Interview mit Jodler Wie die größte Lovestory des Internets zum Buch wurde
Der Jodel von zwei Kumpels, die plötzlich merken, dass da mehr als nur Freundschaft zwischen ihnen ist, ging viral. Jetzt gibt’s die Lovestory als Buch. Wir haben mit einem der beiden über Outing, Verliebtsein und Dankbarkeit gesprochen.
Es ist die spannendste Lovestory des Internets. Sie wurde im Herbst 2017 in der App Jodel geschrieben und begann mit diesen Zeilen:
"Ich (m) hab mich in einen Kumpel verliebt und jetzt liegt er in Boxershorts neben mir im Bett. #folter #ichwillihnberühren #kannmichnichtmehrzurückhalten"
Original Jodel aus Frankfurt
Innerhalb kürzester Zeit ging der Jodel viral und in ganz Deutschland fieberten Tausende in Echtzeit mit, ob OJ (so heißt in der App jemand, der das Originalposting verfasst hat), seinem besten Kumpel sagt, dass er in ihn verknallt ist. Tagelang beschreibt OJ in seinem Jodel extrem offen und ehrlich, wie sich die beiden immer näherkommen, ein Date nach dem anderen haben, es aber trotzdem nicht gebacken kriegen ihre Liebe zu gestehen.
Jetzt ist die schwule Liebesgeschichte als Buch mit dem Titel "OJ & Er: #ichwillihnberühren" erschienen, mit privaten Chats der zwei Kumpels, vielen Antworten aus der Jodel-Community und tiefen Einblicken in die Gefühlswelt der beiden. Trotz Buch will OJ immer noch anonym bleiben, der Verlag hat sich die Echtheit der Lovestory aber beweisen lassen und uns mit OJ in Kontakt gebracht. Wir wissen nur, dass er 22 ist und noch studiert.
PULS: Sind eigentlich all deine Datestorys bisher so krass filmreif gewesen?
OJ: Ich glaube, du stellst dir mich interessanter vor als ich tatsächlich bin. Da ich ziemlich schüchtern bin und vor der Geschichte auch komplett ungeoutet war, hält sich meine Dateerfahrung ohnehin sehr in Grenzen. Also nein, nicht all meine Dates eignen sich für ein Drehbuch.
Warum hast du die Story damals gejodelt und nicht getwittert oder auf Facebook gepostet?
Das Thema mit "ihm" war für mich extrem schwierig. Keiner wusste davon, dass ich auf ihn stehe, geschweige denn so lange. Ich musste es allerdings loswerden, aber unbedingt anonym.
Dein Jodel und die Reaktionen von anderen darauf sind ein Beispiel dafür, dass man gerade als Homosexueller oft unbegründet viel zu viel Angst vor den Reaktionen anderer hat. Hat sich das bei dir seitdem verändert?
Leider nicht besonders. Ich habe ja schon in dem Jodel gemerkt, wie lieb und unterstützend die Reaktionen von anderen waren. Trotzdem habe ich aus Angst vor negativen Reaktionen weiterhin nicht mit ihm über meine Zuneigung gesprochen. Ich habe immer wieder an die Menschen gedacht, die schrecklich – vielleicht aggressiv oder auch angeekelt – reagieren würden. Auch die vielen netten Reaktionen auf Jodel haben mir die Angst nicht genommen, weil ich heute noch davon überzeugt bin, dass es viele Leute gibt, die anders reagieren. Deshalb denke ich leider immer noch so.
Was muss sich ändern, damit in Zukunft kein Homosexueller mehr Angst vor solchen Reaktionen haben muss?
Das ist eine sehr gute Frage. Das versuche ich im Buch auch ganz kurz anzusprechen. Die Wahrheit ist: Ich habe darauf keine Antwort. Man muss jedes Problem an den Ursachen angehen. Aber was ist die Ursache von Homophobie? Wir versuchen mit dem Buch jedenfalls zum Abbau von Homophobie beizutragen.
Warum hast du den Jodel jetzt als Buch rausgebracht?
