Social Media Nutzung in Krisensituationen Suchen und Posten mit Hirn, bitte
In Krisensituationen wie zum Beispiel beim Amoklauf in München benutzen wir Facebook und Co vor allem, um Infos zu kriegen - obwohl wir wissen, dass da viele Gerüchte im Umlauf sind. Wie navigieren wir uns da am besten durch?
München, ein ganz normaler Freitag im Sommer 2016: Es ist früher Abend, viele Leute sind nach Feierabend in der Stadt unterwegs. Dann die Meldung: Im Olympia-Einkaufszentrum gibt es eine Schießerei. Obwohl der Amokläufer den Bereich um das Einkaufszentrum nie verlassen hat, sind Menschen in der kilometerweit entfernten Innenstadt davon überzeugt, dass der oder sogar mehrere Todesschützen in ihrer Nähe sind. Auf der Einkaufsstraße zwischen Marienplatz und Stachus rennen Menschen um ihr Leben. Der Grund: Gerüchte, die sich extrem schnell über Facebook und Twitter verbreiten.
Obwohl wir wissen, dass die sozialen Medien die krasseste Gerüchteküche von allen ist, nutzen wir sie um in solchen Situation auf dem Laufenden zu sein.
Hauptinformationsquelle
Forscher der Uni Siegen, TU Darmstadt und des Tavistock Institutes in London haben jetzt herausgefunden: Tatsächlich nutzen wir soziale Medien in Notsituationen vor allem, um uns zu informieren. In einer repräsentativen Umfrage in Deutschland haben 19 Prozent angegeben, dass sie sich bei Facebook, Twitter & Co informierten und dazu auch etwas postetem. Fünf Prozent der Befragten haben ausschließlich etwas gepostet.
Die Studie zeigt auch: Bei Naturkatastrophen und Safety-Checks, wie beim Münchener Amoklauf oder dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin, nutzen wir Soziale Medien am meisten.
Schnelle Infos und Vermeidung von Panik
Soziale Medien haben in Krisensituationen hat einen entscheidenden Vorteil: Sie sind sehr, sehr schnell. "Wir sehen, dass je nach Größe des Ereignisses, ganz wenige Minuten nach Eintritt Informationen vorhanden sein können"sagt Christian Reuter, Professor für Wissenschaft, Technik, Frieden und Sicherheit an der TU Darmstadt. Er erforscht unter anderem die Nutzung von Sozialen Medien in Krisensituationen.
„Diese Geschwindigkeit – und damit auch die Möglichkeit, an die Bevölkerung ganz schnell heranzutreten, möglicherweise Panik zu verhindern und das Informationsbedürfnis zu decken - das ist, glaube ich, der ganz große Vorteil der Sozialen Medien.“ Prof. Christian Reuter, Leiter der Studie
Mögliche Probleme sind uns bewusst
Die größten Probleme bei der Nutzung von sozialen Medien in Krisensituationen sind laut der Umfrage vor allem falsche Gerüchte (73 Prozent) und unzuverlässige Informationen (65 Prozent).
"Viele Menschen sind skeptisch und möchten Sozialen Medien in Gefahrenlagen nicht vollständig vertrauen. Da zahlreiche Inhalte dort nach ausschließlichem Lesen der Überschrift bereits geteilt werden, ist gewisse Vorsicht und Abwägung, was man glaubt und was man teilt, auch sinnvoll" Prof. Christian Reuter, Leiter der Studie
Vielleicht erwartet die Mehrheit der Deutschen auch deshalb, dass Behörden soziale Medien ständig im Blick haben und schnell reagieren. Egal, ob eine Katastrophe gerade im Gange oder kurz davor ist auszubrechen. Knapp die Hälfte der Befragten erwartet, dass Behörden dann innerhalb einer Stunde reagieren. Allerdings gehen die Erwartungen je nach Alter auseinander. Die jüngeren glauben, dass die Behörden zu beschäftigt sind, um ständig alles zu überwachen.
Nicht jeden Scheiß posten
Am Ende liegt es auch in unserer Verantwortung, ob sich Gerüchte und Falschinformationen verbreiten. Bevor wir etwas teilen, lohnt es sich zum Beispiel, nicht nur die Überschrift zu lesen, sondern den ganzen Artikel. Sollten wir direkt vor Ort sein, sollten wir außerdem nicht jedes Foto oder Video unüberlegt teilen – Stichwort Datenschutz. Menschen, die Opfer geworden sind, klar erkennbar zu fotografieren und hochzuladen geht gar nicht. Außerdem gehe es auf auf jeden Fall vor zu helfen, sagt Professor Reuter.
Bewusst durch die Info-Flut navigieren
Offizielle Infos von Behörden auf Twitter oder Facebook helfen, Gerüchte von Fakten zu unterscheiden. Laut Professor Reuter auch da, wo Polizei und Feuerwehr keine großen Kommunikationszentren haben: "Auch in vermeintlich ländlicheren Regionen gibt es Feuerwehren, die in sozialen Medien unterwegs sind und da Informationen teilen."
Spezielle Warn-Apps wie zum Beispiel KATWARN oder NINA vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz können relevante Informationen liefern – und das nicht nur bei großen Lagen wie dem Amoklauf in München, sondern zum Beispiel auch bei Evakuierungen, wenn ein Bagger mal wieder eine Weltkriegsbombe ausgegraben hat. Problem: Das Netz dieser Apps ist nicht flächendeckend, denn nicht alle Bundesländer und Regionen machen mit. Die Frage, wie Soziale Medien in Krisensituationen noch besser genutzt werden können, wird uns also noch eine Weile beschäftigen.
Sendung: Filter am 20.10.2017, ab 15 Uhr