Interview // Iuventa Kapitän Benedikt Funke Wie ein Seenotretter über die Flüchtlingssituation auf dem Mittelmeer denkt
"Es war schockierend die Boote und Menschen zu sehen," sagt Kapitän Benedikt Funke, der über 14.000 Geflüchtete vor dem Ertrinken gerettet hat. Die Crew muss sich nun dem Vorwurf stellen, illegale Schlepper unterstützt zu haben.
PULS: Benedikt, du bist ausgebildeter Seemann. Was hat dich dazu bewegt, Geflüchtete zu retten?
Benedikt Funke: Ich war damals in München auf der Demonstration "München ist bunt". Dort gab es die ersten vereinzelten Demonstranten, die sich gegen Seenotrettung ausgesprochen haben. Wir waren an einem Punkt angekommen, wo zur Diskussion stand, ob es okay ist Menschen sterben zu lassen. Da wollte ich ein klares Zeichen setzen und habe überhaupt nicht gezögert nach Malta zu fliegen.
Wie war die Stimmung auf der Iuventa?
In gewisser Weise tatsächlich wie in einer Jugendgruppe, da wir eben alle junge Leute waren. Wir hatten sehr unterschiedliche Motivationen, aber das gleiche Ziel: Wir wollten nicht akzeptieren, dass Leute auf dem Mittelmeer sterben. Das hat uns stark verbunden.
Hattet ihr einen richtigen Alltag auf dem Schiff?
Ich komme aus der professionellen Schifffahrt und habe versucht, einen Tagesablauf zu etablieren. Ich habe ein Wachsystem eingeführt, ein gemeinsames Frühstück und Tagesaufgaben verteilt, also Maleraufgaben oder das Warten der Maschine. Aber dieser Alltag wurde häufig gesprengt, weil die Rettungen eben stattfinden, wenn die Boote kommen. Also bei aller Planung hat uns die Realität oft überwältigt.
Wie war es, dem Thema Flucht über das Mittelmeer plötzlich so nah zu sein?
Wir hatten uns natürlich darauf vorbereitet. Wir waren alle professionell in unseren Jobs ausgebildet und haben uns von anderen NGOs erklären lassen, worauf wir uns einstellen müssen. Aber die Boote und Menschen dann tatsächlich zu sehen, war schockierend. Völlig unerwartet.
Kann man sich darauf überhaupt vorbereiten?
Keiner von uns war vorher in so einer Situation. Wir hatten zum Beispiel ausgerechnet, wie viele Menschen wir an Bord nehmen können. Aber dann passieren die ersten Rettungen, wir nehmen alle an Bord und stellen plötzlich fest: Wir haben 420 Leute oder mehr auf dem Schiff. Und dann ist natürlich die Frage: Was machst Du mit den Menschen? Auf der Iuventa haben wir sofort die italienische Küstenwache kontaktiert, die uns die Menschen dann abgenommen hat.
Hast du mit einzelnen Geretteten Kontakt gehalten?
Wir haben mit vielen Kontakt gehalten. Mit einigen der Jungs schreibe ich heute noch. Die sind teilweise irgendwo in Deutschland angekommen, in Heidelberg oder Mecklenburg-Vorpommern. Quer durchs Land verstreut und in unterschiedlichen Schritten. Da sehe ich auch, dass die Integration in manchen Bundesländern schneller geht als woanders. Der eine fängt eine Metallbauer-Ausbildung an, während der andere noch auf seinen Sprachkurs wartet.
In Deutschland wird viel über Migration gestritten. Was berührt dich am meisten in dieser Debatte?
Dass es tatsächlich Menschen gibt, die finden, dass Sterben als Abschreckung funktionieren kann. Und manche Politiker tragen das auch noch mit. Das kann nicht sein.
Im August 2017 wurde die Iuventa von der italienischen Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Wegen des Verdachts auf Beihilfe zur illegalen Einwanderung.
Ich finde es schlimm zum Schuldigen gemacht zu werden, weil die Geschäftsgrundlage für die Schlepper das Grenzregime ist, das keine legale Einreise ermöglicht. Alles andere sind Faktoren, die das Geschäft der Schlepper vielleicht beeinflussen, aber nicht ihre Grundlage sind. Wir werden jetzt zu Kriminellen gemacht und gleichzeitig unterstützt die EU mit unseren Steuergeldern die lybische Küstenwache, die nachweislich mit Schleppern verbandelt ist.
Eigentlich wolltet ihr ja zu einer konstruktiven Diskussion beitragen.
Wir haben leider diesen politischen Druck nicht aufbauen können. Im Gegenteil, die Staaten haben uns immer mehr in die Rolle gedrängt, dass wir die Seenotrettung alleine übernehmen. Und später wurden wir dafür verantwortlich dafür gemacht, diese Rolle übernommen zu haben.
Wie hat sich dein Blick auf das Thema Flucht verändert?
Seit drei bis vier Jahren wird in Deutschland nur über Seenotrettung gesprochen, anstatt konstruktiv darüber zu reden, was eigentlich die Hintergründe der Flucht sind. Wir sehen es jetzt: Die Seenotrettung wurde de facto eingestellt. Die Menschen fahren aber immer noch aufs Meer und sterben dort. Die Erfahrungen auf der Iuventa haben mich dazu veranlasst nochmal auf die Uni zu gehen und mich wissenschaftlich mit Migration zu befassen. Wir müssen endlich von dieser kleingeistigen Diskussion wegkommen und konstruktiv darüber reden, weil es das Thema des nächsten Jahrhunderts ist.
Zuletzt war in München eine große Demonstration unter dem Motto #ausgehetzt, die sich auch gegen die aktuelle Migrationspolitik der EU gewendet hat.
Das war für mich tatsächlich ein kleiner Wendepunkt. Ich hatte das erste Mal seit 2016 den Eindruck, dass wir mit unserem Thema tatsächlich politisch etwas bewegen und positiv Einfluss nehmen können. Wir sind jetzt an dem Punkt, wo die Leute sagen: Die Menschenrechte stehen hier wirklich zur Disposition und so kann es nicht weitergehen. Es geht darum, dass jeder den Mund aufmacht und sich klar positioniert. Das kann auf so großen Demos passieren, muss aber auch Zuhause im Kleinen passieren, in der U-Bahn und der Kneipe. Mund aufmachen!
Sendung: Filter, 27.07.2018 - ab 15.00 Uhr