Neue Studie aus Großbritannien Ein Fünftel aller Festivalbesucher*innen werden sexuell belästigt
Sexuelle Gewalt auf Musikfestivals ist seit ein paar Jahren ein großes Thema. Laut einer neuen Studie wurden ein Fünftel aller Festivalbesucher*innen schon sexuell belästigt - bei Frauen unter 40 Jahren sind es fast die Hälfte.
Das Bravalla-Festival in Schweden wurde dieses Jahr abgesagt, nachdem im Jahr davor fast 30 Anzeigen wegen Vergewaltigung und sexueller Belästigung eingereicht wurden. Auf dem englischen Glastonbury Festival gibt es seit 2016 Frauen-only-Bereiche, damit diese in Ruhe feiern können. Das Primavera Sound Festival in Barcelona kündigte im Mai explizit eine "Zero Tolerance“-Policy gegenüber sexueller Aggression an.
Es führt kein Weg daran vorbei: Sexuelle Gewalt auf Festivals ist ein großes Thema. So groß, dass sich eine neue Studie aus Großbritannien damit befasst hat. Das Meinungsforschunginstitut YouGov hat über 1000 weibliche und männliche Festivalbesucher zu ihren Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen befragt und ernüchternde Antworten bekommen: 22 Prozent aller Festivalbesucher*innen beantworteten die Frage, ob sie auf einem Festival sexuell belästigt wurden, mit "Ja".
Noch höher ist der Prozentsatz bei weiblichem Festival-Publikum (30 Prozent) und bei weiblichen Festivalbesuchern unter 40 (43 Prozent). Die meistgenannten Arten der Belästigung waren aggressives Angetanze und ungewollte, anzügliche Kommentare. 43 Prozent aller Frauen zwischen 18 und 24 gaben an, auf diese Art und Weise belästigt worden zu sein. Zum Vergleich: 18 Prozent aller Männer im selben Alter haben laut Studie ähnliche Erfahrungen gemacht.
"Es geht um Übergriffe, die keine Straftaten sind, aber Grenzen verletzen"
Für Sabine Schorpp sind diese Zahlen wenig überraschend. Sie arbeitet schon seit Jahren im Orga-Team des Mini Rock Festivals in Horb am Neckar mit und leitet dort das Awareness Team, das dafür sorgen soll, dass Festivalbesucher für das Thema sexuelle Gewalt sensibilisiert werden und dass Betroffene vor Ort eine Anlaufstelle haben.
"Da geht es um Übergriffe, die jetzt vielleicht keine Straftaten sind, aber persönliche Grenzen verletzen. Ich gehe selber gern auf Festivals und Konzerte, und mir ist das schon oft passiert, dass ein Typ seine Hände dahin legt, wo sie nicht hingehören. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Zahlen realistisch sind."
Sabine Schorpp vom Mini Rock Festival im PULS-Interview
Erschreckend ist, dass gerade mal zwei Prozent aller Betroffenen ihre Übergriffe dem Sicherheitspersonal vor Ort meldeten. Das hat laut Sabine Schorpp mehrere Gründe.
"Das hat damit zu tun, dass es um Dinge geht, bei denen sich die Betroffenen unwohl fühlen, sich aber denken, dass sie nicht damit zur Polizei gehen können - weil sie da evtl. nicht ernstgenommen werden. Da fehlt einfach die Anlaufstelle: die Leute wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen, wenn sie jemand antanzt, und sie das nicht wollen. Und außerdem wird es in unserer Gesellschaft suggeriert, dass es auf Festivals einfach so ist, und dass man sich nicht so anstellen soll. Da hat man als betroffene Person dann einfach Angst, kein Verständnis zu finden."
Sabine Schorpp im PULS-Interview
Verantwortung liegt bei allen Festivalbesucher*innen
Kampagnen wie "Wo ist Angela?" oder "Wo geht's nach Panama?", die mit Codeworten arbeiten, mit denen sich Festivalbesucher*innen bei Übergriffen vertraulich ans Sicherheitspersonal wenden können, gibt es auf deutschen und britischen Festivals bereits und werden weiter ausgebaut und beworben. Auch der Anteil von weiblichen Acts in den Line-Ups spielt eine Rolle, wenn es darum geht, ein Bewusstsein für sexuelle Gewalt und Machtverhältnisse zu schaffen.
"Das könnte eine große Rolle spielen - dass man eine Vielfalt im Line-Up hat, dass andere Themen zur Sprache kommen, dass eine andere Perspektive geboten wird als wenn immer nur Männer über Frauen singen. Ich finde es wahnsinnig wichtig, dass Frauen auf der Bühne stehen. Aber es gibt natürlich weibliche und männliche Acts, die mal mehr und mal weniger für dieses Thema sensibilisiert sind."
Sabine Schorpp im PULS-Interview
Für das Thema sensibilisieren - darum geht es vor allem: Festivalbesucher*innen sollten sich im Vorfeld darüber im Klaren sein, welches Verhalten auf dem Gelände geduldet wird - und welches nicht. Und dass ein Übergriff nicht erst dann stattfindet, wenn man jemanden ungefragt anfasst.
Sendung: Freundeskreis, 21. Juni 2018 - ab 10 Uhr.