Kreativ gegen den Mietenwahnsinn Ein Aktionskünstler hat einfach ein Penthouse aufgestellt und wohnt darin

In München steht eine neue Penthousewohnung im Zentrum der Stadt. Die ist mit ihren 3,6 qm allerdings mehr Kunst- als Kaufobjekt. Ihr Bewohner will damit auf die aktuelle Wohnraumproblematik aufmerksam machen.

Von: Maria Christoph

Stand: 17.06.2020 | Archiv

Guerilla Aktion "Penthaus a la Parasit" in München | Bild: Jakob Wirths

Um Jakob Wirths neue Residenz zu erreichen, muss man schwindelfrei sein. Über den Dächern der Stadt, noch über der obersten Etage eines Parkdecks in der Münchner Innenstadt, hat der 28-jährige Aktionskünstler sein temporäres Zuhause fast schon fürstlich eingerichtet: Mit goldenem Kerzenständer, gepolstertem Sitzhocker und gasbetriebenen Herd gegenüber vom Schreibtisch. Auf Augenhöhe mit dem Landtag und der Marienkirche liegen die Gäste des fünf Sterne Mandarin Oriental Hotels ihm buchstäblich zu Füßen. 360 Grad freie Sicht. Wäre dies wirklich eine Penthouse-Wohnung, sie wäre unbezahlbar – keine Frage.

Was sie davon unterscheidet? Nun ja, sie existiert genau genommen gar nicht, sondern ist Kunst und Kritik zugleich. Sein verspiegeltes Penthäuschen nennt Jakob Wirth "Parasit". Wie ein Bandwurm oder Floh, eine Art Schmarotzer, der sich von einem anderen Organismus, dem sogenannten Wirt, ernährt und trotzdem dessen System irritiert, zerstört oder verändert. Ähnlich suchte sich auch der Künstler für sein Haus eine Nische in exklusivster Lage, unangemeldet, ohne Genehmigung. Denn er will mit dem "Penthouse à la Parasit" stören, das bekannte Stadtbild irritieren, Machtverhältnisse umkehren und sich der "Verdrängungslogik des Wohnungsmarktes" widersetzen, sagt er. Bis er selbst verdrängt wird und weiterziehen muss. 

Das könnte Ende Juni der Fall sein. Bis dahin duldet ihn der Eigentümer des Parkdecks noch auf seinen 3,6 Quadratmetern – Wirth und sein Künstlerkollege übernehmen die volle Verantwortung. Auch die Stadt habe den Parasiten mittlerweile bemerkt und zeige sich bis dahin kooperativ. "Im Kleinen hat damit der Widerstand geklappt", sagt er. Mit seiner Guerilla-Aktion schafft das Künstlerduo Raum für Debatten über den Münchner Mietenwahnsinn. Vor allem in Zeiten der Covid-19 Pandemie, durch die für einige Mieter*innen ihre Wohnungen aufgrund von Kurzarbeit oder Jobverlust möglicherweise erst recht unbezahlbar wurden.

Wir sind auf schwindelerregende Höhen geklettert und haben ihn gefragt: Was genau steckt hinter der Aktion und was erhofft er sich damit?

PULS: Jakob, hast du schon einmal auf so engem Raum für längere Zeit gelebt?

Jakob Wirth: So eng wie hier noch nie. Bis auf Berlin, wo ich schon einmal für zwei Monate in dem Haus gewohnt habe, weil ich selbst keine Wohnung hatte. Die Aktion mit dem ersten "Penthaus à la Parasit" war damals auch die Antwort darauf: Mir selbst Wohnraum zu schaffen.

So ist also die Idee entstanden...

Ja, als ich nach Berlin gezogen bin, habe ich ziemlich schnell gemerkt: Okay, Berlin ist auch nicht mehr der Ort, wo Wohnraum günstig auf der Straße rumliegt. Und dann war die Frage, wo es noch Freiräume, wo es noch günstigen Raum gibt, den man nutzen kann? Dann fiel der Blick auf die Dächer und ich hab gesehen: Okay, da gibt es noch Spielraum. In München soll außerdem thematisiert werden: Wie haben Leute in der Quarantäne gelebt? Jeder hat, glaube ich, die Erfahrung gemacht, wie wichtig plötzlich Wohnraum ist und wie ungleich er verteilt ist. Ich wollte herausfinden, wie man auf 3,6 Quadratmetern eine Quarantäne verbringen kann - und habe mich selbst in eine begeben, da ich gerade erst aus dem Ausland zurückkam.

Was ich gerade erlebe ist die schöne Dialektik zwischen Prekarität und Privileg: man ist einerseits hier oben, hat den Ausblick und die gleiche Position wie im Penthaus, gleichzeitig ist meine Lage aber prekär. Denn ich weiß nie, wie lange ich hier bleiben kann. Jeden Tag kann die Ordnungsmacht zurückkommen. Und es ist natürlich nur ein kleiner Wohnraum mit passabler Infrastruktur. Und: Ja, ich dachte im Juni brauch ich keine Heizung. Die paar Kerzen und der Gaskocher erhitzen auch so den kleinen Raum. Bei dem schlechtem Wetter merkt man aber schnell, das 3,6 Quadratmeter echt nicht viel sind. Ich musste ja während meiner Selbstquarantäne 24 Stunden am Tag hier sein.

Also ist das, was du hier machst, nicht ganz legal, oder?

