Interview mit Ryan Broderick von Buzzfeed "Viele Leute vergessen gerade, dass das Internet ein magischer Ort sein kann"
Hate-Speech, Fake-News, Live-Vergewaltigungen: Das Internet ist 2017 am Arsch. Wie könnte man das wieder hinbiegen? PULS hat mit dem Buzzfeed-Journalisten Ryan Broderick über die Zukunft des Webs und digitale Visionen gesprochen.
Internet, wir müssen reden: Hetze, Hass und Hoax-Hypes nehmen in den letzten Monaten Überhand. Wie könnte eine Alternative aussehen, wie ein Gegenentwurf? Wir haben mit einem gesprochen, der sich wie kaum ein anderer in den dunklen Ecken und Nischen des Netzes auskennt: Buzzfeed-Redakteur Ryan Broderick aus London. Wenn einer weiß, wie es weiter gehen könnte, dann er. Der "Deputy Global News Director" der populären Platform beobachtet die Entwicklung des Webs aus der ersten Reihe.
PULS: Ich hab das Gefühl, dass das Internet gerade vor die Hunde geht. Nur noch Wut, nur noch Hass, es nervt nur noch. Wie denkst du über das Internet gerade?
Ryan Broderick: Ich stimme dir zu! Das Internet ist gerade wirklich nicht sehr lustig. Ich denke, viele Leute vergessen gerade leider, dass das Internet ein magischer Ort sein kann, um Dinge zu erschaffen, die noch nie da waren. 2012, während des letzten US-Wahlkampfs, habe ich live GiFs produziert, was damals bedeutete, Memes live via Photoshop zu bauen. Ich habe sie dann bei Twitter gepostet und ich wusste, dass genau das eine neue Kunstform ist, die noch nie da gewesen ist und die noch nie jemand voher gebraucht hat. Als Vines aufkamen, war es genau dasselbe. Leider ist das Internet in den letzten beiden Jahren sehr gealtert. Social Media ist berechnbar geworden und der "Novelty Factor", also der Drang immer neues online zu erschaffen, ist quasi weg.
Du bist einer der Meme-Spezialisten von Buzzfeed, du kennst die geilen, weirden Ecken des Netzes. Wo sind die gerade?
Ich denke, es gibt momentan einen klaren Trend zu Oldschool-Technologien wie Message-Boards und kleineren Communities. Vor allem kleinere Blogs sind gerade ziemlich angesagt. Ein gutes Beispiel und ein fürchterliches zugleich sind die Alt-Right-Chatrooms. Diese Communities operieren mit Back-Channeln und sind auf Chat-Applikationen wie Discord oder Oldschool-Platformen wie 4chan unterwegs. Diese Blogs haben immernoch viele Mitglieder und obwohl sie nicht so stark wachsen, wie sie das schon taten, bleiben sie und verschwinden nicht einfach. Ich denke solche simplen Websiten oder Blogs, Message-Boards sind gerade im wieder im Kommen. Ein gutes Beispiel ist "DeviantArt" - die Leute nutzen das jetzt wieder. Verrückt!
Glaubst du eigentlch, dass Facebook irgendwann verschwindet?
Das ist so eine Sache. Man kann sich ja eigentlich keine Welt ohne Facebook mehr vorstellen. Die Platform ist nun eben das erste Ding in der Geschichte des Menschen, das so groß geworden ist - die größte mediale Erfindung. Es ist schlicht, das erste Ding, das so viele Menschen an einem Ort, zur selben Zeit versammelt. Deshalb ist es so schwierig über die Zukunft davon zu spekulieren, es ist nunmal etwas, dass es zum ersten Mal gibt und somit Prognosen sehr schwer macht. Was ist wohl die Lebenserwartung eines sozialen Netzwerks mit mehr als einer Milliarde Mitgliedern? Selbst wenn es rückläufige Beitritszahlen hat? Wir könnten sagen "Oh, viele junge Leute verlassen Facebook, die Frosch-Memes und Fake-News nerven sie", aber wie lange würde dieses Rückgang des Interesses dauern um wirklich etwas zu ändern? Um wirklich einen Einfluss auf Facebook zu haben?
Wenn du bestimmen könntest, wie das Internet aussieht: Wie würdest du es bauen? Was würdest du ändern?
Hm, schwierig. Ich bin ein großer Fan von Tumblr. Ich liebe diese Platform, denn Tumblr hat für freie Kommunikation und Internetkultur einige fantastische Dinge in den letzten Jahren vollbracht. Was ich daran immer mochte, war, dass sie den wahren alten Spirit des Internets verstanden hatten: "Ich habe eine Website, ich mag deine Website, lass uns in Kontakt treten." Es geht dabei um den Gedanken, selbst ein Stück Land in der großen Welt des Internets zu besitzen und darüber zu verfügen. Hier kann man rausgehen und mit anderen sprechen, aber eben auch für sich sein und seinen Account wie ein Tagebuch für sich alleine führen.
Je weiter wir davon wegkommen, von diesem Gedanken, desto anstregender und schmerzlicher wird es für die User werden. Facebook und Twitter nämlich, lassen dich nicht über deinen Raum entscheiden, sie sind wie diese großen, grotesken Wohnprojekte in den Hochhäusern, wo Leute aufeinander sitzen und sich anschreien. Ich denke, wir befinden uns in dieser Dystopie, wo die User so viel Zeit und Energie investieren, ohne die Möglichkeit zu haben, sich irgendwie auszudrücken - es geht nur noch darum diese Platformen zu füttern. Wir sind da Konsument und Konsumierte gleichzeitig. Ich würde einige Dinge verändern und den Einfluss der selbst Leute auf die Strukturen des Internets vergrößern.
Sendung: PULS Spezial, 22.04.2017 ab 18 Uhr