Meinung zur Sperrstunden-Diskussion Warum die Debatte ums Würzburger Nachtleben völlig unnötig war
Nach monatelangem Hin und Her steht jetzt fest: Die Sperrzeiten in Würzburg werden nicht verlängert. Trotzdem stellt sich die Frage: Warum wollten Stadt und Politik überhaupt so massiv ins Nachtleben eingreifen?
Passau, Bamberg, Deggendorf: Zahlreiche Städte in Bayern leiden unter verlängerten Sperrzeiten. Würzburg darf sein Nachtleben zwar jetzt behalten, der Weg dahin war aber alles andere als vorbildlich. Dabei hätte Würzburg ein Positivbeispiel in Sachen Sperrstunden werden können.
Dass Sperrstunden keine probate Lösung gegen Kriminalität und Lärmbelästigung sind, sondern die Situation sogar noch verschlimmern können, sollte mittlerweile eigentlich angekommen sein. Eine Langzeitstudie der Uni Bamberg hat das bereits 2018 untermauert. Konstruktive Zusammenarbeit und ein offener Dialog zwischen Stadt und Gastronomie erscheinen da viel vernünftiger. Nach Monaten der Streitereien macht Würzburg auch endlich genau das.
"Ich bin froh und ein bisschen überrascht, wie zahlreich wir mobilisieren konnten. Wenn ich überlege, welches Potenzial die gebündelten Kräfte für den Erhalt der hiesigen Nachtkultur bereithalten, lässt mich das optimistisch in die Zukunft schauen: Würzburg hat dann nicht nur ein nächtliches Angebot auf dem Niveau deutlich größerer Städte, sondern auch ein entsprechendes Bewusstsein und Wertschätzung dafür"
. Tilman Horsinka, Pressesprecher der Initiative #NACHTFÜRALLE. Verlängerte Sperrzeiten verhindern.
Die Mehrheit aller im Würzburger Stadtrat sitzenden Fraktionen hat sich gegen die Option verlängerter Sperrzeiten für die Zukunft ausgesprochen, sollte es zu einer Abstimmung kommen. Zwar besteht in Würzburg jetzt ein direkter Draht zwischen Nachtleben und Politik - was nach vorbildlicher Zusammenarbeit klingt, hat aber eine Demonstration, die Gründung einer Initiative gegen verlängerte Sperrstunden, das Sammeln von über 10.000 Unterschriften und zahlreiche Berichte und Negativ-Kommentare aus der Lokalpresse benötigt. Dinge, die andere Städte in Zukunft vermeiden sollten.
Die absurde Story hinter dem Kompromiss
Obwohl Würzburgs Nachtleben gefühlt stärker aus der monatelangen Debatte hervorgegangen ist, hatte die Politik zuvor erstmal gezeigt, wie man es nicht machen sollte: Mitglieder der CSU reichten zunächst einen Antrag ein, Erfahrungsberichte von Städten mit einer verlängerten Sperrzeitenregelung einzuholen. Diesem wurde am 16.01.2019 mehrheitlich zugestimmt. Erst durch einen Artikel der Main-Post wurde das Thema allerdings überhaupt bekannt. Die Gastronomie versuchte - als potenziell Betroffene - zunächst den offiziellen Weg zu gehen, um herauszufinden, ob mit verlängerten Sperrzeiten zu rechnen sei.
"Der Kontakt mit den einzelnen Protagonisten war zunächst sehr zäh und äußerst einseitig, schriftliche Anfragen wurden teils, auch mehrfach und von verschiedenen Personen gestellt, nicht beantwortet."
Tilman Horsinka, Pressesprecher der Initiative #NACHTFÜRALLE.
Nachdem keine zeitnahe Lösung zwischen Stadt und Gastronomie abzusehen war, gründete sich die Initiative #NACHTFÜRALLE, die eine Petition online stellte und Mitglieder des Gastronomiebetriebs sowie die studentische Szene mobilisierte. Höhepunkt war eine Demo am 30. März. Erst auf diesen öffentlichen Druck hin, meldete sich die Stadt Würzburg erstmals in einer Pressemitteilung zu Wort. In dieser bezeichnete CSU Kommunal- und Umweltreferent Wolfgang Kleiner neue Sperrzeiten als "Ultima Ratio", kündigte Maßnahmen zur Problembewältigung an und rief eine Probezeit für die Gastro-Szene aus, ohne Beginn und Ende zu nennen, geschweige denn Kriterien, nach denen das Ergebnis der Probezeit bewertet werden soll.
Später zog Kulturreferent Kleiner sowohl die Probephase als auch die Idee neuer Sperrzeiten zurück, denn sowohl Gastronomie als auch Mitglieder des Stadtrats konnten sich auf Maßnahmen zum nachhaltigen Schutz von Anwohnern und Feiernden einigen. So soll zum Beispiel verstärkt Silencer-Personal auf den Straßen eingesetzt werden, dazu kommt ein Mitnahmeverbot von Getränken und gegebenenfalls der Bau von Schallbarrieren. Verhältnismäßig kleine Neuerungen also - im Vergleich zu den ursprünglichen Forderungen.
Mehr Sicherheit, weil …?
Bis heute bleibt unklar, weshalb die Stadt Würzburg überhaupt die Notwendigkeit gesehen hat, in das Würzburger Nachtleben eingreifen zu wollen.
Die Pressestelle der Stadt Würzburg begründete die Motive für den Eingriff ins Nachtleben in mehreren Telefonaten mit PULS damit, dass man die Sicherheit der Bürger*Innen im Nachtleben schützen wolle. Allerdings wollten die Stadt und die Polizeiinspektion Würzburg auf Anfrage weder konkrete Zahlen über nächtliche Lärmbelästigung und Straftaten nennen, noch Angaben zu negativen Entwicklungen im Würzburger Nachtleben machen, die das Ergreifen von Schutzmaßnahmen rechtfertigen könnten.
In beiden Fällen rechtfertigten die Behörden ihre Verschwiegenheit mit datenschutzrechtlichen Gründen und fehlenden Zuständigkeiten. Die eigentlichen Beweggründe, wieso die Sperrstunde überhaupt zum Thema wurde, bleiben somit nicht nachvollziehbar.
Würzburger Popkultur in Gefahr
Bleibt zu hoffen, dass Würzburg mit einem anderen Problem transparenter umgeht: Der Posthalle – Würzburgs einziger Konzerthalle für Popkultur – droht nächstes Jahr der Abriss. Eine Alternative ist noch nicht gefunden. Sollte die Posthalle wie geplant Wohnungen und Bürogebäuden weichen müssen, werden Bands von Bilderbuch bis zur 187 Straßenbande wohl in Zukunft nicht mehr in Würzburg auftreten können. Sowohl dem Kulturbetrieb als auch dem Studentenleben würde das extrem schaden.
Update: Nach Veröffentlichung des Artikels hat sich die Stadt Würzburg doch noch mit einer Zahl gemeldet. Die Anzeigen wegen Ruhestörung seien in den letzten beiden Jahren um 30% gestiegen. Das sagt jedoch nichts über die tatsächliche Zahl an Ruhestörungen und über deren Ursachen aus. Außerdem ist nicht klar, ob es sich dabei auch wirklich um Ruhestörungen gehandelt hat.
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