Der Parasit lebt davon, dass er Nischen entdeckt und sie bewohnt, ohne dass irgendjemand davon weiß. Auch hier in München kamen wir einfach auf das Dach, haben das Häuschen aufgebaut und dann im Nachhinein, als entdeckt wurde, dass wir hier oben stehen, mussten wir mit der Stadt in Kontakt kommen.

Wir kamen hier an, mit Latzhosen, Warnwesten, hatten Klettergurte und Visitenkarten, mit dem Namen des Projekts dabei. Den Sicherheitsleuten haben wir erzählt, es handelt sich um eine Kunstaktion, dabei geht es um die Themen Wohnraum und bezahlbare Mieten. Irgendwann wurde denen dann auch auf der Manager-Ebene klar, dass wir das Penthaus hier oben ohne Genehmigung aufgebaut haben.

Natürlich ist bei Aktionen, die mit den Grenzen spielen, was erlaubt ist und was nicht, diese psychische Anspannung und diese Unsicherheit das, was am Kräftezehrendsten ist. Viel mehr als irgendwelche Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken oder auf engstem Raum leben. 

Was wollt ihr mit der Aktion jetzt erreichen, kann denn so ein Häuschen auch eine Lösung für die Wohnraumproblematik sein? Es kann nicht jeder, der keine Wohnung hat, illegal ein Penthäuschen auf dem Dach aufstellen, oder?

Natürlich geht’s uns hier darum, die Wohnraumproblematik visuell darzustellen und einfach klar zu machen: Wer ist im Zentrum, wer in der Peripherie? Wer wird verdrängt? Wir wollen hiermit einen Ort symbolisch zurückerobern, also das Oben, was eigentlich ja vielen Leuten nicht wirklich zugänglich ist, und noch dazu im Zentrum, diesen Ort zu besetzen und zu "reclaimen". Und dadurch auch auf brachliegende Flächen, wie ungenutzte Dächer, aufmerksam zu machen und sich zu fragen: Wie könnte man die noch anders nutzen? Aber anders als bei einem Teil der Tiny-House-Bewegung, sagen wir nicht: Das hier ist die Lösung, einfach Wohnstandards nach unten setzen.

Hier steht die Symbolik und die Message im Vordergrund. Die Selbstermächtigung, also auch einfach mal zu sagen: Wir müssen mal anfangen, einfach loslegen und aktiv werden. Für das Recht auf Stadt eintreten und nicht warten, bis neue Regeln oder Verordnungen von der Politik veranlasst werden.

Würdest du dein Penthaus hier oben mit einer Besetzung gleichsetzen? 

Besetzungen haben ja auch ein politisches Anliegen, wollen auf etwas aufmerksam machen. Und in dem Punkt würde ich sagen, gleicht es einer Besetzung. Aber uns ist auch wichtig, dass wir keine ganz klare Message setzen. Wir wollen mit der Aktion Bilder schaffen, die Imagination erzeugen. Wir wollen erreichen, dass Leute, die hier hochkommen, eigene Interpretation und Gedanken dazu entwickeln. Und das grenzt das Penthaus von einer klassischen Besetzung ab – obwohl ich Besetzungen als politisches Tool auch sehr unterstütze. Sie können wichtig sein, um zu zeigen, wo eine Grenze liegt und wo eine Entwicklung nicht gut läuft.

Und dass eine Entwicklung nicht gut läuft, habt ihr auch in der Nutzung dieser Fläche entdeckt…

Genau. Die Fläche, auf der das Parkhaus steht, war ein öffentliches Gelände, also hat es der Stadt München gehört, wurde dann aber veräußert, also höchstbietend verkauft, und dementsprechend wird nun auch höchst Gewinn maximierend entwickelt. Das heißt konkret: Hier entstehen im Herbst Eigentumswohnungen und 19 Luxus-Penthäuser. Auch Gewerbe und manche ganz coole Sachen. Aber auf jeden Fall ist es kein Ort, der für die allermeisten Münchner*innen zugänglich sein wird. Dabei hätte es die Möglichkeit gegeben. Die Aktion will deswegen dahin zeigen und sagen: Es sollte nicht mehr der Preis darüber bestimmen, wer Zugang hat oder welche Flächen wie entwickelt werden, es sollte andere, gemeinwohlorientierte Kriterien geben.

Also ist das jetzt Kunst oder Aktivismus?

Ich bin Künstler. An einem Ort, wie diesem Parkhaus, so etwas aufzustellen, und damit eine Irritation zu erzeugen, ist für mich der künstlerische Moment, der in der Aktion liegt. Die Aktion spielt mit Fiktion und Realität: Lebt hier oben jetzt wirklich jemand oder nicht? Geht’s jetzt um Wohnraum oder nicht? Ist es jetzt eine Lösung für das Problem oder nicht? Ist es legal oder illegal? Ist es Kunst oder Aktivismus?

Die Aktion "Penthaus à la Parasit" schwingt auf dieser Grenze. Es befindet sich eben dazwischen und macht dadurch die Grenze sichtbar. In dem Moment, in dem das Penthouse hier oben ist, wird auch dieser Ort sichtbar. Und wird so Teil des Diskurses. Ist das einmal geschafft, muss es weiterziehen, neue Nischen finden. Und auch ich muss als Künstler immer wieder die Position einnehmen und auf dieser Schwelle sitzen. Und wenn sie gefunden wurde, weiterziehen.

Sendung: PULS am 17. Juni 2020 - ab 15.00 Uhr