Interview mit Paar- und Sexualtherapeutin Beatrice Wagner Warum Vaginismus viel zu oft viel zu spät behandelt wird

Vaginismus macht Sex unmöglich. Auch das Einführen von Tampons ist meist sehr schmerzhaft. Für betroffene Frauen ist das alles eine riesige Belastung. Trotzdem nehmen Gynäkologen die Krankheit oft nicht ernst.

Von: Linda Becker

Stand: 23.08.2018 | Archiv

Schmerzen beim Sex | Bild: BR

Bei Vaginismus verkrampft die Vaginalmuskulatur so stark, dass es das Einführen von Tampons, Fingern oder dem Penis unmöglich macht. Und obwohl viele Frauen unter dieser Krankheit leiden, fühlen sich die meisten nicht ernst genommen – weder vom Gynäkologen noch vom Partner.

Dr. Beatrice Wagner ist Paar- und Sexualtherapeutin aus München und behandelt viele Vaginismus-Patientinnen. Sie schätzt, dass bis zu 15 Prozent der Frauen weltweit darunter leiden. Sie sagt, dass Vaginismus oft erst sehr spät behandelt wird, da die Betroffenen den Arztbesuch oft viel zu lang hinauszögern. Viele spielen es runter oder fühlen sich gegenüber ihrem Partner schuldig. 

PULS: Wie geht man denn vor, wenn man beim Sex Schmerzen hat und Vaginismus als Grund vermutet?

Dr. Beatrice Wagner: Wenn eine Frau beim Sex unter Schmerzen leidet, dann sollte sie als allererstes zum Frauenarzt gehen. Natürlich muss das nicht immer direkt Vaginismus sein. Die Ärztin oder der Arzt untersucht dann die Frau und schaut erstmal was das genau für Schmerzen sind und ob eine körperliche Ursache vorliegt. Wenn es während der Untersuchung dann schon schwierig ist, das Spekulum einzuführen, wäre das ein Indiz für Vaginismus. Und damit sollte man dann schon zu einer Sexualtherapeutin oder einem Sexualtherapeuten gehen, um zu schauen, was die Auslöser für die Verkrampfung sind.

Hat Vaginismus also meistens psychische Ursachen?

Genau. Es gibt den primären und den sekundären Vaginismus. Beim primären Vaginismus war der Versuch Sex zu haben von Anfang an schmerzhaft – da ging es quasi nie. Beim sekundären Vaginismus war schmerzfreier Sex mal möglich und dann ist irgendwas passiert, weshalb es dann schmerzhaft wurde. Bei der ersten Form, also beim primären Vaginismus, kann zum Beispiel eine sexualfeindliche Aufklärung eine Ursache sein. Oder der Mutter ist mal was passiert und sie gibt das schlechte Gefühl, dass sie mit Sex verbindet, unbewusst an die Tochter weiter.

Der sekundäre Vaginismus ist eigentlich die häufigere Form. Da kann es auch verschiedene Ursachen geben, zum Beispiel eine vorausgegangene schmerzhafte Krankheit im Intimbereich, Endometriose aber auch Vergewaltigungen, eine schmerzhafte Entjungferung oder ähnliches. Das heißt, wenn dann Geschlechtsverkehr ansteht, verkrampft sich die Scheidenmuskulatur unwillkürlich – das ist eine Stressreaktion des Körpers, man kann das nicht selber steuern.

Wie kommt es, dass bei vielen Frauen Vaginismus erst viel später diagnostiziert wird, obwohl sie schon seit Jahren darunter leiden?

Frauen, die unter dieser Scheidenverkrampfung leiden, gehen oft gar nicht erst zum Frauenarzt. Die wissen ja, dass sie auch bei Untersuchungen Schmerzen zu erwarten haben und bekommen dann Panik. Frauen, die darunter leiden, fühlen sich auch oft allein gelassen und denken, dass sei ihr Problem. In der Frauenarztpraxis bekommen sie auch nicht immer die sensible Rückmeldung, die bei so einem Problem angebracht ist. Da fallen dann auch mal solche Bemerkungen wie "Trinken Sie vor dem Sex doch mal nen Prosecco" oder "Das muss schon klappen, sonst wird der Partner sie verlassen" oder es werden schmerzlindernde Salben verschrieben, damit es klappt.

Wie sieht denn die Behandlung aus? Übernimmt das die Krankenkasse?

Nein, die Krankenkasse übernimmt die Kosten bisher leider nicht. Die Behandlung von Vaginismus erfolgt in einem Stufenprogramm. Es geht einfach erst mal darum, dass diese Frauen lernen, dass sie selbst bestimmen können, was in ihrem Intimbereich passiert. Sie müssen Vertrauen in sich selbst und später auch in ihren Partner aufbauen, um während des Geschlechtsverkehrs überhaupt loslassen zu können.

Ich mache Übungen mit der Frau, bei denen sie sich im Intimbereich erst mal anschauen oder sich selbst berühren sollen, damit sie merken, dass das auch was Schönes sein kann. Solange die Vagina nur mit Angst und Schmerz verbunden ist, ändert sich nichts. Später kann’s dann auch Partnerübungen geben. Da streichelt dann der Partner den Körper der Frau – der Scheidenbereich wird allerdings ausgelassen. Die Frau muss also nicht auf ihre Vagina aufpassen. 

Außerdem gibt es noch Übungen mit Dilatatoren. Das sind unterschiedlich dicke, aus Silikon geformte Dildos. Die dünnsten sind noch etwas dünner als mein kleiner Finger. Die Frau versucht dann damit vorsichtig einzudringen oder die Vulva überhaupt zu berühren, ohne dass es für sie unangenehm wird. Die Dilatatoren sind nicht zum Aufdehnen da, sondern um sich an diese Form der Berührung zu gewöhnen. Die Frau muss merken, sie hat alles selbst im Griff. Das ist natürlich ein Prozess und da muss man regelmäßig üben – alleine und später auch mit dem Partner.

Mehr über Vaginismus hört ihr in unserem Sexpodcast:

Sex kann so schön sein – und so scheiße. Ariane Alter und Linda Becker reden im Sexpodcast "Im Namen der Hose" über die "Oh ja!" und die "Oh no!" Momente im Bett. Das Motto: Alles kann, nichts muss.

Sendung: Filter vom 27.08. ab 15 Uhr