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Verfahren gegen netzpolitik.org Was ihr über #Landesverrat wissen müsst

Bundesanwälte haben ein Verfahren gegen netzpolitik.org wegen Landesverrats eröffnet. Ein Gutachter prüft nun, ob das Blog wirklich Staatsgeheimnisse veröffentlicht hat. Das Netz reagiert mit Entrüstung und einer Petition.

Von: Jasmin Körber und Anna Bühler

Stand: 31.07.2015 | Archiv

Netzpolitik Landesverrat | Bild: BR

Wer zeigt hier wen an?

Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen hat Strafanzeige gegen die Journalisten des Blogs Netzpolitik.org gestellt, weil dort in zwei Artikeln Auszüge aus geheimen Dokumenten veröffentlicht wurden. Die Bundesanwaltschaft hat entschieden, dass die Anzeige gerechtfertigt ist und ermittelt gegen die Blogger wegen Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen und Landesverrats.

Was macht denn Netzpolitik.org und wer steckt dahinter?

Netzpolitik.org bezeichnet sich selbst als "Plattform für digitale Freiheitsrechte". Die Macher schreiben über alle Themen, die mit Politik, Gesellschaft und Internet zu tun haben. Die Süddeutsche Zeitung bezeichnet das spendenfinanzierte Blog sogar als "so etwas wie das Referenzmedium für Digitales". Gegründet wurde Netzpolitik.org von Markus Beckedahl, der auch die berühmte Netzkonferenz "re:publica" ins Leben gerufen hat. Andre Meister schreibt seit 2007 für Netzpolitik.org und protokolliert unter anderem die öffentlichen Sitzungen des NSA-Untersuchungsausschusses.

Was waren das denn für Artikel?

Ermittelt wird wegen zwei Artikeln. Andre Meister hatte am 25. Februar berichtet, dass der Verfassungsschutz daran arbeite, massenhaft Daten aus dem Netz zu erheben und auszuwerten – dazu zählten unter anderem Facebook-Inhalte. Dabei ging es auch um einen geheimen Haushaltsplan, den Andre Meister im Volltext anfügte.  In einem weiteren Text im April schrieb Meister über eine neue Einheit, die zum Ausbau der Internet-Überwachung errichtet werden solle – ebenfalls mit entsprechenden Dokumenten im Volltext.

Dürfen die einfach so gegen die Journalisten ermitteln?

Ja, das dürfen die. Landesverrat ist strafbar nach § 94 des Strafgesetzbuchs. Da steht:

"Wer ein Staatsgeheimnis […] an einen Unbefugten gelangen läßt oder öffentlich bekanntmacht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen, und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft."

§ 94 des StGB.

Es ist aber schon ein bisschen seltsam, dass ein deutsches Gesetz die Verfolgung von Journalisten erlaubt. Das gibt es so nicht einmal in den USA. Dort werden zwar Whistleblower verfolgt, wenn sie Dienstgeheimnisse preisgeben. Journalisten können für deren Veröffentlichung aber nicht wegen Landesverrats angeklagt werden. Gäbe es ein ähnliches Gesetz in den USA, wäre das Aufdecken der NSA-Affäre wohl noch schwieriger gewesen als ohnehin schon.

Was sagt die Bundesanwaltschaft dazu?

Generalbundesanwalt Harald Range hat sich mittlerweile gegenüber der FAZ geäußert und gesagt, er sehe vorerst mit "Blick auf das hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit“ von „nach der Strafprozessordnung möglichen Exekutivmaßnahmen ab“, bis ein unabhängiger Gutachter geprüft habe, ob die Dokumente, die die Seite veröffentlicht hat, wirklich in die Kategorie "Staatsgeheimnisse" fallen. Diese Aussage bedeutet allerdings entgegen einigen Berichten kein Zurückrudern oder gar das Ende des Ermittlungsverfahrens. Der Einsatz des Gutachters und das Warten auf dessen Ergebnisse waren so schon vorher geplant.

Auch Markus Beckedahl selbst betont in einem Tweet: "Der Generalbundesanwalt stoppt nicht die Ermittlungen, wie einige Medien berichten. Er setzt sie nur temporär aus." Er scheint sich sicher, dass an netzpolitk.org ein Exempel statuiert werden soll:

"Wir haben jetzt den Verdacht, dass sie durch solche Strafanzeigen scharf schießen gegen diejenigen, die dazu beitragen, diesen größten Überwachungsskandal in der Geschichte der Menschheit mit aufdecken zu wollen."

Markus Beckedahl in der Tagesschau.

Warum ist das so krass?

Es ist das erste Mal seit Jahrzehnten (genauer gesagt: 33 Jahren), dass überhaupt wieder wegen Landesverrat ermittelt wird. Das letzte Mal ging es gegen das linke Magazin konkret. In der sogenannten "Affäre Langemann" wurde zwar die Quelle (der ehemalige Staatsschützer Hans Langemann) zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt, der Prozess gegen die betreffenden Journalisten aber eingestellt.

Den spektakulärsten Fall lieferte aber wohl das Nachrichtenmagazin Der Spiegel: 1962 wurden Redakteure und Verleger des Landesverrats angeklagt. Der Spiegel hatte damals in einer Titelgeschichte berichtet, dass die Bundeswehr im Kriegsfall katastrophal unvorbereitet gewesen wäre, der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß aber statt auf Nachrüstung lieber auf Atomwaffen setzen wolle. Die Polizei stürmte die Redaktion, Redakteure und Verleger Rudolf Augstein wurden verhaftet. Letztendlich wurden alle Anklagepunkte gegen das Magazin fallen gelassen und Strauß musste im Verlauf der Affäre zurücktreten. Die "Spiegel-Affäre" gilt bis heute als Beispiel für die Stärkung der Pressefreiheit.

Und jetzt?

Jetzt müssen die Ergebnisse des unabhängigen Gutachter abgewartet werden. Sagen die, dass auf netzpolitik.org Staatsgeheimnisse bekannt gegeben wurden, drohen Markus Beckedahl, Andre Meister und ihrer Quelle "Unbekannt" mindestens ein Jahr Haft. Für netzpolitik.org bedeutet die Einleitung des Ermittlungsverfahrens aber auch einen Haufen Publicity. Auf Twitter finden sich jetzt schon unzählige Spendenaufrufe und -ansagen von Nutzern. Die erste Demo für netzpolitik.org ist bereits angekündigt, die erste Petition steht auch schon, und der Server der Seite bricht seit dem Bekanntwerden der Anklage regelmäßig zusammen.


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