Am Anfang dachte ich, wieder aus Angst, dass die Geschichte möglichst klein gehalten werden muss, auch damit mich niemand erkennt. Ich habe die Geschichte ursprünglich für uns aufgeschrieben. Es war also gar nicht geplant, die Story zu veröffentlichen. Wir haben uns dann aber aus Dankbarkeit trotzdem dafür entschieden.
Mit der Zeit habe ich aber immer mehr erkannt, dass die Geschichte manchen Menschen hilft. Der Verlag hat uns überzeugt, dass man mit einem Buch nochmal ganz andere Leute erreichen kann. Zum Beispiel Jugendliche, die es gerade schwer haben oder auch Eltern von Homosexuellen, die dann vielleicht verstehen, wie schwer es ihr Kind hat. Ich habe die Hoffnung, dass solche Eltern, auch wenn sie selbst Schwierigkeiten mit dem Thema haben, ihr Kind dann trotzdem unterstützen.
Haben sich deine Mitjodler und Unterstützer schon mal bei dir gemeldet und was zu dem Buch gesagt?
Bisher nur als Kommentar unter dem ursprünglichen Jodel. Viele haben sich gefreut, dass ein Kommentar von ihnen im Buch ist. Sie sind dort gelandet, weil sie besonders süß, lustig, hilfreich oder rührend waren. Wenn ich sie mir durchlese, kommen mir teilweise immer noch die Tränen. Diese Menschen kennen mich gar nicht und schreiben solche netten Dinge. Das ist einfach großartig!
Wie hat "er" reagiert, als du ihm erzählt hast, dass tausende Menschen eure Lovestory mitverfolgt haben?
Er hat den Jodel selbst entdeckt. Und er hat mich daraufhin immerhin nicht verlassen.
In dem Buch gibt es auch Passagen, die aus "seiner" Sicht erzählt werden – wie hast du ihn überzeugt, bei dem Projekt mitzumachen?
Das frage ich mich auch. Ich habe aber nicht auf ihn eingeredet. Er hatte mir mal Chats zwischen einer Freundin und ihm gezeigt (Anm. d. Redaktion: Einige Chats sind auch in dem Buch zu lesen). Als ich sie zum ersten Mal gelesen habe, war ich sprachlos. Ich konnte nicht glauben, dass jemand solche Dinge über mich schreibt. Ich habe dann irgendwann mal vorgeschlagen, dass wir die Chats in meinen Text einbauen könnten. Er hatte nichts dagegen – was natürlich ein riesiger Vertrauensbeweis ist, besonders als er wusste, dass die Chats dann auch veröffentlicht werden sollten.
Welche Datingtipps hast du nach dieser Lovestory für alle, die mal in eine ähnliche Situation kommen?
Es lässt sich aus meiner Situation jetzt im Nachhinein natürlich klug daherreden. Ganz grundsätzlich würde ich nie im Leben wieder Gefühle so lange verheimlichen. Gefühle für einen anderen Menschen zu haben, ist unglaublich schön und es gibt keinen Grund, sie diesem Menschen nicht auch zu zeigen. Wenn er sie auch vielleicht nicht erwidern kann, wird er sich dennoch sehr darüber freuen! Wenn man sie verheimlicht, fragt man sich für immer "Was wäre gewesen wenn…?". Und diese Frage kann einen verrückt machen. Deshalb wäre mein Tipp an alle in ähnlichen Situationen, sich zu trauen!
Die spannendste Frage ist für alle natürlich: Was ist aus dir und "ihm" geworden?
Wir sind offiziell zusammengezogen (für die meisten wohnen wir als WG zusammen) und genießen momentan einfach unsere gemeinsame Zeit. Es hat sich ein Alltag eingestellt, der noch schöner ist als die komplett verrückte Aufregung am Anfang. Ich schreibe nur noch selten über uns im Jodel, weil es natürlich schön ist, Erinnerungen zu sammeln, die nur wir beide und nicht tausende Jodler teilen. Ab und zu mache ich das aber natürlich trotzdem noch. Die Jodler sind ja der Grund, warum wir überhaupt zusammen sind!
Sendung: Netzfilter am 20. April ab 12 Uhr.