Das Phänomen "Singleshaming" Wenn Frauen fürs Single sein dumme Sprüche bekommen
Die eine Single-Freundin im Freundeskreis muss dringend unter die Haube? Strengt sich einfach nicht genug an, um einen Typen abzukriegen? Solche Kommentare nerven und sind trotzdem unglaublich geläufig. "Singleshaming" sei Dank.
Das Jahr 2019: Die Ehe für alle ist in vielen Ländern erlaubt, der halbe Bekanntenkreis hat schon (mehr oder weniger erfolgreich) eine offene Beziehung ausprobiert und auch polyamoröse Patchwork-Konstellationen überraschen einen nicht mehr. Man würde denken, im aktuellen Zeitgeist ist in der Liebe alles möglich und akzeptiert. Nur eine Art der Beziehung scheint noch immer eine krasse Abweichung von der Norm darzustellen: Nämlich gar keine zu haben. Lisa (Name geändert), 20, vom Ammersee etwa wurde mal von einem Bekannten ganz betroffen gefragt: "Wie schaffst du das überhaupt, so single zu leben?" Der Spruch schockte sie total: "Da dachte ich mir: Hä? Ich bin ein selbständiger Mensch, klar kann man single leben. Aber viele Bekannte von mir sind in einer Beziehung, seit sie 16 sind, und die können das gar nicht mehr."
Solche Sprüche nennen sich "Singleshaming" und meinen nicht etwa, dass jemand sich selbst dafür schämt, single zu sein, sondern dass andere einen dafür kritisieren, nicht in einer Beziehung zu sein. Selbst, wenn das nett gemeint ist – "Du findest schon auch noch jemanden, bist doch eine ganz tolle Frau" – ist das Problem an diesem Phänomen, dass all diese kleinen Kommentare und Sticheleien implizieren: Wer single ist, dem fehlt etwas. Ohne Partner*in ist man nicht vollständig.
Historisch bedingt – noch immer fest in den Köpfen
Singleshaming – besonders bei heterosexuellen Frauen – hat einen historischen Hintergrund: Früher waren Frauen tatsächlich nicht in der Lage, sich selbst zu versorgen und dann auch gesellschaftliche Anerkennung als Individuum zu bekommen. Seit dem 18./19. Jahrhundert galt die bürgerliche Kleinfamilie als Norm, erklärt uns Gunda Windmüller. Die Literaturwissenschaftlerin hat dem Phänomen Singleshaming mit "Weiblich, ledig, glücklich – sucht nicht" ein ganzes Buch gewidmet.
Im Interview erklärt sie uns: "Die bürgerliche Kleinfamilie stützt und bildet ein ganz klares Wirtschafts- und Liebesmodell ab: Der Mann arbeitet draußen in der Welt, die Frau sorgt sich zuhause um die Liebe, Heim und Kinder." Laut diesem Modell bekamen Frauen also auch nur Anerkennung für die Dinge, die sie in ihrem Verantwortungsbereich erreichen: Liebe und Fürsorge. Wer single oder kinderlos war: Leider kein Foto für dich! Heute sieht das anders aus: Viele Frauen können sich finanziell selbst versorgen und müssen keine Kinder bekommen, etwa aus Gründen der Altersvorsorge. Und doch ist dieses Bild immer noch fest in den Köpfen der Menschen verankert.
Bridget Jones, Klatschblätter & Co: Die Medien helfen nicht
Was dazu beiträgt, dass dieses Bild immer weitervermittelt wird, sind wie so oft popkulturelle Produkte. Serien und Filme wie Bridget Jones, in denen die Singlefrau der Problemfall ist, haben jungen Zuschauer*innen von klein auf eingebläut: Das Happy End kommt erst mit dem Märchenprinzen am Ende des mit roten Rosen ausgelegten Korridors.
Doch auch in TV, Zeitungen und Internet werden Frauen darauf beschränkt, wie denn ihr Liebesleben läuft. Wer Katharina Schulze googelt, bekommt als erste automatische Vervollständigung "Katharina Schulze Freund" vorgeschlagen – nicht etwa irgendetwas im Zusammenhang mit ihrer krassen politischen Karriere. Bei männlichen berühmten Singles sei das ganz anders: "Leonardo DiCaprio oder George Clooney konnten immer so lange single sein, wie sie wollten. Da kam keine besorgte Presse um die Ecke", so Gunda Windmüller.
Das Geschlechter-Paradox: Frauen sind die besseren Singles
Dabei sprechen Studien eine andere Sprache. Eigentlich wären es die männlichen Singles, um die man sich sorgen müsste. Denn alleinstehenden Männern geht es gesundheitlich sehr viel schlechter als in einer Beziehung – bei Frauen hingegen bleibt die Gesundheit beinahe unverändert. Laut einer Studie des Robert Koch-Instituts leben Männer in einer Beziehung im Schnitt sogar zwei Jahre länger als Single-Männer. Das liegt jetzt nicht etwa an all den gesunden Glückshormonen, sondern an dem Feuer unterm Hintern durch die Frauen, sagt Gunda Windmüller: "Männer in einer Beziehung sind gesünder, weniger depressiv und haben ein besseres Verhältnis zu ihren Familien. Weil eine Partnerin eben dafür sorgt, dass die Männer zum Arzt gehen, dass sie genug Freunde haben und mal vom Sofa runterkommen." Die Singlefrau hingegen kommt klar, denn die haben gelernt, sich emotional besser zu versorgen. Frauen haben andere Arten von Freundschaften und kommunizieren anders. "Das führt alles dazu, dass wir ein bisschen stabiler sind, wenn wir nicht in Beziehungen sind", sagt Gunda Windmüller.
Kleine Schritte im Alltag
Um Singleshaming einzudämmen, muss man nicht gleich Romcoms verbieten. Die Frauenfiguren in Filmen werden ohnehin immer mehr badass und man sieht genreübergreifend immer häufiger Filme und Serien über facettenreiche Frauen wie Frances Ha oder Jessica Jones. Aber vielleicht können wir im Alltag daran arbeiten, den Fokus nicht immer auf den Beziehungsstatus zu lenken. Beim Kaffeeklatsch nicht immer zuerst fragen: "Und, wie läuft’s in der Liebe?", sondern wieder mehr auf die Freundinnen selbst achten: "Wie geht es dir denn?“ So macht’s Lisa auch. Sie ist nämlich mittlerweile in einer Beziehung und achtet bewusst drauf, ihre Freundinnen, von denen sie weiß, dass gerade im Liebesleben nicht viel los ist, nicht nochmal extra danach zu fragen: "Einfach weil ich weiß, wie man sich auf der anderen Seite fühlt." Wenn die Freundinnen von sich aus von ihren Herzschmerz-Geschichten erzählen, voll Hoffnung, eine Beziehung zu bekommen – toll. Aber lasst uns aufhören, andere Menschen zu bevormunden und davon auszugehen, dass jeder eh eine Beziehung braucht und will. Und dann erst vollständig ist. Wir sind doch keine Puzzle-Teile.
Sendung: PULS am 25.07.2019 - ab 15.00 Uhr