ende auch in Schweden weiterhin die Aussage des Beschuldigten gegen die Aussage des Opfers. Aber das war schon immer so. Die Beweislast liegt weiterhin beim Kläger. Die Unschuldsvermutung und die Beweisführung stehen auch in Schweden weiterhin an erster Stelle.

Aber: Ab jetzt macht sich in Schweden strafbar, wer Sex hat, ohne vorher das ausdrückliche Einverständnis des Anderen zu bekommen. Auch "unachtsame Vergewaltigung" und "unachtsamer sexueller Übergriff" gelten jetzt als neue Strafbestände. Ich finde das gut - Achtsamkeit beim Sex schadet nämlich gar nichts.

Ja heißt Ja schützt unsichere Menschen

Betroffene sexueller Gewalt trauen sich häufig nicht, Täter anzuzeigen. Manchmal haben sie Angst vor Stigmatisierung, manchmal sind sie aber auch einfach unsicher, was da gerade passiert ist. Hätten sie sich stärker wehren sollen? Haben sie überhaupt richtig Nein gesagt?

Aus meiner Sicht kann "Ja heißt Ja" etwas ganz Entscheidendes in den Köpfen ändern - auch in den Köpfen der Täter: Wer sichergehen muss, dass der Sex auf Gegenseitigkeit beruht, lässt in der Situation selbst viel weniger Interpretationsspielraum zu. Es ist zwar ungemütlich zwei Mal darüber nachdenken zu müssen, ob man gerade schon zu Sex überredet oder nur flirtet. Dennoch: Die neue Regelung schützt Menschen, die nicht selbstbewusst genug sind, um klar Nein zu sagen. Ich würde mir so ein Gesetz auch für Deutschland wünschen.

Sendung: Freundeskreis, 24. Mai 2018 - ab 10 Uhr